Die neue Landesvorsitzende der niedersächsischen Grünen, Greta Garlichs aus Hannover, hadert derzeit mit Teilen ihrer Bundespartei. Im Interview mit der Redaktion des Politikjournals Rundblick geht sie deutlich auf Distanz zu dem von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock verteidigten Asyl-Kompromiss auf EU-Ebene. Weite Teile der Partei in Niedersachsen seien damit höchst unzufrieden. Außerdem äußert sich Garlichs zu landespolitischen Themen.

Rundblick: Frau Garlichs, Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour haben den von Bundesinnenministerin Nancy Faeser mitausgehandelten Kompromiss zur Asylpolitik auf EU-Ebene öffentlich unterstützt. Da geht es dann auch um Lager an den EU-Außengrenzen, in denen sich Menschen aufhalten sollen, die aus sicheren Drittstaaten in die EU kommen. Was sagen Sie dazu?
Garlichs: Dieser Kompromiss bringt uns nicht weiter, ich lehne ihn ab. Die Situation an den Außengrenzen wird sich verschlimmern und das Leid der Menschen, die Schutz vor Krieg, Verfolgung, Folter und Gewalt suchen, wird zunehmen. Sogar Familien mit Kindern sollen monatelang in den Haftlagern bleiben. Auch die Frage, welche Drittstaaten nun sicher sind oder nicht, ist nicht so klar zu beantworten, wie es suggeriert wird. Bisher bin ich immer davon ausgegangen, dass Abkommen wie die Genfer Flüchtlingskonvention eine Errungenschaft unserer Zivilgesellschaft sind, auf die wir stolz sein können. Das, was da beschlossen wurde, widerspricht dem. Diese Ansicht teilen viele Grüne und SPD-Mitglieder auf allen Ebenen, da stehe ich nicht alleine mit.
Rundblick: Was erwarten Sie jetzt?
Garlichs: Ganz klar: Dieses von SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser fälschlicherweise als „historischen Erfolg“ bezeichnete Ergebnis kann so nicht bleiben und darf auf keinen Fall im EU-Parlament so beschlossen werden. Die hier vereinbarte Lösung ist eine reine Antwort auf rechten Populismus, die nun überhaupt nicht dazu beiträgt, die Probleme zu lösen. Warum die Grünen in der Bundesregierung dem zugestimmt haben? Vermutlich in der Illusion, über einen solchen Weg würde sich tatsächlich etwas verbessern. Was sie dabei nicht beachtet haben, ist die Stimmung in der Partei, nicht nur in Niedersachsen: Viele unserer Mitglieder gehören deshalb den Grünen an, weil sie eine andere, eine moderne und aufgeschlossene Zuwanderungspolitik haben wollen. Einige Politikerinnen und Politiker haben diese Haltung an der Grünen-Basis und in der Zivilgesellschaft massiv unterschätzt. Jetzt hilft nur eines: Die Grünen müssen davon wieder abrücken. Der Länderrat am Sonnabend, auf dem darüber diskutiert wird, dürfte noch spannend werden.

Rundblick: Wer ist denn hauptsächlich verantwortlich für das alles?
Garlichs: Das ist Bundesinnenministerin Nancy Faeser – sie hat am Ende zugestimmt in den Verhandlungen. Ihre Äußerungen zu dem Thema in den vergangenen Wochen waren widersprüchlich – erst spricht sie von einem „historischen Erfolg“ und jetzt schiebt sie die Verantwortung für notwendige Verbesserungen auf das EU-Parlament ab. Offenbar ist sie in der doppelten Funktion als Bundesinnenministerin und wahlkämpfende SPD-Spitzenkandidatin in Hessen zu stark gefordert. Aber auch Politiker anderer Parteien und auch einige Grüne müssen sich der Verantwortung stellen.

