Darum geht es: Das Sozialministerium hat Landtagsabgeordnete darüber unterrichtet, wie die Altersfeststellung bei Flüchtlingen derzeit geregelt ist. Ein Kommentar von Isabel Christian.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Das lernen die meisten schon als Kinder von ihren Eltern. Doch für junge Flüchtlinge, die in Deutschland Asyl suchen, gilt in der Regel der umgekehrte Fall. Nur wenn die beiden Mitarbeiter des Jugendamts, die den jungen Menschen zum ersten Mal in Augenschein nehmen, erhebliche Zweifel an seiner Altersangabe haben, wird der Flüchtling medizinisch auf sein Alter hin untersucht. Verweigert er diese Untersuchung aber, müssen die Mitarbeiter eine Ermessensentscheidung treffen. Und die fällt meistens für den Flüchtling aus. Im Zweifel: minderjährig.
Daraus ergibt sich für die Politik ein Dilemma. Erlässt sie ein Gesetz, wonach junge Flüchtlinge auf jeden Fall mit medizinischen Methoden wie Röntgen auf ihr Alter hin untersucht werden müssen, verstößt sie gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit und im Streitfall auch gegen das Recht auf Selbstbestimmung. Zumal viele Techniken zur Altersbestimmung ungenau, nicht genug erprobt oder schlicht teuer sind. Bleibt die Politik mit der Ausgestaltung der Altersbestimmung bei unbegleiteten jungen Flüchtlingen aber zurückhaltend, riskiert sie, dass junge Erwachsene den besonderen Schutzstatus von Minderjährigen schamlos ausnutzen können. Die Unterbringung, Versorgung und Betreuung der vermeintlich Minderjährigen kostet nicht nur viel Geld, sie verschafft denjenigen auch einen unrechtmäßigen Vorteil. Minderjährige – auch aus als sicher eingestuften Herkunftsländern – haben wesentlich höhere Chancen auf Asyl als Erwachsene.
Was also tun? Einen Mittelweg finden. Es dürfte nicht wenige Mitarbeiter der Jugendbehörden geben, die trotz leichter Zweifel junge Flüchtlinge als Minderjährige durchgehen lassen, weil sie die riesige, bürokratische Maschinerie der Altersfeststellung nicht anwerfen wollen. Denn das bedeutet monatelangen Papierkram und eine gute drei- bis vierstellige Summe Geld, die auch als vergeudet betrachtet werden kann, wenn der Flüchtling tatsächlich minderjährig ist. Wobei man das nach Meinung vieler Ärzte mit herkömmlichen Methoden gar nicht haargenau nachweisen kann. Wenn das Alter eines Flüchtlings im Grenzbereich von 17 bis 19 liegt, hilft die medizinische Untersuchung auch nicht viel weiter. Dennoch müssen Jugendamtsmitarbeiter dazu gebracht werden, nicht nur bei den deutlichsten Zweifeln das Gesundheitsamt einzuschalten.
Dafür aber müssen die bürokratischen Voraussetzungen heruntergeschraubt und Geld vom Land bereitgestellt werden, das nur dem Zweck der Altersfeststellung dient. Der Eindruck darf sich nicht verfestigen, dass der Aufwand einer medizinischen Altersfeststellung nur dann gerechtfertigt ist, wenn es eine nahezu hundertprozentige Wahrscheinlichkeit gibt, dass ein Flüchtling volljährig sein könnte. Wenn die Mitarbeiter des Jugendamts Zweifel haben, der Flüchtling aber einer medizinischen Untersuchung nicht zustimmt, so könnte man das Prinzip der Einstufung umdrehen und den Titel „Volljährig“ statt „Minderjährig“ vergeben. Der Status der Minderjährigkeit vor dem Gesetz ist mit besonderen Privilegien verbunden, deren Bedarf der Flüchtling im Zweifelsfall nachweisen müssen sollte. Damit lässt sich die Verletzung des freien Willens und der körperlichen Unversehrtheit durch Anordnung einer Untersuchung umgehen. Man erschwert es aber dennoch erwachsenen Flüchtlingen, einen Schutz unrechtmäßig in Anspruch zu nehmen, indem sie falsche Angaben machen und sich einer Untersuchung verweigern können. Denn diejenigen, die den Schutz brauchen und Aussicht darauf haben ihn zu bekommen, werden einer Untersuchung mit Sicherheit aus freien Stücken zustimmen.
Mail an die Autorin dieses KommentarsDieser Artikel erschien in Ausgabe #27.