Gefühl der Unsicherheit in jüdischen Gemeinden
In den jüdischen Gemeinden in Deutschland hat sich ein Gefühl der Unsicherheit breit gemacht. „Unser Warnlicht blinkt häufiger“, sagte der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, in einer Veranstaltung im niedersächsischen Landtag. Er sprach unter anderem über die zunehmende Israel-Feindlichkeit in der Gesellschaft. „Der jüdische Staat ist bis weit in die Mitte unserer Gesellschaft hinein einer massiven Kritik ausgesetzt, wie sie andere Staaten bei weitem nicht aushalten müssen. Manchmal gewinne ich den Eindruck, dass Israelis geradezu genüsslich als Täter dargestellt werden“, so Schuster. Es sei häufig der uralte Antisemitismus, der sich im neuen Gewand präsentiere. Eine sachliche Kritik an der israelischen Regierungspolitik sei dabei völlig legitim. Immer häufiger werde aber das Existenzrecht Israels in Frage gestellt oder alle Juden unter Generalverdacht gebracht. In weiten Teilen der Bevölkerung werde die Bedeutung Israels für die Juden kaum wahrgenommen: „Für alle Juden weltweit ist Israel der sichere Hafen. Israel ist unsere Rückversicherung“, machte Schuster im Landtag deutlich.
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Der Präsident des Zentralrates stellt ein raueres Klima und eine verbale Enthemmung in Deutschland fest. „Das betrifft nicht nur die jüdischen Gemeinden. Aber in unseren Reihen sorgt die Entwicklung vermutlich für eine größere Beunruhigung.“ Auf Demonstrationen, an denen Bürger aus der Mitte der Gesellschaft teilnehmen, werde Hass gegen Minderheiten geschürt. Neue Parteien wie die AfD setzten auf Ausgrenzung. „Die Partei schürt Ressentiments, die in der Gesellschaft schlummern und jetzt wieder geweckt werden“, so Schuster. Er hält es für angemessen, Teile der AfD vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. An die etablierten Parteien appellierte er: „Machen Sie das Spiel der Provokation nicht mit. Bleiben Sie besonnen.“ Die Parteien müssten sich an ihre eigenen Grundideen zurückerinnern und nicht immer nur den Thesen von Rechtspopulisten hinterherlaufen, sagte Schuster im Anschluss im Gespräch mit dem Rundblick.
Sowohl Schuster als auch Landtagspräsident Bernd Busemann gingen in ihren Reden auch auf die Erinnerungskultur ein. „Ich plädiere nachhaltig für Gedenkstättenbesuche von Schülern“, sagte Schuster. „An den authentischen Orten können junge Menschen auch heute noch die Dimensionen des Verbrechens viel besser erfassen als aus einem Schulbuch. Empathie mit den Opfern und Verantwortungsbewusstsein entstehen nicht anhand nackter Zahlen.“ Deutschland sei gefordert, eine Gedenkkultur zu entwickeln, die auch 70 Jahre nach Kriegsende noch die Menschen erreiche und zu einer Einwanderungsgesellschaft passe. „Schande verjährt nicht“, sagte Busemann im Landtag. Der Auftrag der Erinnerung sei noch bedeutender geworden. „Wir müssen die junge Generation dafür rüsten, wogegen sie notfalls angehen muss, damit sich der Holocaust niemals wiederholt.“
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Busemann ging auch auf die Rede des thüringischen AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke ein. Dieser hatte von einer „dämlichen Bewältigungspolitik“ gesprochen. „Braune Sprüche wie dieser zeigen, dass wir wachsam bleiben müssen“, sagte Busemann. Er appellierte an die „anständige Mehrheit der Gesellschaft“, sich deutlich und entschiedener mit den jüdischen Freunden solidarisch zu zeigen. „Juden in Deutschland müssen auf die unbedingte Solidarität der Mehrheitsgesellschaft zählen können, wenn es darum geht, Antisemitismus zu bekämpfen“, so der Landtagspräsident.