Die niedersächsische FDP hat am Wochenende in einer „Ideen-Werkstatt“ eine landespolitische Bestandsaufnahme vorgenommen – und dabei scharfe Kritik an aktuellen Absichten der rot-grünen Landesregierung geäußert. Die Partei hatte sich dazu Experten eingeladen. Ein Vortrag kam vom Vorstand der Baugenossenschaft Wiederaufbau, Florian Bernschneider. Er bezweifelte die Wirksamkeit der bisher bekannten Überlegungen für die Gründung einer „Landeswohnungsgesellschaft“.

Bernschneider, der früher für die FDP im Bundestag saß, sagte: „Eine Wohnungsgesellschaft des Landes, die erst mühsam Verwaltungsstrukturen aufbauen muss, um dann irgendwann eigene Bestände zu bewirtschaften, braucht angesichts der Vielzahl an gemeinwohlorientierten Genossenschaften und kommunaler Wohnungsunternehmen kein Mensch. Wenn so eine Gesellschaft einen strategischen Mehrwert haben soll, muss sie das Bauen und Verwalten den etablierten Profis überlassen. Unterstützen kann sie hingegen, indem sie landeseigene Liegenschaften unbürokratisch zugänglich macht und mit Landesmitteln bestehendes Engagement strategisch hebelt, wo andere Förderinstrumente des Wohnungsbaus Lücken lassen.“
Mehr Wohnraum, weniger Emissionen und niedrigere Mieten seien in der Praxis nur schwer miteinander zu vereinen, betonte Bernschneider. Der Mangel an Wohnraum erfordere zwingend Neubauprojekte, jedoch „müssen wir auch aus klimapolitischen Gründen vorsichtig sein, im Neubau steckt ein immenser Energiebedarf“. Auch durch Sanierungen von Bestandsimmobilien ließen sich nur bedingt sowohl klima- als auch sozialpolitisch gewünschte Erfolge erzielen: Einerseits sei die Infrastruktur für die Umstellung auf Wärmepumpen noch nicht flächendeckend gegeben. Andererseits liege der Sanierungsaufwand der Baugenossenschaft Wiederaufbau bei durchschnittlich 6,7 Kaltmieten pro Wohneinheit – was wiederum Mieterhöhungen zur Folge hätte.
Auch die größtenteils nicht umlagefähige CO2-Abgabe, die einen Anreiz für Sanierungen darstellen soll, erreiche das Gegenteil ihres Zwecks: Investitionen würden aufgeschoben, weil die Rücklagenbildung für klimafreundlichere Investitionen erschwert und verlängert würde. Der soziale Wohnungsbau mit deutlich niedrigeren Mieten gehe zulasten der mittleren Einkommen. „Im Moment ist die Luft zum Neubau vor allem zwischen der geförderten Sozialwohnung und dem höherpreisigen, freifinanzierten Wohnungsbau dünn.“ Daran werde laut Bernschneider auch eine Landeswohnungsgesellschaft nichts ändern.
Zur Fachkräftesituation in den MINT-Berufen äußerte sich in der FDP-Veranstaltung Olaf Brandes, Geschäftsführer der Stiftung Niedersachsen-Metall und der Ideen-Expo. Er berichtete von einer Fachkräftelücke von 52.000 Stellen in Niedersachsen, bundesweit seien es sogar 476.000 Stellen, die nicht besetzt werden können. Auf 100 Arbeitssuchende kämen 272 zu besetzende Stellen, womit der Fachkräftebedarf nicht annähernd gedeckt werden könne. Zudem sei die Ausstattung an Schulen, insbesondere in den MINT-Fächern, ungenügend.

„Es ist ein Rattenschwanz: Schulen beklagen die schlechte Ausstattung mit Unterrichtsmaterial, seien es Computer für den Informatikunterricht oder Erlenmeyerkolben in der Physik. Unternehmen beklagen wiederum die mangelnde Ausbildungsreife von Schulabgängern. So dürfen wir nicht überrascht sein, wenn wir im internationalen Bildungsvergleich durchgereicht werden“, betonte Brandes. Auch im Bereich der Start-ups herrscht Nachholbedarf.
Britta Kokemper-Söllner, Geschäftsführerin von Banson, einem Business-Angel-Netzwerk aus Braunschweig, zieht den direkten Vergleich zwischen Niedersachsen und Bayern: Dem Bruttoinlandsprodukt des Freistaats aus Süddeutschland in Höhe von 716 Milliarden Euro steht in Niedersachsen ein Bruttoinlandsprodukt von 340 Milliarden Euro gegenüber. In Bayern gibt es annähernd doppelt so viele Studenten wie in Niedersachsen und fünfmal so viele Patentanmeldungen. In Bayern würden pro Jahr 544 Start-ups gegründet, in Niedersachsen seien es lediglich 126. Auch bei der Höhe des investierten Venture-Kapitals steht Niedersachsen im Schatten der Bayern: 1,8 Milliarden Euro fließen in Bayern jährlich als Risikokapital in Startups, in Niedersachsen sind es lediglich 112 Millionen.

Bei der Anzahl der Startup-Gründungen liegt Niedersachsen im bundesweiten Vergleich mit 1,6 Gründungen auf 100.000 Einwohner auf dem viertletzten Platz, der Durchschnitt liegt bei 3,1. Um hierbei besser zu werden, nimmt sie auch die Wirtschaft in die Pflicht und fordert Investitionen von einer Milliarde Euro jährlich in Public-Private-Partnership-Projekte im Kampf um die Innovationsführerschaft. Andere machen es erfolgreich vor: In Heilbronn investieren sowohl das Land als auch die Dieter-Schwarz-Stiftung jeweils 50 Millionen Euro in einen KI-Park, Baubeginn bereits 2024. Erste Firmen haben bereits Interesse an einer Ansiedlung gezeigt, einige Beobachter ziehen den Vergleich als „deutsches Silicon Valley“. „Andere Städte wie Heilbronn loben sich selbst als KI-Städte aus, diesen Mut brauchen wir in Niedersachsen auch“, fordert Kokemper-Söllner.
