24. Okt. 2016 · Kommentar

Flexibilität statt Schema F

Eine neue Studie der Universität Göttingen verzeichnet bei Lehrern eine hohe Identifikation mit dem Beruf, zugleich aber große Unzufriedenheit über Belastung und Arbeitsbedingungen. Ein Kommentar von Martin Brüning. „Lehrer sind keine Jammerlappen“, sagte GEW-Vizechefin Laura Pooth gestern nach der Vorstellung der Arbeitsbelastungsstudie. Und wenn es nach den Zahlen der Studie geht, ist dem nicht zu widersprechen. Die Lehrer benennen in der Befragung sehr genau, was sie an ihrem Beruf gut finden und was ihnen missfällt. Für unsere Kinder ist es ein schönes Ergebnis, dass sich 95 Prozent der Lehrer herausragend mit ihrem Beruf identifizieren. Und es spricht für die Lehrerkollegien, dass 90 Prozent kollegiale Hilfe und Unterstützung bekommen. Ganz anders sieht es bei Belastung und Arbeitsbedingungen aus. Auch hier ist der Unmut teilweise verständlich. Es ist die Aufgabe der Lehrergewerkschaft GEW, an dieser Stelle den Finger in die Wunde zu legen. Man würde sich inhaltlich allerdings etwas weitreichendere und gehaltvollere Vorschläge wünschen als die regelmäßig wiederkehrenden Forderungen nach der Reduktion von Arbeitszeit. Anrechnungsstunden allein werden kein Rezept gegen die gefühlte Belastung sein. Man wird die Uhr nicht zurückdrehen können. Auch in den kommenden Jahren werden Inklusion, Integration und eine vielschichtige Förderung höchst unterschiedlicher Schüler die Lehrer über Gebühr in Anspruch nehmen. Man könnte sie dabei aber besser unterstützen, ohne dass ständig über neue Lehrerstellen oder weniger Stunden diskutiert werden müsste. Zu allererst: Der Zustand so mancher Schule ist eine Respektlosigkeit gegenüber Lehrern und Schülern. Wer jahrelang in verschimmelten Räumlichkeiten arbeitet und Toiletten benutzt, die kein Elternteil an seinem Arbeitsplatz akzeptieren würde, von dem kann keine gute Bewertung in punkto Arbeitsbedingungen erwartet werden. Zugleich ist die Freiheit der Lehrer in der Einteilung ihrer Arbeit für viele auch eine Belastung. Denn sie erfordert ein sehr hohes Maß an Selbstorganisation, die noch über die organisatorischen Aufgaben im Schulbetrieb hinausgeht. Demgegenüber steht ein nur geringes Maß an Supervision, die in anderen Berufen selbstverständlich ist. Eine bessere strukturelle Unterstützung im Alltag könnte vielen Lehrern ebenso helfen wie systematischere Weiterbildungsmöglichkeiten, zum Beispiel um Managementqualitäten zu stärken, die in der Organisation von Schule heute unerlässlich sind. Um die Debatte einer differenzierteren Bezahlung von Lehrern wird immer gerne ein großer Bogen gemacht. Aber was spricht eigentlich dagegen, den Schulen mehr Freiheit bei den Budgets zu geben, damit besonders leistungsstarke Lehrer auch einmal eine Bonus erhalten können? Ist es ein Wunder, dass Schulleitungsfunktionen in Grundschulen als besonders belastend empfunden werden, bei denen es viel mehr zu tun aber nur wenig mehr zu verdienen gibt? Wer in der Privatwirtschaft viel leistet, freut sich, wenn seine Leistung auch einmal entsprechend honoriert wird. Es gibt keinen Grund dafür, dass das bei Lehrern nicht so sein sollte. Lehrer müssen heute ebenso flexibel arbeiten wie Angestellte in vielen anderen Berufen auch. Es wäre an der Zeit, dass Politik und vor allem Funktionäre auch einmal entsprechend flexible und neue Vorschläge präsentieren, statt immer nur nach Schema F zu diskutieren. Mail an den Autor dieses Kommentars
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #192.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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