Niedersachsens Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) hat den von ihr propagierten Gesellschaftsvertrag für die Landwirtschaft einen Schritt vorangebracht. Bei einer Online-Diskussionsveranstaltung tauschte sie sich mit etwa 100 Gästen aus der Land- und Forstwirtschaft, der Wissenschaft und der Politik über die Herausforderungen der Branche aus. Die Notwendigkeit eines solchen Gesellschaftsvertrages wurde dabei von allen Seite bestätigt, an der Umsetzbarkeit kamen aber Zweifel auf. Den wissenschaftlichen Rahmen gab zunächst Achim Spiller, Professor für Agrar- und Lebensmittelmarketing an der Georg-August-Universität Göttingen, vor: Wofür braucht es überhaupt einen Gesellschaftsvertrag? Prof. Spiller stellte dabei auf den deutschen Philosophen Jürgen Habermas und dessen Diskursethik ab. Es gehe darum, auf Augenhöhe einen gemeinsamen Weg zu finden.

Gerade bei den Themen der Landwirtschaft machte Prof. Spiller eine starke Polarisierung aus, es gebe einen regelrechten „Food War“ – die Verfechter der Produktivität stünden denen der Natürlichkeit gegenüber. Prof. Spiller kam zu dem Ergebnis: „Wir haben genug gestritten, jetzt sollten wir konstruktive Wege finden.“ Es gehe nun darum, ein Bild davon zu entwickeln, was die Gesellschaft will, oder vielmehr: was die Teilgesellschaften wollen. Damit räumte Prof. Spiller bereits ein, dass die Wissenschaft doch eher von einer fragmentierten Gesellschaft ausgeht. Der angestrebte Gesellschaftsvertrag für die Landwirtschaft müsse also zum Schluss eine Reihe von Teil-Gesellschaftsverträgen zusammenführen. Dabei werde viel für Klimaschutz und Biodiversität bewegt, meinte Spiller. Es sei aber entscheidend, dass die Landwirtschaft dabei auch mitgenommen werde.

Wasser in den Wein goss der Landwirt und Agrar-Blogger Bernhard Barkmann. Ein Gesellschaftsvertrag sei seiner Ansicht nach zwar wünschenswert, doch er sei da „sehr skeptisch“, sagte der „kleinbäuerliche Massentierhalter“, als der er sich selbst bezeichnete. Zu häufig habe er gesehen, wie derartige Versuche bereits scheiterten. Als Basis einer gemeinsamen Übereinkunft versuchte sich Barkmann an der Formulierung des ersten Artikels oder der Präambel des Vertrages: „Alle in Deutschland verkauften Lebensmittel sollen möglichst auch in Deutschland erzeugt werden.“ Dass man sich darauf verständigen kann, glaubt er derweil selbst nicht so ganz.

Darüber hinaus skizzierte Barkmann, was seiner Ansicht nach Teil des Gesellschaftsvertrages sein müsste: Es bedürfe zunächst eines Bekenntnisses zur Landwirtschaft, wie sie derzeit in Deutschland vorhanden ist – in all ihrer Unterschiedlichkeit: kleine und große Betriebe, Ökolandbau und konventionelle Landwirtschaft und alle Stufen dazwischen. Zudem müsse von der Gesellschaft anerkannt werden, dass es Zielkonflikte gebe, die sich nicht unbedingt auflösen ließen und die man aushalten müsse: etwa zwischen Klima-, Umwelt-, Natur- und Artenschutz.

Barkmann vermisst die Anerkennung für die Leistung der Landwirte durch die gesellschaftlichen Akteure. Für Naturschutzverbände, viele Medien und sogar das Bundesumweltministerium seien die Bauern schuld an allem. Was die Landwirte bräuchten, sei eine Verschnaufpause. „Die Bauern müssen sich nach all den Gesetzesänderungen erst einmal konsolidieren können“, sagte der Agrar-Blogger. Und schließlich forderte Barkmann noch einen Realitäts-Check für alle anstehenden Maßnahmen. „Corona wird teuer für den Staat aber auch für die Privathaushalte.“ Die sozioökonomischen Folgen neuer Tierwohl- oder Ökostandards müssen vorher abgeschätzt werden, sprich: Der Staat soll darauf achten, dass die Menschen sich die Lebensmittel am Ende auch noch leisten können.

Gute Erfahrungen mit dem Verkauf hochpreisiger und qualitativ hochwertiger Lebensmittel machte eine weitere Teilnehmerin der Diskussionsrunde. Theresa-Marie Pelka hat einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Direktvermarktung in der Lüneburger Heide. Sie verkauft Eier, Kartoffeln, Spargel und Weihnachtsgänse an Bewohner des Hamburger Speckgürtels. Ihr Erfolgsrezept ist der direkte Kontakt: „Wir suchen den Dialog und wir mögen den Dialog mit den Verbrauchern.“ Pelka ist überzeugt, dass der Verbraucher inzwischen für viele Landwirte zum Feindbild geworden ist. Deshalb scheuten sie den Kontakt. Dadurch vertiefe sich zum einen die Spaltung zwischen Erzeugern und Verbrauchern – wobei Pelka einsieht, dass der direkte Kundenkontakt nicht für jeden Landwirt das richtige ist. Daraus ergebe sich zum anderen aber auch ein Marktproblem: „Es gibt eine große Lücke von rund 80 Prozent der Landwirte, die weder Weltmarkt können, noch Regionalmarkt wollen“, meinte Pelka. Agrarministerin Otte-Kinast lobte am Beispiel der Landwirtin aus der Lüneburger Heide, dass dort der Gesellschaftsvertrag auf dem Hof bereits gelebt werde. Doch lässt sich dieses Modell einfach auf das ganze Land übertragen?