Gegenwind, Rückenwind und Aufwind bei Weils Sommertour
„Das Wetter dreht sich. Wir sollten umkehren“, schallt es im Watt vor der Küste Cuxhavens von hinten. Die Gruppe, bestehend aus Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, Mitarbeitern der Staatskanzlei und Journalisten war abends am Strand von Dunen beherzt ins Watt marschiert. Noch einmal den Kopf freibekommen nach einem Sommertour-Tag mit vielen Terminen und schwülem Wetter. „Och, ein bisschen noch“, ruft Weil, der vorneweg marschiert, und läuft weiter. Der Wetterwechsel passiert direkt danach von der einen auf die andere Sekunde. Plötzlich peitscht der Wind über das Watt und zwingt die Gruppe doch zum Umdrehen. Kurz bevor der Sandstrand erreicht ist, kommt Weil dann noch mit zwei Touristen ins Gespräch. Man kann kaum ein Wort verstehen, so laut ist der Wind. Weil ficht das nicht an. Sturmfest ist er offensichtlich, der niedersächsische Ministerpräsident.
Wind ist ein wichtiges Thema bei dieser Sommertour des Ministerpräsidenten. Sie steht ganz im Zeichen der erneuerbaren Energien. Auf dem Programm steht unter anderem ein Produzent von Windkraftanlagen in Aurich, eine Windturbinen-Baustelle in Cuxhaven und der Chemieriese Dow in Stade, der Wasserstoff als zusätzliche Energiequelle nutzen will. Der letzte Termin der Reise bietet zunächst einmal einen Blick in die Vergangenheit. Im Jahr 2003 wurde das Kernkraftwerk Stade stillgelegt, seit rund zwölf Jahren wird es zurückgebaut. Wer direkt im Kraftwerk steht, ahnt nicht mehr, dass an genau dieser Stelle einst ein Druckwasserreaktor 640 Megawatt Leistung erzeugte. Es sieht aus wie auf einer Baustelle. Dennoch merken die Besucher, dass dies keine ganz normale Baustelle ist. Sie tragen weiße Schutzanzüge, Sicherheitsschuhe und Handschuhe. Alle haben Dosimeter bei sich, um Strahlenwerte zu messen, und müssen am Ende des Rundgangs durch eine Schleuse.
Man sei beim Rückbau fast im Plan, heißt es von der Preussen-Elektra. Stade ist weltweit der zweite kommerzielle Reaktor, der weitgehend zurückgebaut ist. Im Jahr 2021 will man mit den nuklearen Teilen der Anlage fertig sein, zwei Jahre später soll es an dem Standort wieder eine „grüne Wiese“ geben, wie es heißt. Vor Überraschungen ist man allerdings nicht gefeit. Im Jahr 2014 wurde eine Kontamination im Beton der sogenannten Kalotte gefunden – das ist der Boden unterhalb des Sicherheitsbehälters. Entstanden ist sie durch Leckagen bis in die 90er Jahre hinein. Erst dann wurde der Boden besser beschichtet. 5000 Tonnen Beton sind davon betroffen. Ein Jahr habe man gebraucht, um das Gesamtprojekt an dem neuen Problem auszurichten, erklärt der Technische Leiter des Kraftwerks, Michael Klein.
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Dabei ist der gesamte Rückbau schon kompliziert genug. „Man kann viele Fehler machen. Der Prozess muss langfristig vom Ende her geplant werden. Die Prozesssteuerung muss perfekt sein“, sagt Guido Knott, Vorsitzender der Geschäftsführung der Preussen-Elektra. Wenn man einmal den falschen Weg einschlage, könne man viel Zeit und Geld verlieren. Als Beispiel nennt er den Rückbau im Kernkraftwerk Würgassen. Dort seien Gebäudeteile abgerissen worden, die man im Nachhinein noch gebraucht hätte. „Aus dem Fehler haben wir gelernt“, so Knott.
Bei dieser Sommertour ist viel von Lernkurven die Rede. Die Preussen-Elektra hofft, mit dem Erlernten am Ende Geld zu verdienen. Deshalb ist das Kernkraftwerk Stade für das Unternehmen nicht nur Vergangenheit, sondern auch Zukunft. „Acht Anlagen müssen bis zum Jahr 2040 zurückgebaut werden. Danach wollen wir dieses Wissen vermarkten“, sagt Knott. Er sieht gute Perspektiven für die Ingenieure, die daran arbeiten – und das über viele, viele Jahre. Knott spricht von einer Generationenaufgabe. „Das ist eine der spannendsten industriepolitischen Aufgaben, die das Land gerade vor sich hat. Wir sprechen von wirklicher Ingenieurskunst.“
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Stephan Weil ist beeindruckt. „Pioniere des Rückbaus“ nennt er die Experten in Stade. „Auf der einen Seite sehe ich hier eine leicht beklemmende Vergangenheit, auf der anderen Seite eine spannende Perspektive für die Zukunft und eine wirtschaftliche Chance,“ sagt der Ministerpräsident und nimmt ein Wort in den Mund, das der Kanzlerin schon einmal viel Häme beschert hat: Neuland. In diesem Fall ist der Begriff aber korrekt. Die Kompetenzen zum Rückbau von Kernkraftwerken sind noch im Aufbau. Zum Abschied seines Besuchs in Stade bekommt Weil von Knott ein kleines goldenes Kernkraftwerk aus dem 3 D-Drucker. „Kernkraftwerk Stade“ steht darauf. Der Ministerpräsident ist amüsiert. „Das ist ein bisschen antizyklisch zu den anderen Geschenken“, lacht Weil.
Lernkurven ist der eine, Chancen der zweite viel genutzte Begriff auf dieser Reise. Die erneuerbaren Energien sieht Weil vor allem als Chance für den Norden. „Niedersachsen ist ein Gewinner der Energiewende“, erklärt Weil im Sommertourbus im Gespräch mit dem Rundblick. Das sehe man am Beispiel Cuxhavens, das sich als das deutsches Offshorezentrum etabliert habe. „Das ist der Stadt nach langen bitteren Jahren, dem Niedergang der Fischindustrie, zu gönnen. Cuxhaven hat wieder Aufwind.“ Da ist er wieder, der Wind des Wandels. Und vor Wind fürchtet sich Weil bekanntlich nicht, erst recht nicht vor Aufwind. Sturmfest halt. (MB.)