Hannover hat das Hochwasser abgewehrt, erwartet aber höhere Pegelstände
Die Pegelstände in Niedersachsen sinken wieder und das Winterhochwasser scheint einstweilen überstanden zu sein. Als eine Folge davon werden nun auch die kommunalen Krisenstäbe vielerorts aufgelöst. So geschah es in dieser Woche auch in Niedersachsens Landeshauptstadt. Hannovers Stadtspitze nahm das Ende dieses Ausnahmezustands zum Anlass, um Bilanz zu ziehen – und sich die neuralgischen Punkte des hannöverschen Hochwassergeschehens genau anzusehen.
Gemeinsam mit Experten aus der Stadtverwaltung, etwa aus dem Tiefbau, der Stadtentwässerung, dem Grün- und Umweltamt und natürlich der Feuerwehr, inspizierten Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) und Ordnungsdezernent Axel von der Ohe (SPD) feste Deiche und mobile Schutzwälle, die einige Tage zuvor noch sichergestellt hatten, dass Wohnhäuser oder Wahrzeichen wie die Herrenhäuser Gärten vom Leine- und Ihme-Wasser verschont blieben.
Insgesamt sei Hannover glimpflich davongekommen, man habe die Situation gut gemeistert, bilanzierten Onay und von der Ohe zu Beginn der kurzen Reise durch die Landeshauptstadt. Drei Gründe machten der Oberbürgermeister und der Stadtkämmerer dafür aus: Zum einen habe das an der tatkräftigen Unterstützung der freiwilligen und hauptamtlichen Feuerwehr gelegen – und auch an den vielen ehrenamtlichen Helfern und der Nachbarschaftshilfe, dank derer insbesondere private Grundstücke vor den Fluten gesichert werden konnten. Zum anderen habe aber auch die Wetterlage dazu beigetragen, dass Schlimmeres letztlich ausgeblieben ist. Entscheidend für die politischen Akteure dürfte allerdings folgendes sein: Die Schutzvorkehrungen, die Hannover erst vor einigen Jahren installiert hat, haben gewirkt. Es habe sich aber auch gezeigt, so Onay, dass an manchen Stellen noch nachgebessert werden muss.
Drei Schutzmaßnahmen kosteten 30 Millionen Euro
Ein Stadtteil, in dem die erfolgreichen Investitionen der Landeshauptstadt beobachtet werden können, ist Ricklingen. Wie Andrea Holthaus-Voßgröne aus dem städtischen Fachbereich Tiefbau erläuterte, habe man dort zwischen 2014 und 2018 eine Deichanlage errichtet, die sich nach dem Hochwasser von 2017 in diesem Jahr nun ein zweites Mal bewährt habe. Die ein Kilometer lange Wallanlage reicht vom Südschnellweg bis zum Edelhof und verfügt über mehrere Durchlässe, die rasch mit extra dafür vorgesehenen Platten wasserdicht verschlossen werden können. An jedem Durchlass können zwei Schutzwände hintereinander eingesetzt werden, wodurch die Anlage auch dann noch sicher bleibt, wenn das strömende Wasser mit angespültem Geröll die erste Wand zerstören sollte.
Voraussetzung für das Funktionieren dieser Wallanlagen seien aber zwei andere Maßnahmen gewesen, die dieser vorgelagert sein mussten, erläuterte Holthaus-Voßgröne. Zunächst musste die Landeshauptstadt die Benno-Ohnesorg-Brücke, die am Schwarzen Bären die Ihme überquert, umgestalten. Die Brücke bewirkte offenbar lange Zeit eine Verengung des Flusses, die einen Rückstau bis nach Ricklingen verursachte, der in normalen Zeiten zwar kein Problem, bei Hochwasser aber riskant gewesen ist. Durch eine Verlängerung der Brücke um 20 Meter konnte man die Enge auflösen. Die zweite Maßnahme, die in diesem Zusammenhang von Holthaus-Voßgröne genannt wird, ist die Ihme-Vorlandabgrabung – also bauliche Vorkehrungen entlang des Ihme-Ufers direkt gegenüber vom Ihme-Zentrum. Inzwischen gibt es dort ein terrassenförmiges Areal, das im Sommer durchaus zum Verweilen anregt.
Vorm Eingreifen der Stadt standen dort Bäume und es gab allerlei Böschungsgeröll. Als man die Bäume damals fällen wollte, habe es massive Proteste gegeben, erinnert sich die Mitarbeiterin aus dem Fachbereich Tiefbau. Beim jüngsten Hochwasser konnte man derweil beobachten, wie dieser Bereich nun wirkt: Das Wasser füllte den 55.000 Kubikmeter fassenden sogenannten Retentionsraum nahezu komplett aus. Ohne diese Vorkehrungen hätte die Ihme weitaus größeren Schaden an den Gebäuden ringsum anrichten können. Insgesamt 30 Millionen Euro hat sich die Landeshauptstadt diese drei Schutzmaßnahmen kosten lassen.
Im Norden Hannovers muss investiert werden
Während die neuen Vorkehrungen im Süden Hannovers ihren Dienst getan haben und bis zu einem Pegelstand von bis zu sechs Metern auch noch gehalten hätten, zeigte sich im Norden, dass es noch Nachbesserungsbedarfe gibt. An der Wasserkunst im Schatten des Großen Gartens in Herrenhausen etwa hat die Feuerwehr das sogenannte „Aquariwa“-System zum Schutz vor Überflutungen eingesetzt. Dabei wurden Plastikzylinder miteinander verbunden und dann mit Wasser gefüllt, um auf einer Höhe bis 1,20 Meter das Hochwasser aufzuhalten, wie Christoph Bahlmann, Chef der hannoverschen Feuerwehr, berichtete.
Mit diesen Erfahrungen und angesichts der neuen Prognosen des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) zum hundertjährigen Hochwasser bereiten sich Hans-Otto Weusthoff und sein Team von der hannoverschen Stadtentwässerung nun auf weitere Überschwemmungen vor. Dies wird voraussichtlich allerdings noch einige Jahre dauern. Derzeit erarbeite man ein entsprechendes Konzept, das die neuen Überschwemmungslinien des NLWKN berücksichtigen soll. Demnach wären statt bislang 5000 künftig bis zu 25.000 Hannoveraner von den Überschwemmungen betroffen, zudem auch wichtige Teile der Infrastruktur wie etwa Kläranlagen.
Mit diesem Konzept werde man allerdings erst Mitte des kommenden Jahres fertig, prognostiziert Weusthoff. Mit einer vollständigen Umsetzung der Maßnahmen rechnet der stellvertretende Betriebsleiter der Stadtentwässerung erst 2027. Für Hannovers Oberbürgermeister Onay steht allerdings fest: Da muss noch einiges getan werden. Zumindest solange die Erinnerungen an die jüngsten Ereignisse noch frisch sind, dürfte es um die politische Unterstützung für derartigen Maßnahmen noch gut bestellt sein.
Dieser Artikel erschien am 12.01.2023 in der Ausgabe #004.
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