Die Politik zeigte sich zugeneigt, die Fachwelt aber irritiert: Der frühere Bundesagrarminister Jochen Borchert (CDU) hat jetzt die Ergebnisse der nach ihm benannten Kommission zur Umgestaltung der Nutztierhaltung vor Fachleuten erläutert – und er forderte die Einführung einer „Tierwohlabgabe“. Borchert trat vor dem Agrar- und Ernährungsforums Oldenburger Münsterland (AEL) auf. Sein Urteil lässt sich dabei schnell zusammenfassen: So wie jetzt, geht es nicht mehr weiter – deshalb müsse nun zügig ein Systemwechsel eingeleitet werden.

Der frühere Agrarminister Jochen Borchert äußerte sich bei einer Videokonferenz des AEF – Foto: Screenshot; nkw

 

Die veränderten Rahmenbedingungen führten dazu, dass die konventionelle Nutztierhaltung in Deutschland immer weiter unter Druck gerät und die Wettbewerbsfähigkeit leidet. Lange Zeit habe sich die Nutztierhaltung in Deutschland allein daran orientiert, Marktanteile zu gewinnen und zu verteidigen, erläuterte Borchert. Inzwischen gehe es aber nicht nur um ökonomische, sondern auch um ökologische und ethische Erwartungen. Da der Verbraucher aber wankelmütig sei – morgens nach Schnäppchen sucht und nachmittags eine Petition für mehr Tierwohl unterzeichnet – müsse der Staat eingreifen. Wenn nun nicht politisch gehandelt werde, würden bald Gerichtsurteile oder Volksbegehren neue Standards festlegen, die der Lebensmittelwirtschaft erheblich schaden könnten, warnt Borchert. Der Staat müsse nun für die Produktion des öffentlichen Gutes „Tierwohl“ zahlen. Vergleichbar sei das auch bei Biogas oder Windkraft, die sich nur durch Subventionen lohnten. „Es ist die Aufgabe des Staates mit öffentlichem Geld das öffentliche Produkt Tierwohl zu erzeugen“, sagt der frühere Bundesagrarminister.

Umbau kostet 3,6 Milliarden Euro jährlich

Den ersten Schritt muss nach Borcherts Ansicht nun die Politik gehen, konkret der Bundestag. Dort solle man sich darauf verständigen, einen umfassenden Umbau der Nutztierhaltung anzustoßen – in Form eines langfristigen Generationenvertrags. Nach Borcherts Vorstellung bleiben dann insgesamt 20 Jahre Zeit, um die Nutztierhaltung Stück für Stück umzubauen. Das Ziel beschreibt der einstige Agrarminister so: Bis 2040 sollen 80 Prozent der Tierproduktion in Deutschland den Ansprüchen der zweiten Tierwohl-Stufe nach den Maßgaben des Bundesagrarministeriums entsprechen, 20 Prozent müssten der dritten Stufe genügen. Zunächst werde die Umgestaltung 1,2 Milliarden, später dann 3,6 Milliarden Euro jährlich kosten, rechnet die Borchert-Kommission aus, in der neben Politik und Wissenschaft auch Agrarexperten und Tierwohlorganisationen beteiligt waren.


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Bei der Finanzierung hat man verschiedene Modelle abwogen. Sicher waren sich die Experten, dass der Markt das aktuelle Problem nicht regeln werde – weder allein über höhere Preise noch über eine Selbstverpflichtung des Lebensmitteleinzelhandels. Steigende Preise für Tierwohl-Produkte führten nur dazu, dass die Produktion der Lebensmittel ins Ausland abwandere. EU-Importe von Billigfleisch ließen sich aber nicht verbieten, so Borchert. Auch eine Förderung über die Europäische Union schlug Borchert aus, da die EU-Subventionen bei der Bewirtschaftung der Flächen und dem dortigen Ausgleich für Umweltauflagen dringender gebraucht würden.

Tierwohlabgabe zur Finanzierung neuer Ställe

Die Refinanzierung solle über eine Tierwohlabgabe in Form einer Sondersteuer für tierische Produkte erreicht werden. Auf den Fleischpreis sollten etwa 40 Cent pro Kilo, bei der Milch zwei Cent pro Kilo draufgeschlagen werden, die dann im Bundeshaushalt für die Umgestaltung der Nutztierhaltung vorgehalten werden sollen. Die Nutztierhalter sollen im Folgenden dann einen Vertrag mit dem Staat schließen, der langfristig die Finanzierung der Investitionen und der neuen Produktionsweise beziehungsweise auch Verlustausgleiche absichert. Auf die kritische Nachfrage, ob sich der Staat auch in den folgenden Legislaturperioden daran halten werde, erwiderte Borchert, dass er noch nie erlebt habe, dass sich der Staat nicht an Verträge hält. Allerdings könnte es natürlich dazu kommen, dass ein späterer Bundestag die Konditionen verändert. Deshalb rät er den Tierhaltern dazu, schnell zuzugreifen, sollte sich die Politik auf seinen Vorschlag einlassen. „Wer zögert, muss dann damit leben, dass er nicht mehr die guten Bedingungen bekommt wie derjenige, der schnell handelt.“

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Auf die Frage, ob die Corona-Krise dieses Vorhaben nun wohl ausbremst, antwortete der frühere Agrarminister zweigeteilt. Zunächst geht er davon aus, dass die Krise aufgezeigt hat, wie wichtig eine heimische Produktion ist. Daher müsste der Politik nun daran gelegen sein, diese zu halten. Andererseits erwartete er auch Skepsis, ob die Finanzierung von 3,6 Milliarden Euro zurzeit leistbar sein wird. Doch dabei verweist er darauf, dass die ersten Investitionen wohl frühstens 2022/23 zu tätigen sein werden und die gesamte Summe erst in 20 Jahren aufgebracht worden sein muss. Dann sollte die Corona-Krise wohl überstanden sein.