Je dünner besiedelt, desto größer die Herausforderung: Mit nicht einmal 50.000 Bürgern ist Lüchow-Dannenberg zwar der nach Einwohnerzahl kleinste Landkreis in Deutschland, rangiert flächenmäßig aber im niedersächsischen Mittelfeld. Außerdem fällt die Besiedlung bei insgesamt 27 Gemeinden extrem kleinteilig aus. Für den öffentlichen Personennahverkehr sind das denkbar ungünstige Voraussetzungen, doch trotzdem geht das Wendland bei der Mobilitätswende mutig voran. Lüchow-Dannenberg hat nicht nur als erster Landkreis in Niedersachsen ein kostenloses Schülerticket eingeführt, sondern mittlerweile auch seine Tarifstruktur völlig umgekrempelt und einen On-Demand-Service auf den Weg gebracht. „ÖPNV gehört zur Daseinsvorsorge. Mobilität und die Teilhabe am kulturellen, sozialen und gesellschaftlichen Leben muss auch ohne eigenes Auto möglich sein“, sagt Landrätin Dagmar Schulz (parteilos).

Die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs ist für Lüchow-Dannenberg ein erheblicher Kostenfaktor. Im vergangenen Jahr hat der Kreis etwa 5,4 Prozent seines Budgets (8,7 Millionen Euro) in den ÖPNV gesteckt, wobei zwar ein Großteil aus Bundes- und Landesmitteln stammt. Rund 4 Millionen Euro muss der Landkreis jedoch allein für die Grundversorgung aus eigener Tasche zahlen. Teure Prestigeprojekte sind für den klammen Kreis keine Option, darum setzt die Kreisverwaltung auf öffentlich geförderte Modellprojekte und günstige, aber wirksame Maßnahmen.
„Ich habe unser Controlling mal ausrechnen lassen, was ein kostenloses Schülerticket für einen Mehraufwand bedeuten würde“, erläutert Schulz. Weil durch das Gratisangebot auch ein erheblicher Verwaltungsaufwand wegfällt, wie etwa der ganze Schriftverkehr zwischen der Verwaltung und den Schulsekretariaten, bezifferten die Experten den Einnahmeverlust auf gerade mal 33.000 Euro. „Da haben wir gesagt: Das machen wir sofort“, sagt die Landrätin. Nun dürfen nicht nur die Schüler der vier Oberstufenstandorte in Lüchow-Dannenberg kostenlos mit dem Bus fahren, sondern auch Auszubildende und Jugendliche, die einen Bundesfreiwilligendienst absolvieren. Die Gesamtkosten von insgesamt 150.000 Euro werden aus dem Klimaschutz-Topf bezahlt. „Es ist ja auch ein Beitrag zum Klimaschutz, damit Elterntaxis vermieden werden“, argumentiert Schulz. Außerdem sollen die jungen Leute an die ÖPNV-Nutzung gewöhnt werden
Für die Ausgestaltung der Verkehrswende in Lüchow-Dannenberg verantwortlich ist Mareike Harlfinger-Düpow. „Es ist ein ständiger Prozess, den ÖPNV so anzupassen, dass er auch genutzt wird“, weiß die Fachdienstleiterin für Klimaschutz und Mobilität. Dementsprechend hat sie bereits viele Schrauben gedreht, um die Mobilität im Landkreis für die Bürger flexibler zu gestalten. Mit dem Car-Sharing auf dem Dorf ging es 2019 los, später folgten unter anderem eine Mitfahr-App oder das Projekt „Ladepünktchen“: Gastronomen, Unternehmer oder Privatleute machen ihre Ladepunkte für E-Bikes öffentlich zugänglich, um den Fahrradtourismus im Wendland voranzutreiben. „Das sind Projekte, die mit wenigen Mitteln schnell umgesetzt werden können“, freut sich die Landrätin.

