Die Bildungsgewerkschaft GEW geht landesweit von derzeit 10.000 Schulbeschäftigten aus, die zu Beginn des neuen Schuljahres am Donnerstag in Niedersachsens Schulen fehlen. Wie der Landesvorsitzende Stefan Störmer und sein Vize Holger Westphal am Montag erklärten, sind damit nicht nur Lehrer gemeint, sondern auch Mitarbeiter von multiprofessionellen Teams für die Inklusion, Erzieher, Therapeuten und Schulsozialarbeiter.

Die GEW schätzt, dass von den 2300 ausgeschriebenen Lehrer-Stellen vermutlich längst nicht alle besetzt werden könnten. Aus den niedersächsischen Studienseminaren, also den Lehrer-Ausbildungsstätten im Lande, stünden nur 1470 Absolventen bereit. Das liege auch daran, dass viele jüngere angehende Lehrer in Nachbarländer abwanderten, da sie dort mit besseren Arbeitsbedingungen rechneten. Störmer verknüpfte diese Einschätzung mit einer generellen Kritik an der Arbeit des von Grant Hendrik Tonne (SPD) geführten Ressorts: „Das Kultusministerium hat den tatsächlichen Personalbedarf noch nie offen und ehrlich ausgewiesen.“
Nach Ansicht der GEW muss die nächste Landesregierung in einem Nachtragsetat eine Milliarde Euro zusätzlich bereitstellen, damit die drängendsten Schulprobleme beseitigt werden können. Störmer erklärte, was er darunter versteht: Es gehe um zusätzliche Mittel für Fachkräfte, die bei der Inklusion (der Betreuung von Kindern mit Behinderung im Schulunterricht) mithelfen, außerdem um die bevorstehende Ganztags-Ausweitung in Grundschulen, die auf Bundesrecht beruht. Die zügige Erhöhung der Besoldung von Grund- und Hauptschullehrern auf A13 (von vielerorts derzeit noch A12) sei auch notwendig.
„Das Kultusministerium hat den tatsächlichen Personalbedarf noch nie offen und ehrlich ausgewiesen.“
Zudem müssten mehr Lehrer-Studienplätze angeboten werden, im noch engeren Kontakt von Kultus- und Wissenschaftsministerium solle geklärt werden, wie angehende Lehrer noch zielgerichteter auf den späteren Bedarf hin gesteuert werden könnten. Schließlich müsse auch eine Vertretungsreserve aufgebaut werden, mit der sichergestellt werden müsse, im Fall von krankheitsbedingten Lehrer-Ausfällen sofort Ersatzunterricht anbieten zu können. Die GEW-Spitze regt außerdem an, dass die neue Landesregierung gleich nach Amtsantritt auf die Opposition zugehen und ein „breites Bündnis für Bildung“ ansteuern sollte. Darin enthalten sein solle eine Verabredung über eine kontinuierliche Steigerung des Bildungsetats zur schrittweisen Beseitigung der Mängel – „strategisch und langfristig, über eine Legislaturperiode hinaus“.
Auf Nachfragen räumte Störmer ein, dass Gegenstand eines solchen Bündnisses auch eine Basis für die Finanzierung der Mehrausgaben sein könne. Nicht widersprochen hat Störmer der Einschätzung, es könne auch um eine verfassungsändernde Mehrheit im Landtag zur Abschwächung der Schuldenbremse gehen. Diese Schuldenbremse verhindert bisher, dass außerhalb von Notlagen neue Kredite für zusätzliche Investitionen aufgenommen werden können.
Drei Viertel der Lehrer gehen vorzeitig:
In der GEW-Pressekonferenz verwies die Spitze der Gewerkschaft auf eine Statistik von 2021, nach der drei Viertel der Lehrer, die in Pension gegangen sind, die reguläre Altersgrenze unterschritten haben. Knapp 20 Prozent seien dienstunfähig geschrieben worden, 55 Prozent hätten einen Antrag auf vorzeitigen Ruhestand (bei Verzicht auf einen Teil der Altersbezüge) gestellt. Die GEW zieht daraus den Schluss, dass die Betroffenen verzweifelt gewesen seien und keinen anderen Ausweg als die Berufsaufgabe gesehen hätten. Daher müssten die Arbeitsbedingungen attraktiver werden: „Junge Leute sollen merken, dass der Beruf gute Perspektiven bereit hält und sie nicht fürchten müssen, ihn nicht bis zum Ende durchhalten zu können“, sagt Störmer. Die gegenteilige Strategie, nämlich die Bedingungen für vorzeitiges Ausscheiden von Lehrern zu verschlechtern, hält er nicht für geeignet: „Wenn man die Daumenschrauben ansetzt, werden noch mehr Lehrer vorzeitig gehen.“ In einer Umfrage von Insa bei 1000 Niedersachsen, die im Juni ermittelt wurde, gaben 40 Prozent an, dass für sie die Bildungspolitik bei der Landtagswahl einen sehr hohen oder hohen Stellenwert hat. Nur 17 Prozent hätten die Bildungspolitik der Landesregierung als gut bezeichnet.

VNL sieht regionale Unterschiede:
Der Verband Niedersächsischer Lehrkräfte (VNL) vermutet wie die GEW, dass nicht alle ausgeschriebenen Lehrerstellen besetzt werden können. Im Celler Bereich hätten sich auf 67 Suchanzeigen für neue Lehrer nur 29 Bewerber gemeldet. In den Grundschulen seien im Celler Raum nur 32 Prozent der Stellen besetzt worden. Wie VNL-Vorsitzender Torsten Neumann sagte, müssten die Grundschulen weiter mit Abordnungen arbeiten, das belaste die Lehrer über Gebühr.