Martina Machulla leitet seit drei Jahren den niedersächsischen Landesverband des Verbandes deutscher Unternehmerinnen (VdU). Im Interview mit dem Politikjournal Rundblick erklärt sie, wo aus ihrer Sicht die Hindernisse für mehr Frauen in Führungspositionen der Wirtschaft liegen. Mit ein paar Stellschrauben, meint sie, könne man vieles verändern. Aber die Entwicklung gehe bisher eben nur sehr langsam voran.

Rundblick: Frau Machulla, Sie leiten eine Rechtsanwaltskanzlei in Hannover und in Neustadt am Rübenberge. Welche Erfahrungen haben Sie beim Start in die Selbstständigkeit gesammelt?
Machulla: Viele Frauen lassen sich von Umständen abschrecken, die eben in der männlich geprägten Wirtschaftswelt dazugehören. Dabei liegt es nicht daran, dass sie etwa mangelnde Fähigkeiten hätten, nicht so gut ausgebildet wären oder die Eigenschaften nicht mitbrächten, die für einen Erfolg im Wirtschaftsleben erforderlich sind. Es sind meistens die von Vorurteilen geprägten Verhaltensweisen, die ausschlaggebend sind.
Rundblick: Was genau meinen Sie?

Machulla: Nehmen wir zum Beispiel die Finanzen. Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass Frauen bei den Banken schlechtere Karten haben als Männer. Vielleicht sind weibliche Manager von Unternehmen, die bei den Kreditgebern anklopfen, in ihrem Auftreten zurückhaltender, strahlen weniger eine Risikobereitschaft aus oder lassen es am nötigen Selbstbewusstsein manchmal fehlen – es gibt sicher viele Gründe. Oftmals haben es Männer mit ihrer Art dann leichter, entsprechende Finanzierungszusagen zu erhalten. Da haben sich offenbar im männlich geprägten Kreditwesen Verhaltensweisen eingeschlichen, die nicht mehr in die Zeit passen. Ich kenne viele Frauen, die als Unternehmerinnen mindestens so erfolgreich sind wie ihre männlichen Kollegen – obwohl oder manchmal auch gerade weil sie mehr zuhören als reden, überlegter oder rationaler agieren. Ich sage immer: Warum soll man eine Firma dem anvertrauen, der wie ein Wirbelwind durch die Gänge geht – besser ist doch derjenige, der mit dem Porzellan vorsichtiger umgeht.
"Warum soll man eine Firma dem anvertrauen, der wie ein Wirbelwind durch die Gänge geht?"
Rundblick: Woran liegt es, an den männlichen Seilschaften?
Machulla: Das ist ein Punkt, gerade im Bankenwesen ist die männliche Prägung vorherrschend – und auch die Einstellung, Männer seien risikofreudiger, würden mehr wagen und seien daher in der Unternehmerposition geeigneter. Doch ist die Zeit längst überfällig, dieses Denken in Frage zu stellen.
Rundblick: Worin kann eine Lösung bestehen?
Machulla: Es geht nicht nur um Banken und Sparkassen, sondern auch um Behörden, die Fördermittel, Bürgschaften und Zuschüsse vergeben. Ich bin weit von Forderungen entfernt, die männlichen Entscheider durch weibliche zu ersetzen. Was sinnvoll ist, wie übrigens in ganz vielen Bereichen, ist die bessere Mixtur. Gut kann eine Bank, eine Behörde oder eine Firma nur arbeiten, wenn im Team Männer und Frauen zusammenwirken und lernen, aufeinander Rücksicht zu nehmen.
Rundblick: Ein anderes wichtiges Thema ist die Arbeitszeit. Viele Frauen fühlen sich stärker als Männer verpflichtet, Familie und Beruf unter einen Hut zu kriegen – und lassen dann lieber die Finger von einer Karriere in der Wirtschaft…

Machulla: Das ist sicher so. Aus diesem Grund bin ich eine Anhängerin für die Flexibilisierung der Arbeitswelt. Der Achtstundentag, der immer noch Gesetz ist, stammt aus einer anderen Zeit, als Digitalisierung und die Chance, von vielen Orten aus die Pflichten zu erledigen, noch nicht aktuell waren. Als Vorsitzende des VdU trete ich stark dafür ein, die Möglichkeiten zu verändern. Das bedeutet, dass es möglich sein muss, in Zeiten von hohem Arbeitsanfall viel zu arbeiten und dafür in mageren Zeiten mehr Freizeit zu genießen. Das muss natürlich in einem Rahmen geschehen, der die Ausbeutung durch den Arbeitgeber verhindert. Die neue Bundesregierung plant hier erste Schritte, das begrüße ich. Allerdings soll sich dies nach den bisherigen Plänen allein auf die tarifgebundenen Firmen beschränken. Die große Zahl mittelständischer Unternehmen, die an keinen Tarif gekoppelt sind, bliebe außen vor und damit weiter an den Achtstundentag gefesselt. Das wäre verkehrt, auch für kleine und mittlere Unternehmen muss es bessere Chancen geben.
Rundblick: Wie steht es mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf?
Machulla: Im Jahr 2022 sollten Väter und Mütter diese Frage ähnlich beantworten, beide sollten sich in der Pflicht sehen, die Vereinbarkeit von Beruf und Kindererziehung zu gewährleisten. In der Praxis sind es dann meistens immer noch die Mütter, die sich hier gefordert sehen, weniger die Väter. Der durch Corona bedingte Homeoffice-Boom hat an dieser Verteilung leider wenig geändert. Die Forderung ist schon alt, aber sie bleibt mehr denn je aktuell: Die Angebote an Kinderbetreuung müssen noch besser werden. Es ist zum Beispiel daran zu denken, dass sich mehrere Betriebe zusammentun und gemeinsam ein Angebot organisieren, mit dem gewährleistet wird, dass Mütter und Väter ihre Kinder in der Nähe des Arbeitsortes betreuen lassen können – auch außerhalb eines eng begrenzten Tageszeitlimits.

Rundblick: Manche, die Beruf und Familie vereinbaren wollen, flüchten sich in Minijobs…
Machulla: Das ist genau der falsche Weg. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurden Minijobs, also abgabefreie Arbeitsverhältnisse, eingeführt. Seitdem hat sich jedoch vieles verändert. Wir haben einen großen Fach- und Arbeitskräftemangel, die Arbeitnehmer sind stärker gefordert, Frauen wollen gleichberechtigt für ihren Lebensunterhalt aufkommen. Anstatt Minijobs auszubauen sollte es für möglichst viele, die eine begrenzte tägliche Arbeitszeit nutzen wollen, gut ausgestattete Teilzeit-Stellen geben. Das ist auch mit Blick auf die soziale Absicherung der Leute, auch im Alter sowie im Falle von Arbeitslosigkeit oder Krankheit, in jedem Fall der bessere Weg. Nichtsdestoweniger gibt es Einsatzbereiche und Branchen, in denen aufgrund des Arbeitskräftemangels keine ausreichende Anzahl von Arbeitnehmern eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen und die deshalb auf Minijobber angewiesen sind, etwa in der Gastronomie, in Kulturstätten und in der Hotellerie, wo das Saisongeschäft gestemmt werden muss. Insoweit halten wir als Verband deutscher Unternehmerinnen die Kopplung der Entgeltgrenze für Minijobs an den wachsenden Mindestlohn für zwingend erforderlich. Eine Anhebung von 450 Euro auf 520 Euro ist zwingend geboten.