Rundblick: Kommen wir zu einem anderen Problem der Bundesregierung, dem Gebäude-Energie-Gesetz. Darüber hat es einen langen und intensiven Streit gegeben. Ist das auf Mängel in der politischen Führung von Robert Habeck in seinem Ministerium zurückzuführen?
Garlichs: Ich bin schon entsetzt darüber, wie verzerrt die Dinge teilweise dargestellt wurden – etwa von der FDP-Abgeordneten Ria Schröder. Wenn sie davon redet, dass „der Zwangsumtausch der Heizung abgewendet“ worden sei, dann blendet sie aus, dass ein Zwangsumtausch nie geplant war. Das ist eine bewusste Verbreitung von Falschinformationen – und die führt zur Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger sowie der Wirtschaft.
Rundblick: Viele Grüne beklagen sich, dass ein Gesetzentwurf im Frühstadium durchgesteckt wurde an die Medien. Hätte man damit nicht aber rechnen müssen?
Garlichs: Ja, das hätte man. Die Kommunikation in dieser Frage lief nicht gut. Was wir als Ampel-Koalition beispielsweise daraus lernen können, ist die Bedeutung von Absprachen: Die Akteure müssen untereinander Vertraulichkeit wahren und anerkennen, dass alle einen gemeinsamen Koalitionsvertrag unterzeichnet haben, in dem beispielsweise auch die Wärmewende vereinbart war. Wenn man dorthin zurückkommt, anstatt Opposition in der eigenen Regierung zu spielen, und zugleich mit den Bürgern besser kommuniziert, spielen Durchstechereien und öffentliche Streitereien keine große Rolle mehr. Eine andere Erkenntnis ist, dass die grob vereinfachten, zu stark zugespitzten und allzu oberflächlichen Botschaften zu einem komplexen Gesetz eben nicht alle der Wahrheit entsprechen. In der Verkürzung wurden oft falsche Inhalte übermittelt und unnötig aufgeputscht. Der Gesetzentwurf bot deutlich weniger Anlass zu Aufregung, als am Ende daraus gemacht wurde.
Rundblick: Ist die Stimmung in Niedersachsen eine andere? Hier gibt es doch auch Konflikte – denken wir nur an die Debatte über den Südschnellweg. Verkehrsminister Olaf Lies hatte erklärt, er wolle eine Überarbeitung der schon planfestgestellten Ausbaupläne prüfen. Hat er da nicht etwas versprochen, von dem er schon hätte wissen müssen, dass es gar nicht klappen kann?
Garlichs: Wir arbeiten in der rot-grünen Koalition deutlich vertrauensvoller und koordinierter zusammen. Was den Südschnellweg angeht: Es war der richtige Ansatz, die vorgelegten Pläne so lange zu überprüfen, in Frage zu stellen und zu verändern, so lange es noch geht. Als Grüne finden wir, dass die Planungen nicht im Sinne der Bürger oder des Umweltschutzes geschehen sind. Wenn Minister Lies tatsächlich einen Spielraum nur vortäuscht, den es gar nicht mehr gegeben hat, dann ist das ein fatales Zeichen. Dann würden wir deutlich kommunizieren, dass so etwas nicht geschehen darf.

Rundblick: Kommen wir zu den sogenannten „Klima-Klebern“, die sich auf der Straße festkleben und damit ihren Protest gegen die ihrer Ansicht nach mangelhafte Klimapolitik ausdrücken wollen. Sind das aus Ihrer Sicht eigentlich Straftäter?
Garlichs: Uns ist es wichtig, dass der Klimaschutz ernst genommen wird. Viele Menschen haben zu Recht den Eindruck, dass das seit Jahrzehnten nicht geschieht. Wenn die Politik ihre Verantwortung nicht wahrnimmt, dann kleben sich die Leute auf der Straße fest.
Rundblick: Nochmal nachgefragt: Sind das Straftäter?
Garlichs: Die gewünschte Aufmerksamkeit haben diese Leute erreicht. Ob sie damit auch mehr Menschen von der Notwendigkeit des Klimaschutzes überzeugt haben, ist fraglich. Die Leute von der „Letzten Generation“ sind verzweifelt, und ich habe durchaus Verständnis für die Wut über mangelhaften Klimaschutz. Ich halte das für „zivilen Ungehorsam“ und würde es niemals gleichsetzen mit Protesten etwa von Rechtsextremisten und Verfassungsfeinden.
Rundblick: Rot-Grün hat einen Aktionsplan für queere Menschen angekündigt, der nächste Woche im Landtag beraten werden soll. Sind Sie zufrieden mit dem, was da geplant wird?
Garlichs: Das geht mir nicht weit genug – und ich frage mich, ob alle in der Regierung die nötige Ernsthaftigkeit bei dem Thema mitbringen. Wir müssen gegen wachsende Hasskriminalität wie beim vergangenen CSD in Hannover entschlossen vorgehen. Die Erfassung queerfeindlicher Hasskriminalität von der Polizei ist beispielsweise ein großer Erfolg. Wir sollten der Polizei hierbei den Rücken stärken und das ausbauen. Insgesamt aber reicht es nicht, bei dem Thema ein paar bunte Regenbogenfahnen zu hissen. Die Gewalt gegen queere Menschen und viele andere marginalisierte Gruppen nimmt zu. Wir müssen da aktiver werden, denn auch hieran lässt sich messen, wie erfolgreich wir als Gesellschaft und als Demokratie sind.
