Glyphosat erlauben? Überall, nur in der Samtgemeinde Artland nicht
Darum geht es: Der Rat der Samtgemeinde Artland hat gestern Abend über einen sehr ungewöhnlichen Vorschlag abgestimmt: Die Kommune will allen Bauern, die von ihr Land gepachtet haben, die Verwendung des umstrittenen Pflanzenschutzmittels Glyphosat verbieten. Damit bäumt sich ein kleiner Ort im Osnabrücker Land gegen die EU auf. Ein Kommentar von Klaus Wallbaum.
Es erinnert an die Geschichte von Asterix, Gallien und dem römischen Reich: Was global von einer Großmacht festgelegt wird, scheitert in der flächendeckenden Umsetzung an einer kleinen unbeugsamen Region. Erst vor wenigen Tagen hat die EU entschieden, das umstrittene und von vielen als krebserregend eingestufte Pflanzenschutzmittel Glyphosat für weitere fünf Jahre zu erlauben. Dass der deutsche Landwirtschaftsminister von der CSU hierfür die Hand hob, obwohl der sozialdemokratische Koalitionspartner dagegen war, hat eine Koalitionskrise ausgelöst – aber am Ergebnis nichts mehr geändert. In Deutschland kann das Mittel also weiter angewendet werden, Berlin hält still. Dafür raffen sich jetzt die Kommunalpolitiker in der knapp 23.000 Einwohner zählenden Samtgemeinde Artland nahe Osnabrück auf, um sich den Festlegungen aus Brüssel mutig zu widersetzen. Artland rüstet zum Kampf gegen Brüssel wie Asterix einst gegen Rom.
Gestern Abend hat der Rat der Kommune, zur der auch die Stadt Quakenbrück gehört, über einen merkwürdigen und vermutlich bisher bundesweit einzigartigen Antrag des Grünen-Ratsherrn Holger Fuchs-Bodde-Gottwald beraten und ihm laut Gemeinderat am Ende auch zugestimmt. Der Mann mit dem Dreifachnamen betreibt im heimischen Ortsteil Badbergen eine Imkerei und einen Honighandel, der Schutz der Insekten und der Kampf gegen Glyphosat sind für ihn also ein Anliegen aus Überzeugung und Geschäftssinn gleichermaßen. Das Unkrautvernichtungsmittel tötet Pflanzen und Blüten – und damit auch die Insekten, besonders die Bienen, die für Fuchs-Bodde-Gottwald eine Existenzgrundlage bieten. So beantragt er, die Gemeinde möge auf allen ihr gehörenden Flächen, dazu gehören 60 Hektar an Grünland und Ackerland, die Anwendung von Glyphosat untersagen. Das ist ein weitgehender Schritt, der dem Geist des EU-Beschlusses zuwiderläuft.
Darf sich das eine Kommune überhaupt anmaßen? Ja, sie darf. Es geht ja nicht darum, auf dem Gebiet der Gemeinde generell eine bestimmte Nutzung zu verbieten – dies wäre rechtswidrig. Vielmehr wird beantragt, die Gemeinde solle als Eigentümer ihrer eigenen Flächen festlegen, wie diese bewirtschaftet werden können. Nach der Abstimmung müsste die Gemeindeverwaltung nun als nächsten Schritt festlegen, ob die bestehenden Pachtverträge gekündigt oder einvernehmlich mit den Bauern per Zusatzabkommen erweitert werden. Auf jeden Fall muss die Samtgemeinde mit ihrem Bürgermeister Claus-Peter Poppe (SPD) an der Spitze dann alles tun, den Wunsch der eigenen Vertretung möglichst rasch umzusetzen.
Der lange Kampf der Friedensbewegung gegen gefährliches Kriegsgerät wurde in den achtziger Jahren auch bestimmt dadurch, dass sich Gemeinden reihenweise zu „atomwaffenfreien Zonen“ erklärten.
Am Beispiel Glyphosat haben wir nun wieder einen Fall, in dem die nationale, ja globale politische Vorgabe ganz unten, in einer Gemeinde, aus Protest durchkreuzt wird. Dabei kann Fuchs-Bodde-Gottwald gar nicht auf die geschlossene Unterstützung seiner Region bauen, denn der Geschäftsführer des Osnabrücker Landvolks nannte seinen Vorstoß schon „einen politischen Gag“ – und verwies auf die Tatsache, dass die angebliche negative Wirkung von Glyphosat keineswegs bewiesen sei. Viele Landwirte im Osnabrücker Land verfolgen das Agieren des Grünen-Ratsherrn mit Kopfschütteln.
Ein Gag ist Fuchs-Bodde-Gottwalds Vorstoß indes keineswegs. Richtig ist zwar, dass die Wirkung des gewünschten Beschlusses nur sehr begrenzt ist, nämlich auf nur 60 Hektar, die symbolische Bedeutung allerdings vervielfacht sich – allein durch die Berichterstattung über den Fall. Dafür gibt es ein historisches Beispiel: Der lange Kampf der Friedensbewegung gegen gefährliches Kriegsgerät wurde in den achtziger Jahren auch bestimmt dadurch, dass sich Gemeinden reihenweise zu „atomwaffenfreien Zonen“ erklärten. Das hatte noch viel weniger praktische Bedeutung als das, was aktuell im Artland diskutiert wird, lenkte aber die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Thema. Die Sympathie war schnell auf Seiten der Kommunen – auch, weil im Streit David gegen Goliath jeder gern auf Davids Seite stehen will.
Im Fall der Samtgemeinde Artland kann noch etwas anderes eine Rolle spielen: Erst vor wenigen Tagen ging die zu dieser Kommune gehörende Stadt Quakenbrück landesweit durch die Medien, weil eine Kommunalpolitikerin der Wahlfälschung angeklagt ist. Noch gegen weitere Mandatsträger gibt es Vorwürfe, sie sollen 2016 Briefwähler beeinflusst und Unterlagen manipuliert haben. Das so etwas gehäuft gerade in Quakenbrück aufgetreten ist, hat den Ruf der Kleinstadt nicht gerade aufgebessert. Der tapfere Kampf gegen Glyphosat kann jetzt ein Mittel sein, die landes- oder gar bundesweite öffentliche Aufmerksamkeit auf ein anderes, positiveres Thema zu lenken.