Alexander Fürst zu Schaumburg-Lippe aus Bückeburg nimmt zunehmende Gereiztheit und wachsende Anfeindungen wahr – auch gegen den Adel in Deutschland gerichtet. Dies geschehe ohne jede sachliche Begründung, und das ärgert ihn, erklärte er beim Besuch der Redaktion des Politikjournals Rundblick.

Rundblick: Als im Dezember in einer Verhaftungswelle mehrere Verschwörer festgesetzt wurden, die einen Umsturz geplant haben sollen, war auch ein Heinrich XIII. Prinz Reuß unter den Festgenommenen. Angeblich war er der Kopf der Gruppe und sollte später „Reichskanzler“ werden. Viel ist danach über die Frage diskutiert worden, ob der Adel in Deutschland republikfeindlich eingestellt sei. Was meinen Sie?
Alexander Schaumburg: Der Vorwurf ist absurd. Dieser Prinz Heinrich XIII., der Rico genannt wird, hat sich vor 15 Jahren von seiner Familie abgewandt. Seine Verwandten haben sich klar von seinem Verhalten distanziert. Ich kenne ihn nicht persönlich, weiß aber, dass er schon lange ein Außenseiter ist, mit dem man in der Familie nichts zu tun haben wollte. Es liegt völlig neben der Sache, ihn als typisch für den Adel darzustellen.
Rundblick: Aber da gibt es ja noch andere Namen, die immer wieder in der öffentlichen Debatte genannt werden. Etwa Doris von Sayn-Wittgenstein, die kurz davor stand, neue AfD-Bundesvorsitzende zu werden – oder auch Beatrix von Storch, die profilierte AfD-Bundestagsabgeordnete.
Alexander Schaumburg: Es gibt einzelne, die nicht in der Mitte der Gesellschaft, sondern am Rand stehen. Was Beatrix von Storch angeht, hat Jobst Graf von Wintzingerode vor Jahren anschaulich die Vorgeschichte ihrer Radikalisierung beschrieben. Sie hängt damit zusammen, wie nach 1990 mit Vermögenswerten umgegangen wurde, die in der Sowjetischen Besatzungszone konfisziert worden waren. Für viele Betroffene war dieser Umgang ein Schock, weil er das Vertrauen in den freiheitlichen Rechtsstaat beschädigt. Das hat zum Beispiel auch Christian Wulff gesehen und sich als niedersächsischer Ministerpräsident immer wieder für eine Verbesserung eingesetzt. Die Radikalisierung der Beatrix von Storch ist aber nicht die Regel, sondern ein Einzelfall. Ein weiterer mit demselben Hintergrund ist Heinrich XIII. Reuß. Es mag noch ein paar andere Fälle geben, aber insgesamt handelt es sich um ein Orchideen-Phänomen. Die sogenannte Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein heißt eigentlich Doris Ulrich und ist als Erwachsene adoptiert worden. Immer wieder kommt es vor, dass Menschen über Adoptionen einen adligen Namen erwerben, weil sie sich davon wirtschaftliche oder gesellschaftliche Vorteile versprechen. Ersteres gelingt nur selten, Letzteres nie. Meine frühere Frau ist eine echte Sayn-Wittgenstein. Deshalb weiß ich: Die Einstellung von Frau Ulrich findet sich in dieser Familie bei niemandem, sie selbst hat mit niemandem Kontakt. Denn die weitaus meisten Adeligen teilen die Ansicht von Graf Wintzingerode, der im Hinblick auf die AfD geschrieben hat: „Wer die Freiheit verteidigen will, konservativ zu leben, muss in der offenen Gesellschaft eine politisch liberale Haltung einnehmen." So ist es, und deshalb verbietet sich eine rechtsextreme Einstellung schon im eigenen Interesse, genauso wie im Interesse der Allgemeinheit.

