Die Arbeitsgerichte in Niedersachsen liegen ganz weit vorn, aber die anderen kommen allmählich hinterher. Am Montag hat sich Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) vom Präsidenten des Landesarbeitsgerichts, Wilhelm Mestwerdt, über die Fortschritte bei der Digitalisierung unterrichten lassen. Am praktischen Beispiel wurde vorgeführt, was die Bearbeitung einer „elektronischen Akte“ (kurz: E-Akte) denn nun bedeutet. Früher gab es Dienstboten, die rollende Aktenböcke durch die Fluren der Gerichte zu den Dienstzimmern der Richter geschoben haben. Dort wurde dann morgens ein Stapel Akten im Büro des Richters abgeliefert, den dieser möglichst zu erledigen hatte. „Das war ein schönes Gefühl, wenn man dann am späten Nachmittag den Stapel vollständig abgeräumt hatte“, berichtet Wahlmann, die selbst vor ihrer Ministerzeit als Richterin gearbeitet hat.

Wie es jetzt läuft, haben Mestwerdt und die Vorsitzende Richterin Julia Bartels der Ministerin vorgeführt: Im Computer ist eine Liste an Akten aufgeführt, der „Stapel“ von früher besteht jetzt in Form einer Liste auf dem Bildschirm. Jede Akte ist besonders gekennzeichnet, und wenn der Richter sie bearbeitet hat, kann sie mit speziellen Vermerken an die Justiz-Mitarbeiter weitergeleitet werden. Das geschieht mit einem einfachen Klick.
Sobald die Mitarbeiter über Terminverschiebungen, Ergänzungen oder die Versendung von Akten oder Aktenteilen an Anwälte befinden, geschieht dies elektronisch. Zwischen den verschiedenen Justizbediensteten können dann auch Bearbeitungsvermerke ausgetauscht werden, die über eine besondere Funktion für Außenstehende, etwa Rechtsanwälte, unsichtbar gemacht werden können. Auch Sonderfunktionen wie Anträge auf Prozesskostenhilfe oder Verknüpfungen mit anderen Schriftsätzen sind elektronisch zu erledigen.
„Viele Mitarbeiter haben noch Störgefühle“
Die Vernetzung geschieht oft über große Distanzen, ohne dass Ausdrucke transportiert werden müssen. „Viele Mitarbeiter sind an ihren Homeoffice-Arbeitsplätzen vollständig ausgestattet und haben von dort Zugriff auf alle Unterlagen“, erläutert Mestwerdt. Dies sei eine erhebliche Arbeitserleichterung und zudem ein Baustein zur Modernisierung der Justiz – Verhandlungen mit Video-Zuschaltung seien ein weiterer Schritt in diese Richtung.
Mestwerdt berichtet, einige Mitarbeiter hätten bei der Umstellung ein „Störgefühl“ empfunden, denn bei manchen Bearbeitungen müsse man recht häufig mit Computer-Klicks arbeiten, was für viele eine Umstellung bedeute. Man könne sich aber gut daran gewöhnen – ebenso wie an juristische Datenbanken im Computernetz, die von den Richtern für ihre Entscheidungsfindung heutzutage herangezogen werden. Ein Relikt aus alter Zeit ist der Stempel, den ein Richter auf einen Aktenvorgang drückt. Dies geschieht jetzt elektronisch. „Dabei wäre das eigentlich entbehrlich“, meint Wahlmann.
Nach den Worten der Ministerin wird mit der E-Akte „nach und nach auch eine Verschlankung der Abläufe“ einhergehen – damit auch ein Abbau an notwendigen Stellen. Es werde aber nicht so sein, dass ein Richter die ihm übertragenen Vorgänge ganz allein bearbeite, er brauche immer auch Zuarbeiter. Diese hätten, ergänzt Mestwerdt, zunehmend die Rolle von „Richterassistenten“.
Das Landesarbeitsgericht und alle 15 Arbeitsgerichte in Niedersachsen sind bereits vollständig auf die E-Akte umgestellt, für alle acht Sozialgerichte gilt das ebenso, das Landessozialgericht startet im November eine Pilotphase. Das gilt auch für das Oberverwaltungsgericht Lüneburg und für drei Verwaltungsgerichte – sowie für das Finanzgericht an ausgewählten Senaten. Pilotverfahren gibt es auch an allen drei Oberlandesgerichten, wo bereits alle Zivilsenate umgestellt sind. Sieben von elf Landgerichte arbeiten mit der E-Akte. Bei den Amtsgerichten, von denen es in Niedersachsen 80 gibt, ist die vollständige Umsetzung der E-Akte für das kommende Jahr geplant, an mehreren Orten sind wichtige Schritte dazu schon vollzogen. Bei Staatsanwaltschaften, Strafgerichten und Polizei dauert der Umstellungsprozess länger, alle Bereiche sollen hier eng aufeinander abgestimmt werden.