
In vielen niedersächsischen Großstädten ist der Klimaschutz längst vom Randthema zur Kernaufgabe avanciert. Braunschweig, Lüneburg, Osnabrück oder Göttingen haben erklärt, dass sie bis 2030 CO2-neutral werden wollen. Die Landeshauptstadt und die Region Hannover sowie Oldenburg wollen zumindest bis 2035 nachziehen. In den Klein- und Mittelstädten zwischen Harz und Küste hält man sich mit solchen Ankündigungen dagegen lieber zurück. Dass aber auch ländliche Gemeinden beim Klimaschutz nicht nur kleckern, sondern auch klotzen können, zeigt die Flächenstadt Geestland. Die 33.000-Einwohner-Gemeinde im Landkreis Cuxhaven zählt nicht nur für die Klimaschutz- und Energieagentur Niedersachsen zu den Vorreiterkommunen. Auch die Jury des Deutschen Nachhaltigkeitspreises, die meistens Kommunen aus Bayern auszeichnet, hat Geestland schon zweimal (2017 und 2022) zur „nachhaltigsten Stadt mittlerer Größe“ gekürt. Energiesparen ist dabei natürlich ein ganz zentrales Thema, die Kommune wird aber auch selbst als Strom- und Wärmeversorger tätig. Mit dem „GrööNet“ und einem Energiepark plant die Stadt gleich zwei Unternehmen mit Modellcharakter. Langfristig will die Kommune sogar ihre eigenen „grünen Stadtwerke“ gründen.

„Industrie folgt Energie. Wenn wir das Thema in den Griff kriegen, haben wir nicht nur einen großen Beitrag zum Klimaschutz geleistet, sondern auch dafür gesorgt, dass Arbeitsplätze geschaffen werden“, sagt Geestlands Noch-Bürgermeister Thorsten Krüger, der ab 1. Januar das Amt des Landrats in Cuxhaven übernimmt. In der öffentlichen Debatte habe sich diese Erkenntnis allerdings nur langsam durchgesetzt, wie das Beispiel des neuen Energie- und Innovationspark in Bad Bederkesa zeigt. „Da gab es erstmal in der Bevölkerung großen Widerstand, wir mussten den Baubeginn auf nächstes Jahr verschieben“, berichtet Krüger. Nicht zuletzt der BUND hatte den Bau von Biomasse-Heizwerk und Photovoltaik-Anlagen im ehemaligen Landschaftsschutzgebiet Amtswiesen torpediert. „Natürlich begrüßen wir es, wenn die Stadt Geestland weniger fossile Energieträger nutzen möchte. Es darf dafür aber nicht zusätzlich eine große Fläche Natur verbraucht werden“, argumentierten die Naturschützer vor zwei Jahren. Heute muss Krüger vielmehr Kritik dafür einstecken, dass das Projekt nicht schon wie ursprünglich geplant bis Ende 2021 umgesetzt wurde. „Jetzt sagen die Bürger: Warum habt ihr das nicht gebaut, dann bräuchten wir die Heizung in den Schulen nicht runterdrehen“, berichtet der Bürgermeister. Mit der im Energiepark erzeugten Wärme soll neben der Moor-Therme, die der kommunalen Tourismus-GmbH gehört, nämlich auch die benachbarte Oberschule beheizt werden.