Rundblick: Wie erklären Sie sich, dass der Adel jetzt mit rechtsextremen Tendenzen oder Reichsbürgern in Verbindung gebracht wird?
Alexander Schaumburg: Jedes Mal, wenn einzelne Adelige sich öffentlich daneben benehmen, wird das auf die ganze Gruppe angewendet. Warum das so ist? Womöglich liegt es daran, dass die meisten Mitglieder des Hochadels sich aus öffentlichen und politischen Diskussionen zurückziehen und sich teilweise abschotten. Der Hochadel, das sind in Deutschland etwa 3000 Personen meist aus früher regierenden Häusern. Einige wenige von ihnen, aber längst nicht alle, sind immer noch sehr wohlhabend.Leider ist es so, dass sich viele solcher Familien umso mehr zurückziehen, je stärker sie Anfeindungen in der öffentlichen Debatte wahrnehmen. Es ist aber weder gerecht noch realistisch, wenn wir als Gruppe für Verfehlungen einzelner insgesamt in Haftung genommen werden – so bei der AfD-Politikerin Sayn-Wittgenstein, obwohl sie nicht einmal zu uns gehört, bei dem Prinzen Reuß, der sich mit seiner Familie überworfen hat, oder wenn sonst irgendjemand aus der Rolle gefallen ist.

Rundblick: Aber es ist doch umgekehrt auch so, dass Prinz Reuß nicht zufällig von bestimmten Kreisen als Anführer eines Umsturzes ausgeguckt wurde – warum, meinen Sie, ist man gerade auf ihn gekommen?
Alexander Schaumburg: Vielleicht kam er diesen Leuten geeignet vor, weil ihnen die Wiederrichtung des Kaiserreichs vorschwebt und weil ihr mutmaßlicher Wunschkandidat nicht im Traum daran denkt, mit ihnen zu kooperieren. Oder vielleicht ist er rhetorisch talentiert, trotz seiner Hirngespinste. Ich weiß es nicht. Ich halte die „Reichsbürger“ für Wahnsinnige, die keinen Anspruch darauf haben, mit ihren schrägen Vorstellungen ernst genommen zu werden, die aber auch nicht verharmlost werden dürfen. Etliche von ihnen sind radikal und militant, manche illegal schwer bewaffnet. Die ganz überwiegende Mehrheit des deutschen Adels, Annahmen zufolge ist das eine Gruppe von 80.000 Menschen, hat mit diesen oder ähnlichen Leuten absolut nichts gemein. Sie steht fest zu diesem Staat und seiner demokratischen Ordnung. Ich selbst bin als Mitglied der FDP ein leidenschaftlicher Verteidiger unseres demokratischen Systems, seiner Grundwerte und seiner Grundrechts- und Freiheitsgarantien.
Rundblick: Das mag ja sein. Aber immer wieder werden Vertreter des Adels auch Zielscheiben heftiger Kritik, wie etwa Georg-Friedrich Prinz von Preußen. Der hatte ja im Rechtsstreit um Ansprüche seines Hauses auf Rückgabe von Besitztümern öffentlich nicht viele Sympathien auf seiner Seite…
Alexander Schaumburg: Wir könnten jetzt über die Natur seiner Ansprüche reden, die nicht so dreist und abwegig sind, wie gern behauptet wird, aber das würde zu weit führen. Im Prinzip hat er dasselbe Recht wie jeder andere Bürger auch, sich gegen Falschbehauptungen zur Wehr zu setzen. Vielleicht aber hat es sein Anwalt übertrieben, vielleicht hat er zu viele Abmahnungen verschickt. Das wurde dann in manchen Medien als Einschüchterungsversuch gewertet und es hat Journalisten verärgert. Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, da mehr Zurückhaltung zu üben und auf Zusammenarbeit und Faktenvermittlung zu setzen, soweit das möglich war. Generell lässt sich beobachten, dass die meisten Adeligen die Medien meiden und dann im Konfliktfall unvorteilhaft reagieren, weil sie keine Erfahrung haben. Ich habe jahrzehntelang mit den Medien kooperiert, solange sie nicht übergriffig wurden und bin damit sehr gut gefahren.
Rundblick: Ist der Adel der Sündenbock für andere Unzufriedenheiten?
Alexander Schaumburg: Pauschale Diskriminierung gilt unter Linken als Tabu, aber offenbar nicht gegen jedermann. Der Adel hat den Ruf, nach wie vor privilegiert zu sein, obwohl es längst keine rechtlichen Privilegien mehr gibt und wirtschaftliche, etwa in Gestalt großer Erbmassen, seltene Ausnahmen sind. Wegen dieser vermeintlichen Privilegien ist aus linker Sicht dem gesamten Adel gegenüber Diskriminierung nicht nur erlaubt, sondern sogar wünschenswert und Ausweis der korrekten Gesinnung. Das finde ich schwierig.

