30. Nov. 2022 · Bildung

Generationenforscher Rüdiger Maas: Kinder brauchen kein Tablet, sondern Zugang zur analogen Welt

Rüdiger Maas spricht zu den Philologen in Goslar. | Foto: Kleinwächter

Sie sind unkonzentriert, leisten immer weniger und sind nicht mehr so verlässlich wie früher. Das Urteil über die Jugend von heute fällt erwartungsgemäß nicht so gut aus bei der Jahresversammlung des Philologenverbands Niedersachsen. Im Bildungssystem bahnt sich der nächste Generationsbruch an: Die letzten Babyboomer verlassen bald den Schuldienst und die „Generationen X und Y“ schicken ihrerseits nun ihre Kinder in die Schule. Wer trifft da eigentlich gerade zusammen? Und noch viel wichtiger: Was kommt nun danach? Um die Welt der Schüler von heute und morgen besser zu verstehen, hat der Philologenverband zu seiner 75-Jahr-Feier gestern in Goslar den Generationenforscher Rüdiger Maas für einen Vortrag eingeladen. Dabei warb der Psychologe und Bestseller-Autor („Generation lebensunfähig“) für Verständnis auf beiden Seiten und begründete den Zustand der Jugend zum einen mit der sinkenden Konkurrenz innerhalb der Generation, zum anderen mit dem enorm anwachsenden Einfluss der digitalen Welt.

Der entscheidende Bruch ereignete sich demnach mit der „Generation Y“, also ebenjenen Jahrgängen, die rund um 1990 geboren wurden und deshalb die letzte Generation bilden, die noch eine analoge Kindheit hatten. Konzentrationsfähigkeit und auch Geduld fielen in den späteren Generationen, „Z“ und „Alpha“ genannt, deshalb geringer aus, skizzierte Maas die derzeitigen Schülergenerationen. Verantwortlich dafür seien aber nicht die Kinder, sondern die Erwachsenen von gestern und heute: „Die Welt, in der die heutigen Jungen großgeworden sind, ist die Welt, die wir so wollten“, sagte Maas.

Den Kindern nun schon in der Grundschule ein Tablet aufs Pult zu legen und mit digitalem Unterricht auf diese „Generation Alpha“ zu reagieren, sei aber nicht der richtige Weg, ist der Generationenforscher überzeugt. „Ich kann die digitale Welt auch erstmal analog vermitteln“, sagte Maas an all diejenigen gewandt, die meinen, in den Schulen müssten nun entsprechend neue Kompetenzen gelehrt werden. „Es ist kein Gewinn, wenn wir Kindern in der ersten Klasse schon Tablets geben. Die meisten Dinge daran funktionieren ohnehin intuitiv.“ Jene Eltern, die es für eine Hochbegabung halten, wenn ihr Kleinkind schon auf dem Smartphone die Fotos weiterwischen kann, muss er enttäuschen: „Auf Tablets zu wischen ist keine kognitive Höchstleistung, das können schon Schimpansen.“ Auch sollte man sich nicht der Illusion hingeben, die sogenannten „Digital Natives“, die mit digitalen Endgeräten großgeworden sind, würden damit allein schon besondere Fähigkeiten für den Arbeitsmarkt mitbringen. „Da kommen ja keine digitalen Profis, sagen mir Unternehmer. Da kommen Menschen, die sich digital entertainen lassen.“

Deshalb, so der Rat des Wissenschaftlers, sollten die Lehrergenerationen von heute das nutzen, was sie im Gegensatz zu ihren Schülern noch haben: eine ganz andere Verbindung zur analogen Welt. Als Beispiel berichtet er von Jugendlichen, die am Bahnhof völlig aufgeschmissen einmal nach seinem Smartphone gefragt haben sollen, um sich in der Bahn-App nach einer Ersatzverbindung erkundigen zu können. Er habe das abgelehnt, schilderte Maas, und habe ihnen stattdessen erklärt, wie man den Fahrplan-Aushang richtig liest. Diese Anekdote sollte beispielhaft die Brüche aufzeigen, die zwischen den Generationen bestehen in Aspekten wie der Wahrnehmung der Umgebung oder dem Umgang mit Langeweile oder Herausforderungen. Maas rät den Lehrern dazu, diese Werte der analogen Welt zu vermitteln, denn sie seien die letzte Generation, die das noch könne.

Philologen-Chef fordert Belastungsgerechtigkeit

Die von der rot-grünen Landesregierung angekündigte Anhebung der Lehrerbesoldung auf A13 löst beim Philologenverband Niedersachsen keine Jubelstürme aus – aber auch keine pauschale Ablehnung. Dass die Anhebung nun kommt, sei unabhängig vom Ausgang der Wahl erwartbar gewesen, sagte der Verbandsvorsitzende Christoph Rabbow am Mittwoch bei der Jahrestagung der Philologen in Goslar. Politisch könne er das Anliegen zwar verstehen, schließlich würden alle Lehrkräfte ein Masterstudium und ein Referendariat absolvieren, hätten also denselben Ausbildungsweg. Inhaltlich kämen die Philologen aber zu einer anderen Bewertung.

Christoph Rabbow begrüßt die Delegierten. | Foto: Kleinwächter

„Wir neiden niemandem die A13-Besoldung. Man kann doch aber nicht mit zweierlei Maß messen, aber genau das wird gemacht.“ SPD und Grüne sprächen gerne von Respekt und Gerechtigkeit, sagte Rabbow und fügte dann an: „Zehn Prozent Mehrarbeit bei gleicher Bezahlung ist nicht gerecht. Das ist Ausbeutung von Arbeit. Wer so tickt, tickt nicht richtig.“ Die Attraktivität des Berufs des Gymnasiallehrers leide darunter, und das „kann sich die Bundesrepublik, das darf sich das Land Niedersachsen nicht leisten.“

Der Philologenverband fordert deshalb zum Ausgleich für die Anhebung der Lehrerbesoldung für alle auf A13 eine Entlastung für Gymnasiallehrer. Wie das kurzfristig hergestellt werden könnte, gab Rabbow dem anwesenden Kultus-Staatssekretär Marco Hartrich auch gleich mit auf den Weg: Die Minusstunden nach den Abiturprüfungen sollten nicht mehr gezählt werden. Lehrer, die einen Leistungskurs unterrichten, sollten um eine Stunde entlastet werden, bei einem Grundkurs um eine halbe Stunde. Koordinatoren sollen für diese Tätigkeit künftig fünf Stunden angerechnet bekommen. „Wer ‚A13 für alle‘ sagt, muss Belastungsgerechtigkeit für alle herstellen“, meint Rabbow.

Dieser Artikel erschien am 1.12.2022 in Ausgabe #214.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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