Wesentlich umfangreicher war der Umstieg auf das neue Tarifsystem, das seit Oktober 2023 gilt. Die bislang nach Fahrtkilometern berechneten Preise wurden abgeschafft, der Landkreis ist jetzt in fünf Tarifzonen eingeteilt. Innerhalb einer solchen Tarifzone können die Fahrgäste für 1,50 Euro den ganzen Tag mit dem Bus fahren, das „Premiumticket“ für den gesamten Landkreis kostet 5 Euro am Tag. „Wir haben zwei klar übersichtliche Preisgruppen entwickelt. Eine für die Erwachsenen und eine zweite, die um 50 Prozent ermäßigt ist“, erläutert Harlfinger-Düpow. Empfänger von Transferleistungen und Besitzer einer Ehrenamtskarte zahlen nur die Hälfte. Die Zusatzkosten für das neue Tarifsystem beziffert die Mobilitätsmanagerin auf 40.000 Euro. 2024 wird diese Summe über das Modellprojekt „CleverMoWe“ vom Bundesverkehrsministerium bezahlt, ab kommenden Jahr trägt der Landkreis die Kosten. Durch das Projekt entstand außerdem eine Mobilitäts-App, mit der Fahrgäste ab sofort ihre Fahrten planen und elektronisch bezahlen können.

Zum Jahresbeginn ist jetzt auch noch ein On-Demand-Verkehr in Lüchow-Dannenberg gestartet. Dabei handelt es sich um einen Shuttle-Service der ähnlich wie „Sprinti“ in der Region Hannover oder wie „Flexo“ im Großraum Braunschweig funktioniert: Fahrgäste können per App ein Shuttle buchen, das sie zu einer Bushaltestelle ihrer Wahl bringt, um die sogenannte „letzte Meile“ zurückzulegen. „Das sind ÖPNV-Taxis, die auf Bestellung fahren und vor allem Randzeiten abdecken sollen“, sagt Harlfinger-Düpow. Der Aufpreis für ein On-Demand-Fahrzeug kostet bis zum Auslaufen des Modellprojekts „CleverMoWe“ zum Jahresende nur einen Euro, bei ermäßigten Preisen sogar nur die Hälfte. Außerdem werden Schwerbehinderte auf Wunsch sogar kostenlos bis zur Haustür gebracht. „In welchem Umfang das in Zukunft finanziell tragfähig ist, kann mit diesem Modellprojekt erprobt werden“, sagt die Landrätin. Ziel sei es, den Shuttle-Service auch langfristig zu etablieren. Schulz: „Wenn die ÖPNV-Anbindung bis in alle Dörfer gewährleistet ist, bedeutet das einen Meilenstein für den Ausbau der Mobilität im Wendland.“
Der Ausbau der Fahrrad-Infrastruktur gehört ebenfalls zum Verkehrskonzept in Lüchow-Dannenberg dazu. Als Teil des kommunalen Mobilitätsmanagements sollen neue Radwege und Fahrradstraßen entstehen, Gefahrenstellen entschärft, Elterntaxis vermieden und Radvorrangsrouten geschaffen werden. „Dort bekommt das Rad eine neue Bedeutung“, sagt Harlfinger-Düpow. Beim Ausbau der Elektromobilität kommt der Landkreis auch voran, der Ausbau der Ladeinfrastruktur geht weiter. Für das Zukunftskonzept 2030 haben die Bürger 67 Standorte für Ladesäulen angeregt. Zusammen mit den Vorschlägen der Samtgemeinden gibt es nun 119 potenzielle Standorte mit 288 möglichen Ladestationen, die jetzt mit den Stromnetzkapazitäten in Einklang gebracht werden sollen.

Bisher gibt es in Lüchow-Dannenberg 66 Ladepunkte an 34 Standorten, insgesamt sind 1753 E-Autos und Hybridfahrzeuge im Landkreis zugelassen. Beim Ladestrukturausbau will die Kreisverwaltung vor allem auf Mobilitätsstationen setzen, die die verschiedenen Verkehrsträger vernetzen. „Eine Bushaltestelle mit sicheren Fahrradparkplätzen ist womöglich auch der Standort für ein Elektro-Car-Sharing-Fahrzeug, dort können mit einer weiteren Säule auch Elektrobusse geladen werden“, sagt Harlfinger-Düpow. Die erste Station soll im kommenden Jahr entstehen. Die landkreiseigene Busgesellschaft LSE hat bereits Förderanträge für neue Elektrobusse gestellt.
