6. Juni 2022 · Finanzen

Familienzuschlag für Beamte bringt das gesamte Besoldungssystem ins Wanken

Foto: GettyImages/Andrei Borisenkov

Wenige Wochen erst ist es her, da hat Finanzminister Reinhold Hilbers den Plan für ein neues Gesetz vorgelegt – eines der letzten, das die Große Koalition durch den Landtag bringen will. „Besoldung verfassungsgerecht geregelt“ stand als Überschrift über der Pressemitteilung. Im Detail klingt der Vorschlag, der anschließend in Paragraphenform gegossen wurde, recht kompliziert – es ist eine Kombination aus verschiedenen Faktoren und Zuschlägen. Das Ziel ist die Besserstellung für Beamte mit geringem Einkommen, die zwei oder mehr Kinder haben. Nicht ohne Druck von außen gelangt die Regierung zu diesem Vorschlag, denn das Bundesverfassungsgericht hat in den vergangenen Jahren bereits Wegweisendes beschlossen – auch wenn konkrete Klagen von niedersächsischen Beamten gegen die bisherige Besoldung noch nicht abschließend entschieden sind. Hilbers sagte, mit den geplanten Gesetzesänderungen „möchten wir eine angemessene Bezahlung der Beamten in Niedersachsen sicherstellen“. Doch ist das überhaupt möglich? Entspricht der Vorschlag der Regierung überhaupt den verfassungsmäßigen Regeln? Es mehren sich Zweifel.

Das Bundesverfassungsgericht hatte 2020 in Urteilen zur Beamten- und Richterbesoldung – allerdings nicht bezogen auf Niedersachsen – einige Grundsätze entwickelt. Damals stellten die Richter fest, dass in vielen Bundesländern das Einkommen von Beamtenfamilien mit zwei und mehr Kindern zu nah an der Grenze der Grundsicherungsempfänger liegt. Dabei müsse, so betonten sie, zwischen beiden ein Abstand von mindestens 15 Prozentpunkten bestehen. Mehrere Länder haben schon begonnen, die eigenen Gesetze daraufhin zu ergänzen und zu reparieren. Ziemlich weit ist Schleswig-Holstein, wie aus einer internen Bewertung von Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) hervorgeht: Bei der vierköpfigen Familie eines gering besoldeten Beamten klafft zwischen seinem jährlichen Einkommen und dem Grundsicherungsniveau eine Lücke von 475 Euro.

Monika Heinold | Foto: Grüne

Wenn man nun konsequent vorginge, müsste das Gehalt sämtlicher aktiver Beamter um diesen Jahresbetrag angehoben werden. Das würde für Schleswig-Holstein aber jährlich Mehrausgaben von 364 Millionen Euro bedeuten – und wurde daher von Heinold als „zu teuer“ verworfen. Der Osnabrücker Studienrat Torsten Schwan, der sich seit Jahren intensiv mit dem Besoldungsrecht befasst, hat die für Schleswig-Holstein beschriebene Lücke auf Niedersachsen übertragen – und kommt auf einen Betrag von jährlich 616,50 Euro. Da der Betrag höher ist und es viel mehr Landesbeamte in Niedersachsen gibt als in Schleswig-Holstein, kann man wohl bei konsequenter Höherbezahlung aller Beamten mit weit höheren Summen für den Landesetat rechnen – womöglich das Doppelte der in Kiel für Schleswig-Holstein kalkulierten 364 Millionen Euro.

Schleswig-Holstein wählt nun als Ausweg eine für das Land weit kostengünstigere Variante – und diese ist auch Grundlage des niedersächsischen Modells von Hilbers. Die Landesregierung in Hannover will zunächst das Weihnachtsgeld für Beamte bis A8 kräftig anheben, für die höheren Gruppen weniger kräftig. Auch das Kinder-Weihnachtsgeld wird erhöht. Dann entfallen die ersten Erfahrungsstufen für die Besoldungsgruppen A5 bis A7, was einer höheren Eingangsbesoldung für die unteren Einkommensgruppen gleichkommt.