Rundblick: Worin äußert sich das?
Alexander Schaumburg: Ein Grünen-Politiker hat beispielsweise eine Internetseite gegründet, wo er Belege für eine angebliche Republikfeindlichkeit des Adels zusammentragen wollte. Er suchte sogar ohne jeden Anlass nach Steuervergehen und forderte dazu auf, ihm so etwas zu melden, als läge Steuerhinterziehung sozusagen in unserer DNA. Erfolgreich war das trotz seines Denunziationsaufrufs nicht, aber seine Absichten waren schon sehr aufschlussreich. Just diejenigen, die sich gerne öffentlich gegen das Aussprechen jedes Generalverdachts verwahren, haben keinerlei Hemmungen, genau den gegen uns zu richten. Kürzlich las ich auf der Website ausgerechnet der „Tagesschau“ die absurde Verschwörungstheorie, der deutsche Adel - so wurde das dort ausgedrückt - finanziere mit riesigen Summen eine Kampagne gegen Transpersonen unter Führung von Beatrix von Storch. Da frage ich mich schon, was stimmt mit Leuten nicht, die so einen lächerlichen Unsinn verbreiten, und das auch noch in einem öffentlich-rechtlichen Medium?
Rundblick: Wie kann denn der Adel seinen Ruf aufbessern? Sollten Sie versuchen, eine Medienkampagne zu Ihren Gunsten zu starten?
Alexander Schaumburg: Ich denke, dass auf dem Land und in kleineren Städten, etwa bei uns in Bückeburg, kaum Vorbehalte existieren, insbesondere dort nicht, wo wir leben. Sehr viele Adelige engagieren sich für das Gemeinwohl, persönlich oder in Verbänden, und das weiß man dort, wo wir zuhause sind. Das hat ja auch eine lange Tradition. Ich selbst arbeite unter anderem mit in einer lokalen Hilfsorganisation namens „Interhelp“ zusammen, die sich international bei Naturkatastrophen und Krisen einsetzt. Mein Sohn, der sich auch für das DRK engagiert, ist für „Interhelp“ zu Anfang des Krieges unter schwierigen Bedingungen in die Ukraine gereist, um Hilfsgüter dorthin zu bringen. Dieses gesellschaftliche Engagement betreiben wir natürlich auch im lokalen und regionalen Rahmen. Esdient nicht der Selbstdarstellung, sondern der Sache, aber man darf und muss es auch kommunizieren, und sei es nur, um ein Beispiel zu geben. Wichtig ist auch, die historischen Fakten zu vermitteln: Beim Aufbau der Bundesrepublik gehörte der Adel ganz überwiegendzu den Stützen der repräsentativen Demokratie. Das ist heute noch so, auch wenn die Bandbreite der politischen Strömungen beim Adel heute nahezu der gesamten Gesellschaft entsprechen dürfte. Wenn es nun die Absicht einflussreicher Gruppen sein sollte, den Adel insgesamt als Feindbild aufzubauen, weil es sich gerade anbietet, könnte das gelingen. Dann sollten wir aber versuchen, dem Zerrbild die Tatsachen entgegenzuhalten.

im Gespräch in der Rundblick-Redaktion. | Foto: Heinrich Jobst Graf von Wintzingerode