In Niedersachsen gibt es bisher keine klare Regeln dafür, ob und wenn ja wie die Polizei nach bestimmten Einsätzen Gebühren erheben soll oder sogar muss. Der Landesrechnungshof hatte in seinem 2022 vorgelegten Bericht gravierende Mängel im Innenministerium festgestellt: Gebühren seien nicht konsequent erhoben worden, manchmal habe der Vollzug viele Monate gedauert – oft hätten die Forderungen auch weit unter den tatsächlich entstandenen Kosten gelegen. Das Ministerium sei weder konsequent vorgegangen noch habe es den Sachverhalt vollständig bearbeitet.

Im September 2022 beschloss der Landtag, dass die bisherige Praxis überprüft wird und Konsequenzen gezogen werden. Dies sollte zwar bis Ende 2022 geschehen, passierte aber auch anderthalb Jahre später noch nicht. Im Innenausschuss des Landtags hat es dazu nun kürzlich eine Befragung von Experten gegeben. Basis dafür war ein CDU-Entschließungsantrag von Mai 2023 mit der Forderung, die Kosten „zeitnah und vollständig“ zu erheben. Die CDU ist für eine „Wegtragegebühr“ – die solle dann anfallen, wenn Demonstranten der Aufforderung der Polizei, sich von einem Platz zu entfernen, nicht nachkommen und abgeführt werden müssen.
Aber ist das überhaupt so einfach möglich? Prof. Mattias Fischer von der „Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit“ in Kassel findet es „bemerkenswert“, dass Niedersachsen aus der Reihe der Bundesländer herausragt – viele andere Länder hätten nämlich die Gebührenpflicht in ihren Polizeigesetzen schon geregelt. Eine klare gesetzliche Regel erleichtere auch die Anwendung. Berend Lindner vom Landesrechnungshof sagte, die Zentralisierung der Gebührenbearbeitung und der Einsatz der Digitalisierung könnten bewirken, dass die Einnahmen aus einer „Wegtragegebühr“ nicht wesentlich niedriger sein werden als die Kosten der Bearbeitung dieser Gebührenbescheide.

Ulrich Watermann (SPD) und Evrim Camuz (Grüne) hatten zuvor die Haltung vertreten, diese Gebühr bringe wenig, da der Verwaltungsaufwand zu hoch sei. André Bock (CDU) erwiderte, diese Gebührenpflicht solle ja auch einen „erzieherischen Effekt“ haben. Prof. Fischer aus Kassel erklärte, er könne sich neben der „Wegtragegebühr“ noch zwei andere Schritte vorstellen. Einer davon sei die Gebührenpflicht für Fußballvereine, wenn es teure Polizeieinsätze bei Großveranstaltungen wegen randalierender Fans und gewaltsamen Auseinandersetzungen gibt. Bisher habe nur Bremen dieses Verfahren eingeführt, das Bundesverfassungsgericht befasst sich mit einer Klage dagegen, hat aber noch nicht entschieden. Der dritte Schritt ist für Fischer eine „Unfallmeldegebühr“, wie sie in Hamburg und Brandenburg diskutiert worden sei. Es gehe darum, bei jedem Bagatellunfall, zu dem die Polizei gerufen werde, eine pauschale Zahlung zu verlangen. Bei all diesen Gebührenfragen ist Niedersachsen nach Fischers Meinung „bisher sehr zurückhaltend“.

Anders als Fischer hält die Marburger Jura-Professorin Monika Böhm eine Rechtsgrundlage für eine „Wegtragegebühr“ auch in Niedersachsen schon als gegeben an. Dass sie nicht angewandt werde, liege wohl vor allem an der „noch optimierungsfähigen IT-Ausrichtung der Polizei“. Auch der GdP-Landesvorsitzende Kevin Komolka erklärt: „Bei der Digitalisierung gibt es noch viel Luft nach oben.“ Ob es für das für die Polizei geplante neue Vorgangsbearbeitungssystem eine digitale Schnittstelle geben werde, sei „noch immer nicht beantwortet“, sagt Komolka. Der GdP-Vorsitzende wendet sich gegen die von Fischer empfohlene „Unfallmeldegebühr“: „Ich will nicht, dass die Bürger Angst haben, die Polizei zu rufen, weil sie glauben, sich damit Kosten aufzuladen.“
Patrick Seegers von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) sieht es ähnlich und verweist auf die Unsicherheit vieler Bürger über die Frage, ob ein Bagatellunfall tatsächlich ein solcher sei – oder womöglich doch nicht. Der Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler aus Münster sieht das Problem einer „Wegtragegebühr“ weniger in dem Prinzip und mehr in den weiteren Rechtsfolgen: Wenn eine Versammlung von der Polizei aufgelöst werde und Teilnehmer, die sich auf der Straße festgeklebt haben, nicht freiwillig entfernen, müsse die Polizei unmittelbaren Zwang anwenden und die Leute loslösen. „Die Gebühr dafür beträgt in einigen Bundesländern etwa 80 Euro. Aber wenn man dagegen rechtlich angehen will, weil man die Polizeianweisung für falsch hält, entstehen schon mal Gerichtskosten von 2500 Euro in erster Instanz. Das wollen viele nicht auf sich nehmen.“ Diese Höhe könne also eine abschreckende Wirkung auf Versammlungsteilnehmer haben – und das Demonstrationsrecht beeinträchtigen. Prof. Markus Ogorek aus Köln widerspricht: Es gehe ja hier um Polizeieinsätze gegen Demonstranten, die sich im Augenblick des Wegtragens gar nicht mehr auf das Versammlungsrecht berufen können.