Der dritte Schritt ist der sogenannte „Familienergänzungszuschlag“: Dieser soll gezahlt werden, wenn das gemeinsame Einkommen beider Elternteile (des Beamten und seiner Partnerin) nicht ausreicht, den Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau zu gewährleisten. Dies soll aber nur für Familien von geringbesoldeten Beamten mit zwei und mehr Kindern gelten. Das Finanzministerium in Hannover gibt offen zu, dass es sich hier um eine Abkehr von der bisherigen Annahme handelt, dass nur ein Elternteil – der Beamte – allein für den Unterhalt der Familie aufkommt. „Wir tragen damit dem inzwischen gewandelten Bild der Familie in der Gesellschaft Rechnung“, teilt Hilbers mit.

Aber ist dieses Modell samt seiner fortschrittlich klingenden Begründung überzeugend? Die parlamentarische Debatte im niedersächsischen Landtag dazu steht noch bevor. Einen Vorgeschmack auf die dann möglichen Fragen gibt aber schon der Streit, der in Schleswig-Holstein geführt wurde. So hat es in Kiel zu den dortigen Absichten Widerspruch vom Wissenschaftlichen Dienst des Landtags gegeben. Dieser hatte erklärt, die Einbeziehung des Einkommens des Partners bei niedrig besoldeten Beamten mit zwei und mehr Kindern sei „inkonsequent“, weil sie „nicht komplett durchgeführt“ werde. Dass dieser Zuschlag bedarfsorientiert gewährt werden und in höheren Besoldungsgruppen nicht mehr greifen soll, sei ein „Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Abstandsgebot“ – also die Vorschrift, wonach zwischen den verschiedenen Besoldungsstufen immer ein gewisser Abstand bestehen müsse.

Wie aus der Stellungnahme von Ministerin Heinold hervorgeht, würde ein solches Problem auch bestehen, wenn man lediglich die Kinderzuschläge erhöhen würde. Das Ergebnis könne nämlich sein, dass ein Beamter einer niedrigen Besoldungsstufe mit vielen Kindern mehr Einkommen erzielt als sein Vorgesetzter, der keine Kinder hat. In Kiel hat Ministerin Heinold diese Bedenken mit dem Hinweis vom Tisch gewischt, von dem geplanten „Familienergänzungszuschlag“ für niedrig besoldete Beamte und nicht berufstätigen Partnern werde ohnehin nur „ein sehr kleiner Teil“ profitieren – sie sprach von weniger als 100 Personen unter insgesamt 40.000 Landesbeamten in Schleswig-Holstein. Aber ist die Menge ausschlaggebend, wenn sich die Kritik auf das Prinzip bezieht?

Noch ein anderer Einwand begegnet dem Modell, das in Schleswig-Holstein und nun auch in Niedersachsen anvisiert wird: Es könne „Fehlanreize“ geben. Der versprochene „Familienergänzungszuschlag“ könne bewirken, dass Partnerinnen geringverdienender Beamter lieber auf die Berufsausübung verzichten – da der Vorteil eines eigenen Verdienstes wegfällt, wenn dessen Anrechnung zur Nicht-Gewährung des „Familienergänzungszuschlags“ führen würde. Doch in der Stellungnahme von Heinold wird auch dieser Einwand beiseite gefegt – schon der bereits bestehende Familienzuschlag führe zu Verschiebungen und Fehlanreizen, und die Länder allein könnten daran nichts ändern, da sie „kein grundlegend verändertes Besoldungsrecht“ schaffen dürften. Das könne ja nur bundesweit geschehen.

Was nun bleibt, ist die spannende Frage, wie die weitere Entwicklung in Niedersachsen sein wird. Die juristische Prüfung von Hilbers‘ Gesetzentwurf steht noch bevor, und die Bedenken sind – wie das Beispiel Schleswig-Holstein zeigt – erheblich. Der Landtag hat indes nur noch zwei Sitzungswochen zur Verfügung, Ende Juni und im September, um ein Gesetz zu beschließen. Wenn das nicht gelingt, sind die Vorbereitungen für die Katz, und die nächste Landesregierung muss ab kommenden Herbst einen neuen Versuch starten.

Dieser Artikel erschien am 7.6.2022 in Ausgabe #105.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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