Seit März führt der Göttinger Bundestagsabgeordnete Konstantin Kuhle die FDP in Niedersachsen. Der 34-jährige Jurist ist zugleich Vize-Fraktionschef der FDP-Bundestagsfraktion. Im Interview mit dem Politikjournal Rundblick nimmt er Stellung zur Arbeit der Ampel-Regierung, zum Höhenflug der AfD und zu der landespolitischen Arbeit von Rot-Grün in Hannover.

Konstantin Kuhle | Foto: Tomas Lada

Rundblick: Herr Kuhle, neulich wurde berichtet über einen Gesprächskreis von CDU- und FDP-Politikern in Berlin, an dem Sie auch beteiligt sein sollen…

Kuhle: Das bin ich, aber ich bin in vielen Gesprächskreisen – auch in solchen mit Sozialdemokraten und Grünen. Es gehört zum Wesen von Demokraten, dass sie zum Wohle des Landes miteinander reden. Aber was den Bericht über den CDU-FDP-Kreis angeht: Ich wundere mich immer, wie wenig die Vertraulichkeit gehalten wird, wenn es um Treffen geht, an denen Christdemokraten beteiligt sind.

Rundblick: Was ist denn der Grund dafür?

Kuhle: Ich bewundere die Union dafür, wie sie es immer wieder schafft, personelle Konflikte einzuebnen und sich hinter einem Kandidaten zu versammeln. Aber vielleicht ist die Kehrseite davon, dass Konflikte nicht offen angesprochen werden und interne Vorgänge stattdessen hintenrum in die Öffentlichkeit getragen werden. In der Merkel-Zeit sind jedenfalls sehr viele innerparteiliche Konflikte bei CDU und CSU klein gehalten worden. Da gibt es noch einiges aufzuarbeiten.

„Deutschland kann auch Fortschritte erzielen, wenn die Union nicht regiert.“

Rundblick: Aber wie steht es denn um die Inhalte bei CDU und FDP?

Kuhle: Es gibt sicher größere Schnittmengen zwischen uns und den Christdemokraten. Wenn es um Bürokratieabbau und die Aufgaben des Staates geht, um eine Unternehmenssteuerreform oder die Digitalisierung, dann fällt es auch mir mitunter schwer, diese gemeinsam mit SPD und Grünen bewältigen zu müssen. Auf der anderen Seite bin ich froh, dass diese Koalition für wichtige Zukunftsvorhaben die Verantwortung übernimmt und beispielsweise die Grundgesetzänderung für die 100-Milliarden-Euro-Investition in die Bundeswehr mitgetragen hat. Stellen Sie sich vor, Frau Lang und Herr Nouripour von den Grünen hätten die Demonstrationen gegen diese Grundgesetzänderung angeführt – dann wäre die nötige Zweidrittelmehrheit wohl nicht zustande gekommen. Deutschland kann auch Fortschritte erzielen, wenn die Union nicht regiert.

Konstantin Kuhle | Foto: Tomas Lada

Rundblick: Spricht trotzdem einiges für eine Wiederannäherung von CDU und FDP, auch in Niedersachsen?

Kuhle: Mit Sebastian Lechner ist der Kontakt sehr gut. Wenn Friedrich Merz allerdings sagt, die Grünen seien jetzt der Hauptgegner der Union, dann warten wir mal ab. Ich glaube nicht, dass Merz auch nur einen Moment zögern würde, sich von den Grünen zum Kanzler wählen zu lassen.

Rundblick: Die Durchstechereien beim Heizungsgesetz zeigen aber immerhin, dass die Ampel in der Praxis nicht so harmoniert, oder?


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Kuhle: Als Vize-Fraktionschef gehört es zu meinen Aufgaben, frühe Entwürfe für Gesetzesvorhaben mit verschiedenen Akteuren abzustimmen. Dann kommt es schon vor, dass Konzepte an 30 oder 40 Personen gleichzeitig geschickt werden. Und wenn Journalisten ihren Aufgaben nachgehen und auf die Suche nach Gesetzentwürfen gehen, werden sie schnell fündig. Das ist doch normal. Beim Heizungsgesetz war eben der ursprüngliche Gesetzentwurf aus dem Bundeswirtschaftsministerium nicht geeignet, einfach durchgewunken zu werden. Sowas muss man auch offen ansprechen. Ob Harmoniesucht die richtige Antwort auf Zweifel in der Koalition ist, scheint mir fragwürdig zu sein.

Rundblick: Was meinen Sie?

Kuhle: Als FDP-Landesvorsitzender habe ich es mit zwei Arten von Kritik gegenüber der FDP zu tun. Die einen werfen uns vor, dass wir in Berlin zu viele Vorhaben von SPD und Grünen mittragen. Die anderen behaupten, die FDP würde alle Vorhaben blockieren. Beides kann unmöglich gleichzeitig richtig sein. Für mich folgt daraus, dass man Konflikte nicht künstlich zuschütten und behaupten darf, es gebe in einer Koalition keine Differenzen. Die Kontroverse ist sogar nötig, damit am Ende Vorhaben entstehen, die im Interesse unseres Landes richtig sind.

Klaus Wallbaum und Niklas Kleinwächter im Gespräch mit Konstantin Kuhle | Foto: Tomas Lada

Rundblick: Die AfD behauptet, die „Alt-Parteien“ steckten alle unter einer Decke…

Kuhle: Mich stört an der AfD-Debatte gerade, dass viele den Erfolg der Rechtspopulisten in Sonneberg nutzen, um ihr eigenes Süppchen zu kochen. Da hört man von links, der Weg in den Faschismus stehe nun bevor – und von rechts aus der CDU, der Grund für die Stärke der AfD liege im Heizungsgesetz und in der Verwendung der Gender-Sprache begründet. Ich glaube, die Menschen wollen Antworten auf die wirklichen Probleme, und da lenkt die Gender-Debatte vom Kern ab. Wenn wir etwa eine engagierte Debatte der demokratischen Parteien über die wirklichen Prioritäten im Bundeshaushalt führen würden, wäre das ein Beitrag zur Demokratie. Dann würden die Menschen erleben, dass wir um den richtigen Weg ringen statt uns um Nebensächlichkeiten zu kümmern.

„Ich habe das Gefühl, das entscheidende Zukunftsprojekt von Stephan Weil ist die Suche nach einem Nachfolger.“

Rundblick: Seit gut einem halben Jahr ist die FDP nicht mehr im Landtag. Fällt das landespolitische Engagement ohne eine solche Vertretung im Parlament schwer?

Kuhle: Ja. Die zentrale Bühne der Landespolitik ist nun mal der Landtag, und ohne eine solche Bühne ist es sehr schwierig, durchzudringen. Auf der anderen Seite trägt die Landesregierung selbst zu einer Ermüdung bei. Man sieht es jetzt doch auch bei der Haushaltsplanung. Sie setzt keine eigenen Themen, hat offenkundig keine Agenda. Es geht um eine Landeswohnungs-, Landesliegenschafts- und Landesmoorgesellschaft. Mehr kommt da nicht. Ich habe das Gefühl, das entscheidende Zukunftsprojekt von Stephan Weil ist die Suche nach einem Nachfolger. Die Landesregierung trägt dazu bei, die landespolitischen Debatten in Niedersachsen zu narkotisieren.

Rundblick: Und die größte Oppositionspartei, die CDU?

Kuhle: Man merkt schon, dass die CDU noch nicht lange genug raus ist aus der Regierungsverantwortung. Sie kann diese Zustände nicht glaubhaft kritisieren, weil sie bis vor Kurzem noch selbst ihren Teil dazu beigetragen hat.