Ginge es nach den niedersächsischen Freien Demokraten, müssten jegliche Regeln für die Landwirtschaft ausgesetzt werden. Hermann Grupe, agrarpolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, forderte am Donnerstag in einer aktuellen Debatte im Landtag, die Landwirtschaft zu „entfesseln“ und künftig auf Anreize zu setzen anstatt auf Ordnungsrecht.

Grupe bezog sich dabei vorrangig auf die Dünge-Problematik und den Rechtsstreit zwischen der Europäischen Union und der Bundesrepublik. Die EU-Kommission und die Bundesregierung verhandeln derzeit über die Folgen eines Vertragsverletzungsverfahrens, mit dem die EU Deutschland angezählt hatte, weil zu wenig gegen die hohe Nitratbelastung der Gewässer durch die Landwirtschaft getan werde. Für die FDP gibt es das Problem allerdings gar nicht: Während Brüssel und Berlin über ordnungsrechtliche Maßnahmen stritten, reduzierten die Landwirte in Niedersachsen bereits freiwillig die Menge an Dünger, die sie auf ihren Feldern verteilen, meinte Grupe: „Die Landwirte in Niedersachsen handeln, sie reduzieren die Düngung, ohne der Politik die Chance zu geben, sie zu zwingen.“
„Die Landwirte in Niedersachsen handeln, sie reduzieren die Düngung, ohne der Politik die Chance zu geben, sie zu zwingen.“
Hermann Grupe
Im Vergleich zu 2017 sei die Düngung auf niedersächsischen Feldern bereits um 63 Prozent zurückgegangen, führte der Agrarpolitiker aus und mahnte, dass man sich einem Mineraldüngereinsatz wie in den 1960er-Jahren annähere. Eine pauschale Reduzierung des Düngereinsatzes auf 20 Prozent unter dem eigentlichen Bedarf, wie es für die Betriebe in den sogenannten „roten Gebieten“ ordnungsrechtlich vorgeschrieben wird, kritisierte Grupe erneut aufs Schärfste und warnte vor einem „Raubbau an der Bodenfruchtbarkeit in Niedersachsen“. Die 20-Prozent-Regel, betonte er, sei keineswegs von Brüssel vorgegeben worden, sondern sei damals aus Berlin gekommen. Grupe bezeichnete es als „Offenbarungseid der alten Regierung“, dass die CDU-Ministerin im Land der damaligen CDU-Ministerin im Bund die Lage in Niedersachsen nicht habe vermitteln können.
Die SPD-Agrarpolitikerin Karin Logemann widersprach Grupe in zweierlei Hinsicht. Zunächst stellte sie heraus, dass es der niedersächsischen Großen Koalition durchaus darum gehe, Anreize vor Ordnungsrecht zu setzen. Als „Paradebeispiel“ führte sie dafür das Modell des „niedersächsischen Weges“ an, bei dem Agrar- und Umweltverbände gemeinsam nach dem richtigen Weg für mehr Arten- und Klimaschutz gesucht hätten. Die Landwirtschaft gänzlich vom Ordnungsrecht zu befreien, lehnte die Sozialdemokraten im zweiten Schritt aber entschieden ab. „Wäre die Landwirtschaft im luftleeren Raum, würde es niemanden stören, wenn Schweine im Stall verenden, weil der Landwirt den Betrieb aufgegeben hat, es würde niemanden stören, wenn Hühner im Stall verbrennen, und auch die Schlachthofskandale würden niemanden stören“, sagte Logemann, um daraus die Notwendigkeit für Ordnungsrecht zu begründen: „Alle unterliegen dem Ordnungsrecht und das ist auch richtig so.“
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Miriam Staudte von den Grünen schloss sich Logemann an, korrigierte deren erste Ausführung aber gewissermaßen noch in einem Detail: „Auch die Regelungen zu Gewässerrandstreifen sind Ordnungsrecht, nur flankiert mit Ausgleichszahlungen“, erklärte sie in Bezug auf die Ergebnisse des „niedersächsischen Weges“. Staudte betonte, dass es immer beides brauche, Anreize und Ordnungsrecht, und begründete die guten Seiten der klaren Regeln mit der allseits geforderten verpflichtenden Haltungskennzeichnung oder einem erhofften Verbot von Lebensmittelpreisen, die unterhalb der Erzeugerpreise liegen. Ein Anreiz, den sich die Grünen sehnlich wünschten, wäre die Weidetierprämie.
Vonseiten der CDU-Fraktion wurde Grupe bereits während seiner Ausführungen mit Zwischenrufen und Hohn überzogen. Die Christdemokraten merkten wiederholt an, dass die FDP nun in der Bundesregierung ja die Chance habe, sich stärker für die Belange der Landwirtschaft einzusetzen. Sowohl das Agrar- als auch das Umweltressort gingen aber an die Grünen. Der CDU-Agrarpolitiker Helmut Dammann-Tamke drückte deshalb seine Befürchtung aus, dass die FDP im Bundestag dem Verbot des Pflanzenschutzmittels Glyphosat zustimmen werde. Hinsichtlich des Düngerechts erklärte der agrarpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, dass Niedersachsen hier eine „sehr zurückhaltende Anwendung des Ordnungsrechts“ vorgesehen habe und nur dort strenger gehandelt habe, wo der Bund oder die EU dies verlangten. Dass das emissionsbasierte Modell bei der Ausweisung der „roten Gebiete“ nun von der EU beanstandet wird, führt Dammann-Tamke auf einen Unterbietungswettbewerb einzelner Bundesländer zurück, die damit erst die Aufmerksamkeit der EU-Kommission erregt hätten. Explizit nannte er Schleswig-Holstein, wo die Jamaika-Koalition die Gebietskulisse auf fünf Prozent der Landesfläche verringert hatte. In Niedersachsen sind derzeit 24,5 Prozent der Landesfläche als besonders nitratsensibel ausgewiesen, Grupe hatte allerdings mehrfach beanstandet, dass sich Niedersachsen doch an Schleswig-Holstein hätte orientieren müssen.
„Mit ‚entfesseln‘ meint die FDP hoffentlich nicht ‚regel- und zügellos‘!“
Barbara Otte-Kinast
Niedersachsens Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) verteidigte ihre Politik und attestierte der FDP eine „Wildwest-Manier“: „Mit ‚entfesseln‘ meint die FDP hoffentlich nicht ‚regel- und zügellos‘!“ Sinnvolle Regeln sollten als Leitplanken gesetzt werden, damit sich die landwirtschaftlichen Betriebe in Niedersachsen bestmöglich entwickeln können, sagte sie. Als „attraktive Anreize“ ihres Ressorts verwies sie auf das mit 31,5 Millionen Euro veranschlagte Maßnahmenpaket etwa für den Eiweißpflanzenanbau, die Regionalvermarktung und den Öko-Landbau. Bei den „roten Gebieten“ drückte sie jedoch eine gewisse Machtlosigkeit aus: „Die Verhandlungen führt der Bund und kein einzelnes Bundesland. Das hat Brüssel uns immer wieder deutlich gemacht.“