Für den Energiepark sollen zwar 3000 Quadratmeter Fläche versiegelt werden. Die CO2-Ersparnis durch das Projekt beziffert die Stadt jedoch auf rund 1000 Tonnen jährlich, weil der überwiegende Teil der Wärme (75 Prozent) aus nachwachsenden Rohstoffen erzeugt werde. Ein weiterer positiver Nebeneffekt: Bislang müssen die Überreste der städtischen Landschaftspflegemaßnahmen kostspielig entsorgt werden. Ab der Fertigstellung 2023 wandern die Holz-Hackschnitzel ins Biomasse-Heizkraftwerk. Die Stadt investiert rund fünf Millionen Euro in das Projekt, eine weitere Million schießt der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) hinzu. „Ohne Fördermittel geht es nicht“, sagt Krüger und rät seinen Bürgermeister-Kollegen in Niedersachsen, sich hier immer gut zu informieren. „Wir haben in der Verwaltung eine Mitarbeiterin, die sich anschaut: Was gibt es für Fördertöpfe?“, berichtet der Hauptverwaltungsbeamte und verrät: „Beim Bund gibt es eigentlich immer was.“ Allein schon durch das Modellprojekt „Smart City“ habe sich Geestland so einen zweistelligen Millionenbetrag an Zuschüssen sichern können.
Darüber hinaus plant die Stadt den Aufbau eines eigenen städtischen Energieversorgungsnetzes: Das „GrööNet“ Geestland. „Dazu wollen wir zwei Windenergieanlangen mit einer Leistung von jeweils 100 Kilowattstunden errichten. Der erzeugte Strom soll möglichst direkt für die LED-Straßenbeleuchtung von zwei Ortschaften sowie für elf städtische Liegenschaften genutzt werden“, berichtet Krüger. Die überschüssige Energie soll in einer Flussbatterie gespeichert und mittels Elektrolyse in Wasserstoff umgewandelt werden. Diesen Wasserstoff könne man dann für die Betankung von Elektro- und Wasserstoff-Fahrzeugen nutzen. „Langfristig könnten aus dem Projekt eigene ‚grüne‘ Stadtwerke resultieren, die dann auch die Haushalte in Geestland mit grünem Strom versorgen“, sagt der Bürgermeister. Bei Politik und Bevölkerung gebe es großen Rückhalt für das Vorhaben, das vom Stadtrat bereits 2019 beschlossen wurde. Krüger kündigt zudem an: „Einer der nächsten Schritte ist, dass wir auch aus Abwasser Wärme gewinnen wollen.“

Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Nachhaltigkeit: Geestland verwandelt sich in eine „Smart City“. Diese kann man sich ähnlich vorstellen wie ein Smart Home – nur eben in deutlich größerem Maßstab. „Aktuell werden die Zählerstände in unseren Liegenschaften nur einmal jährlich abgelesen“, sagt Krüger. Das wird sich ändern. Die 100 kommunalen Liegenschaften sollen stufenweise mit intelligenten Sensoren ausgerüstet werden, die den Strom-, Gas- und Wasserverbrauch bis zu vier Mal täglich erfassen und an einen Server im Rathaus funken. Dort werden die Daten dann von einer speziellen Softwarte ausgewertet. „Zunächst betrifft das nur 50 Prozent der Liegenschaften, aber das sind die Hauptverbraucher“, sagt Krüger. Durch das Monitoring kann die Stadt erkennen, wo zu viel Energie verbraucht wird und wo nachgesteuert werden muss. „Das wird zum Beispiel dann wichtig, wenn ein Gebäude einen hohen Wärmeverbrauch meldet, obwohl es in dem Moment gar nicht benutzt wird. Oder wenn der Wasserverbrauch sprunghaft ansteigt, ausgelöst durch einen technischen Defekt wie etwa ein Leck im Rohr“, erläutert der Bürgermeister. Die Installation der Sensoren ist schon beauftragt, das Funknetzwerk soll bis zum Ende des Jahres eingerichtet sein. Auch die Bereiche Landwirtschaft, Wirtschaft, Gesundheit, Bildung, Wohnen und Mobilität werden in der Smart City künftig besser vernetzt. Und auch das kommt – etwa durch bessere Verkehrskonzepte oder Synergieeffekte – teilweise der Umwelt zugute, soll aber vor allem die Kommune zukunftsfähig aufstellen.
Die Klimaschutzmaßnahmen werden von der Bevölkerung aber nicht immer positiv aufgenommen, wie die aktuellen Energiesparmaßnahmen der Stadt Geestland zeigen. „Wir haben die Wassertemperaturen im Schwimmbad gesenkt und daraufhin einen richtigen Shitstorm erlebt“, berichtet Krüger. Auch über die Abschaltung der Straßenlaternen zwischen 1 und 4 Uhr in der Nacht hätten sich viele Bürger aufgeregt und auf die Sicherheitsrisiken für ältere Mitbürger hingewiesen. „Ich habe die wenigsten Senioren nachts zwischen 1 und 4 Uhr auf der Straße gesehen“, entgegnet Krüger. Trotzdem setzt er nicht auf Konflikt, sondern will die Bürger mitnehmen. „Was nicht zu unterschätzen ist, ist der direkte Dialog. Wir müssen so viel wie möglich mit den Leuten sprechen. Und wir dürfen nicht nur sagen: Ihr müsst das jetzt machen, sondern wir müssen das auch vorleben“, betont der zukünftige Landrat. Er fordert: „Wir brauchen beim Energiesparen eine Aufklärung, die ehrlich und mutig ist.“
