Bereichern sich niedersächsische Kommunen an der Notlage ukrainischer Flüchtlinge? Der Flüchtlingsrat Niedersachsen spricht in einer Pressemitteilung zumindest von „sittenwidrigen Gebührenforderungen“ und „Wucher“ seitens zahlreicher Gemeinden, die Unterkünfte betreiben. Der Verein fordert die Verantwortlichen auf, die vorhandenen Spielräume künftig auszunutzen und die Gebühren entsprechend zu senken. Ein Fall aus der Samtgemeinde Apensen (Kreis Stade) hat den Flüchtlingsrat besonders irritiert. Bereits im Sommer haben dort zwei aus der Ukraine geflüchtete Frauen im Alter von 20 und 22 Jahren eine Gebührenforderung für ihre Unterkunft erhalten. Jede von ihnen sollte für ihr gemeinsam bewohntes 20 Quadratmeter großes Wohnheimzimmer Gebühren in Höhe von 511 Euro entrichten. Enthalten seien darin 300 Euro für die Unterkunft an sich, 50 Euro für die Heizkosten, 30 Euro für Strom und 131 Euro für die Nebenkosten.

Der Strom der Flüchtlinge aus der vom Krieg verheerten Ukraine nimmt kein Ende. | Foto: Staatkanzlei (Archiv)

In Summe wären das also mehr als 1000 Euro Warmmiete für nicht mehr als ein kleines Zimmerchen. Bad und Küche teilen sich sieben Bewohnerinnen. Da allerdings die entsprechende Gebührensatzung nicht im Amtsblatt veröffentlicht worden und damit eigentlich nicht rechtsgültig sei, bleibt die Forderung als „vorläufig“ im Raum stehen.

Wie die lokale Presse berichtet, könnte es für die beiden Frauen nun aber sogar noch teurer werden. Wenn die Samtgemeinde eine neue Gebührenkalkulation vornimmt, könnte man zu dem Ergebnis kommen, dass die 511 Euro noch gar nicht ausreichten, um alle Kosten zu decken. Zudem würde dieser Betrag dann voraussichtlich rückwirkend erhoben, berichtet der Flüchtlingsrat. Sollte die Kommune an der Forderung festhalten, kündigten Unterstützer vor Ort bereits eine Klage an, die der Flüchtlingsrat unterstützen möchte. Die Samtgemeinde Apensen äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht auf eine Anfrage des Politikjournals Rundblick.

Vorm Kreishaus in Stade wehen Ukraine-Flaggen als Zeichen der Solidarität mit den vom Krieg Betroffenen. Diese Solidarität vermisst der Flüchtlingsrat jedoch bei der Samtgemeinde Apensen. | Foto: Landkreis Stade/Christian Schmidt

Für Muzaffer Öztürkyilmaz, Referent der Geschäftsführung beim Flüchtlingsrat Niedersachsen, steht dieser Fall beispielhaft für einen systematischen Fehler. Derartige „Wuchergebühren“ seien in Niedersachsen die Regel und nicht die Ausnahme, sagt er. Nach Auswertungen des Flüchtlingsrates schwanken die Gebühren für eine Unterbringung beispielsweise in der Stadt Burgdorf zwischen 205,71 und 854,90 Euro pro Monat, in der Stadt Garbsen zwischen 749,40 und 849,90 Euro. In der Landeshauptstadt Hannover wird von Einzelpersonen eine Gebühr in Höhe von 411 Euro erhoben, für ein Paar 511 Euro und eine vierköpfige Familie 717 Euro. Aufkommen muss für die Kosten in der Regel das Jobcenter – zumindest in jenen Fällen, in denen die Bewohner keiner Arbeit nachgehen. Sollten sie allerdings erwerbstätig sein, würden die Gebühren vermutlich den größten Teil des Gehalts auffressen, was die Motivation, einer Arbeit nachzugehen, deutlich schmälern dürfte.

Der Flickenteppich zeigt, dass vieles geht. Vom Land Niedersachsen fordert Öztürkyilmaz, den Kommunen klare Vorgaben bei der Ausgestaltung der Höhe solcher Gebühren zu machen. In der Landespolitik schrecke man vor einem solchen Schritt zwar zurück, weil gemäß dem Prinzip der Konnexität das Land dann womöglich für die fehlenden Einnahmen der Kommunen eintreten müsste, erklärt Öztürkyilmaz im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Er ist allerdings auch der Meinung, dass sich das Land hier nicht wegducken dürfe. „Es muss klare und verbindliche Regeln für Gebühren geben, die sich an der ortsüblichen Vergleichsmiete für Sozialwohnungen orientieren müssen, unabhängig davon, ob es um deutsche Wohnungslose oder um Flüchtlinge geht“, fordert er.



Aber auch von den Kommunen fordert Öztürkyilmaz, jetzt schon tätig zu werden. „Die Kommunen verfügen über weitgehende Spielräume bei der Ausgestaltung der Gebühren- oder Entgeltsatzungen“, sagt er. So stünde es ihnen frei, niedrigere Gebühren zu erheben oder sogar vollständig von der Gebührenerhebung abzusehen, soweit daran ein öffentliches Interesse besteht. „Die Kommunen können bei der Gebührenbemessung und bei der Festlegung der Gebührensätze soziale Gesichtspunkte, auch zugunsten bestimmter Gruppen von Gebührenpflichtigen, berücksichtigen. Von diesen Spielräumen muss auch die Samtgemeinde Apensen Gebrauch machen“, sagt Öztürkyilmaz. Als positives Beispiel führt er den Landkreis Harburg an, wo erwerbstätige Flüchtlinge maximal 180 Euro pro Monat für ihre Unterkunft zahlen müssen.