„Firmen überfrachten Stellenausschreibungen – das schreckt vor allem die Frauen ab“
Wie können Firmen in Zeiten des Fachkräftemangels noch geeignete Mitarbeiter finden? Wie sollen sich weibliche Führungskräfte verhalten, wenn sie Erfolg haben wollen? Tina Voß, Inhaberin der gleichnamigen Zeitarbeitsfirma und Vizepräsidentin der IHK Hannover, äußert sich im Interview mit Rundblick-Redakteurin Isabel Christian.
Rundblick: Frau Voß, alle Firmen klagen über den Fachkräftemangel. Wie soll man darauf reagieren?
Tina Voß: Bei uns in der Zeitarbeitsbranche haben wir das schon vor Jahren gespürt, wir sind ein Frühindikator, was den Arbeitsmarkt angeht. Was soll man tun? Wer Mitarbeiter gewinnen will, muss schon am ganz großen Rad drehen. Überall muss man Augen und Ohren offen halten, die sozialen Medien werden immer wichtiger, Facebook gehört unbedingt dazu. Aber das geht auch noch weiter: Wenn man mal einen tollen Service erlebt hat, beispielsweise eine studentische Aushilfe im Café, einfach mal fragen, was sie studiert und was sie danach vorhat.
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Rundblick: In welchen Branchen sind die Probleme am größten?
Tina Voß: In einigen Berufen gibt es hohe Hürden. Wer Erzieher werden will, muss fünf Jahre dafür ausgebildet werden – da haben viele junge Leute einfach keine Lust mehr. Die Ausbildung zum Pfleger dauert zwar nur drei Jahre, aber dieser Beruf ist eine verdammt harte Nummer. Alte Leute bis zum Tod zu begleiten, kann auch seelisch eine starke Belastung sein. In diesem Bereich haben wir schon seit 15 Jahren einen Notstand, das wird immer schlimmer. Andere Branchen ziehen nach – im Handwerk findet man kaum noch Gesellen. Bei den sogenannten „kreativen“ Berufen geht das noch. Web-Designer etwa gibt es am Markt. Dort ist dann eher das Problem, dass die Bewerber nicht mit jahrelanger Berufserfahrung glänzen können.
Rundblick: Setzt die Politik da die richtigen Rahmenbedingungen?
Tina Voß: Die Hartz-IV-Reformen waren segensreich, denn wir müssen die Menschen aktivieren. Künftig wird es noch wichtiger, die Frauen für die Berufstätigkeit zu gewinnen. Bessere Abiturnoten und hervorragende Studienergebnisse haben viele schon, dann können wir die Frauen nicht zuhause sitzen lassen.
Haben 350 Ausbildungsberufe, aber nur 15 sind bekannt
Rundblick: Gehen zu viele Jugendliche an die Uni, statt einen Beruf zu erlernen?
Tina Voß: Schon der Begriff „Lehre“ ist nicht besonders sexy. Tatsächlich sind es teilweise 70 Prozent eines Abiturjahrgangs, die an die Hochschule gehen – aber auf der anderen Seite halten viele das nicht durch, im Fach Mathematik liegt die Abbrecherquote bei 40 Prozent. Zwar ist unser Bildungssystem tatsächlich durchlässig, aber es wirkt nicht immer so. Die jungen Menschen müssen merken, dass sie auch nach einer Berufsausbildung durchaus noch studieren und dann weiter aufsteigen können. Außerdem haben wir hierzulande 350 Ausbildungsberufe, aber nur 15 sind den Schulabgängern bekannt. Da müsste unser Ehrgeiz stärker darin liegen, die restlichen 335 Berufe mit ihren besonderen Reizen bekannter zu machen.
Rundblick: Sind die meisten Stellenausschreibungen so, wie sie sind, richtig?
Tina Voß: Nein. Man muss sich schon Mühe geben, die Leute im richtigen Ton anzusprechen. In einem Krankenhaus im Raum Köln wurde jüngst per Whatsapp mit kleinen Videos versucht, neue Krankenpfleger zu gewinnen – indem die Auszubildenden einfach sympathisch erklärten, wie ihr Arbeitsalltag so aussieht. Das hatte durchschlagenden Erfolg. Viele Unternehmen machen den Fehler, dass sie ihre Ausschreibungen überfrachten und viel zu viel verlangen. Da werden Fremdsprachenkenntnisse nur deshalb eingefordert, weil einmal im Monat ein Anruf aus dem Ausland eingehen könnte. Eine Reinigungskraft soll zugleich Rettungsschwimmer sein und Erfahrung in der Gastronomie besitzen – damit sie möglichst vielseitig einsetzbar ist. Meine Erfahrung ist, dass Frauen von zu hohen Anforderungsprofilen meistens abgeschreckt sind, während sich Männer auf den Wettbewerb schneller einlassen. Außerdem sind manche Begriffe schlicht überflüssig – wenn etwa ein „teamfähiger, einsatzbereiter und kundenfreundlicher“ Verkäufer gesucht wird. Wer will schon einen faulen, menschenscheuen Einzelgänger haben?
"Ich glaube, dass Frauen anders führen als Männer"
Rundblick: Gibt es typische Eigenschaften, die es Frauen auf dem Stellenmarkt erschweren?
Tina Voß: Ich glaube schon. Wenn eine Frau durchsetzungsstark ist, gilt sie gleich als Zicke. Wenn ein Mann nett ist, schmeichelt ihm das – bei einer Frau heißt es gleich: die ist zu nett und nicht fähig zu harten Entscheidungen. Ich glaube, dass Frauen anders führen als Männer – und es wäre falsch, wenn sie versuchen würden, wie ein Mann aufzutreten, weil sie dann nicht mehr authentisch wirken. Wer führt, muss irgendwann auch unbequeme Entscheidungen treffen. Wichtig ist, dass er dann auch dazu steht – und nicht ständig eigene Entscheidungen in Frage stellt. Man muss als Vorgesetzter nicht gemocht werden, man muss respektiert werden. Ich führe mein Unternehmen seit 22 Jahren, und ich vermute, dass die meisten Mitarbeiter sagen würden, dass sie sich auf mich verlassen können – und dass ich offen bin. Ich hoffe, dass ich nie einen Mitarbeiter vor anderen bloßgestellt oder ihn vor Publikum kritisiert habe.
Rundblick: Zieht man als erfolgreiche Unternehmerin nicht den Neid anderer auf sich?
Tina Voß: Neid ist eine andere Form von Respekt. Neid habe ich nie erlebt – oder aber ich habe ihn ignoriert. Ich hatte früh eine Frau, die mich gefördert hat, meine frühere Klassenlehrerin. Sie sagte mir: Geh‘ raus in die Welt und mach‘ Karriere, bleib‘ nicht im Harz und zieh‘ Dich auf die Mutterrolle zurück. Das habe ich getan – vermutlich als eine der wenigen in der Klasse. Für Frauen kann es manchmal hilfreich sein, wenn sie eine Mentorin hat, die ihr vor allem eines sagt: Sei selbstbewusst und mache klare Ansagen.Dieser Artikel erschien in Ausgabe #107.