Frauen müssen sich den Griff an den Po nicht gefallen lassen
Darum geht es: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat die Staatsanwaltschaft Oldenburg kritisiert. Diese hatte ein Verfahren gegen einen Soldaten mit dem Hinweis eingestellt, der Mann habe eine Kameradin nicht als Beleidigung an den Po gefasst, sondern aus Imponiergehabe. Dazu ein Kommentar von Isabel Christian.
Als die „Stern“-Journalistin Laura Himmelreich im Spätsommer 2013 über ihre Begegnung mit dem FDP-Politiker Rainer Brüderle berichtete, löste sie damit eine bundesweite Debatte darüber aus, wie viel sexuelle Anmache Frauen sich gefallen lassen müssen. Sie schilderte, wie Brüderle ihr unverblümt auf den Busen starrte und eine unangemessene Bemerkung machte. Die Schar derer, die Himmelreich als Hysterikerin hinstellten und ihr rieten, sie solle sich mal nicht so anstellen, war groß. Ebenso aber auch die Zahl der Frauen, die sich von der jungen Journalistin ermutigt fühlten, ihre Erlebnisse scheinbar harmloser sexueller Annäherungen im Alltag öffentlich zu machen und eine Diskussion zu entfachen.
Seitdem hat sich viel getan. Im Sommer 2016 verabschiedete der Bundestag eine Verschärfung des Sexualrechts, ein Nein bedeutet jetzt auch vor Gericht nein. Verbale Anzüglichkeiten wie die angebliche von Brüderle sind zwar nicht dort beschrieben, doch körperliche Annäherungen wie das „Angrapschen“ von Brüsten oder Po können nun nach dem Strafrecht als sexuelle Belästigung geahndet werden. Für die Soldatin, die einen Kameraden wegen sexueller Nötigung angezeigt hatte, kommt das zu spät. Denn der Soldat soll ihr schon 2015 auf einem Fest an den Po gegriffen haben – vor der Reform des Sexualrechts. Demnach kann die Staatsanwaltschaft Oldenburg in der Sache zu keiner anderen Entscheidung kommen als das Verfahren einzustellen. Damals war das Grapschen eben noch keine Straftat.
Schlimmer ist jedoch, dass die Staatsanwaltschaft der Soldatin neben der Niederlage noch einen „Rat“ gibt: Sie solle den Vorfall nicht als Belästigung werten, sondern als Zeichen des Mannes, er habe Gefallen an ihr gefunden. Wie im Fall Brüderle bekommt die Frau gesagt, sie solle sich mal nicht so haben. Mit einer solchen Antwort reißt die Staatsanwaltschaft das fragile Gebilde des Vertrauens wieder ein, das der Bundestag mit der Verschärfung des Sexualstrafrechts errichtet hat. Nicht ohne Grund wurde das Grapschen unter Strafe gestellt. Frauen müssen es sich nicht gefallen lassen, von Männern angefasst zu werden, wenn sie selbst es nicht wollen. Schon gar nicht, wenn ein Mann sie dadurch zu Intimitäten zu überreden versucht.
Es ist ein ungewöhnlicher, aber konsequenter Schritt von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, das Verhalten der Staatsanwaltschaft öffentlich zu rügen. Gerade in einer Zeit, in der die Bundeswehr mit mehreren öffentlich gewordenen Fällen sexueller Nötigung zu kämpfen hat, hilft nur die Flucht nach vorne. Es ist bekannt, dass innerhalb der Bundeswehr noch immer recht archaische Vorstellungen herrschen. Das muss sich ändern, und das ist sowohl der Ministerin als auch den Führungskräften der Truppe klar. Aber das braucht Zeit und Unterstützung von außen. Noch immer ist der Anteil der Frauen unter den Soldaten in Deutschland sehr klein. Wer sich als Frau in die seit Jahrhunderten männerdominierten Strukturen der Armee wagt, muss nach wie vor damit rechnen, sexuellen Belästigungen ausgesetzt zu sein. Doch das ist kein Grund, das auch hinnehmen zu müssen.
Wenn die Bundeswehr moderner werden und ihre Nachwuchssorgen beseitigen will, muss sie Sicherheit vor sexuellen Angriffen bieten können. Sowohl für Frauen als auch für Männer. Das ist die Baustelle von Ministerin von der Leyen. Wenn ihr bei diesen Bestrebungen dann eine Behörde in den Rücken fällt, die eigentlich Teil dieses Schutzmantels ist, so ist das nicht nur eine Verhöhnung der Frauen, die nach der Gesetzesreform wieder Vertrauen in die Justiz gefasst haben. Es ist auch ein Rückschlag für jene, die die Bundeswehr zu einem geschlechterneutralen Arbeitgeber machen wollen.