11. Juni 2024 · 
Landwirtschaft

Experten streiten: Brauchen die Bauern Glyphosat oder geht es auch ohne?

Allein mit dem Wort kann man in Deutschland schon keinen Blumentopf mehr gewinnen: Das Unkrautbekämpfungsmittel Glyphosat löst in der Bevölkerung starke Gefühle aus. Agrarlobbyisten sprechen deshalb bei öffentlichen Auftritten schon nur noch von dem „Wort mit G“. In weiten Teilen der Gesellschaft hat sich die Vorstellung durchgesetzt, das Herbizid sei für den Menschen gefährlich.

Als die EU-Kommission im vergangenen Herbst entschieden hat, die Zulassung für das Chemieprodukt zu verlängern, und den Mitgliedstaaten gleichzeitig offenließ, wie sie künftig damit verfahren wollten, löste das folglich erhebliche Irritation aus: Auf der einen Seite sehen Umweltschützer eine Gefahr für die Natur und Verbraucher fürchten sich vor Krebserkrankungen, wenn Glyphosat weiterhin verwendet werden darf. Auf der anderen Seite bangen die Landwirte um ihre Arbeit, wenn das Produkt tatsächlich verboten werden sollte. Denn viele Bauern setzen das Präparat ein, um ihre Äcker vor der Aussaat von Unkraut zu reinigen. Der Wirkstoff sorgt dafür, dass die unliebsamen Pflanzen vertrocknen und absterben.

Hat einen ganz schlechten Ruf: Das Herbizid Glyphosat ist bei Verbrauchern überhaupt nicht beliebt. | Foto: GettyImages/Kittisak Kaewchalun

Am 14. Juni wird im Bundesrat über eine Änderung der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung entschieden. Das Landvolk Niedersachsen fordert, bei dieser Gelegenheit das Anwendungsverbot von Glyphosat in Wasserschutzgebieten zu streichen. Im niedersächsischen Landtag wirbt derweil die CDU-Fraktion dafür, dass sich die Landesregierung für die dauerhafte Zulassung des Unkrautvernichters in der Anwendungsverordnung einsetzt. Ein entsprechender Entschließungsantrag, der mit weiteren Punkten etwa zur Förderung alternativer Maßnahmen flankiert wird, beschäftigt deshalb aktuell den Agrarausschuss. In einer Expertenanhörung wurden in der jüngsten Sitzung des Gremiums die gegenläufigen Standpunkte sehr deutlich:

  • Wichtige Studien ignoriert: Im vergangenen Sommer hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eine Bewertung der Risiken durch Glyphosat abgegeben und dabei „keine kritischen Problembereiche festgestellt“. Gleichzeitig wies die Behörde aber schon damals auf Datenlücken hin. Eberhard Prunzel-Ulrich von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) erklärte vor dem Agrarausschuss, eine Reihe kritischer Studien sei schlichtweg nicht beachtet worden. Das habe zu Unmut in der Wissenschafts-Community geführt. Die BUND-Landesvorsitzende Susanne Gerstner verwies darauf, dass etwa die direkte Schädigung von Nicht-Zielorganismen, wie zum Beispiel Amphibien- oder Insektenarten, nicht in die Risikobewertung eingeflossen sei. Zudem sorge das Abtöten der Pflanzen mittels Glyphosat dafür, dass Lebensraum und Nahrungsgrundlagen für viele Arten vernichtet werden. Darunter leide schließlich auch das gesamte Ökosystem. Außerdem sei festzustellen, dass der Wirkstoff auch jenseits der Felder noch die Natur beeinträchtigen kann.
Landwirte verwenden Herbizide wie Glyphosat, um ihre Felder vor der Aussaat von Unkraut zu befreien. | Foto: GettyImages/Dzmitry Palubiatka
  • „Reiten Sie kein totes Pferd“: Prunzel-Ulrich von der AbL verwies ebenso wie Gerstner vom BUND auf die allgemeine Erkenntnis, dass etwas gegen das Insektensterben getan werden müsse. Nicht ohne Grund habe man sich im „Niedersächsischen Weg“ bereits darauf verständigt, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln deutlich verringern zu wollen. Sie fordern von der Politik, der Landwirtschaft keine uneindeutigen Signale zu senden, sondern das Ende der chemischen Unkrautvernichter deutlich zu benennen. Für Prunzel-Ulrich steht fest: „Totalherbizide sind der völlig falsche Technologieansatz, sie widersprechen den Grundlagen des integrierten Pflanzenschutzes.“ Demnach dürfe chemischer Pflanzenschutz stets erst als letztes Mittel eingesetzt werden. Hinzu kommt die Sorge vor Resistenzen: Wird Glyphosat vermehrt eingesetzt, verliert es zusehends seine Wirkung, weil immer mehr Pflanzen sich inzwischen dagegen wehren könnten. Greift der Landwirt infolgedessen zu noch mehr Unkrautvernichter, setzt sich eine gefährliche Spirale in Gang. Alles in allem sehen die Umweltschützer keine Zukunft für Glyphosat und sind überzeugt, dass der Europäische Gerichtshof bald ähnlich entscheiden sollte. Niedersachsens Landwirte sollten davon dann nicht überrascht werden.
Eberhard Prunzel-Ulrich | Foto: Regionalbewegung/Simon Malik
  • Sorge vor Erosion und Unfruchtbarkeit: Kann der Ackerbau auch ohne Glyphosat funktionieren? Junglandwirt Tammo Steen von dem Unternehmen „Agrar-Service Meyer GmbH & Co. KG“ machte vor dem Agrarausschuss deutlich, dass es wohl ginge – allerdings zum Nachteil der Bodenqualität. Verzichtet der Landwirt auf chemische Unkrautvernichter, muss der Boden intensiver mit dem Pflug bearbeitet werden, um die Unkräuter entsprechend unterzugraben. Das wiederum birgt die Gefahr einer sehr viel größeren Erosion durch Wind und Wasser: 3,9 Tonnen Ackerboden könnten dann pro Hektar und Jahr verlorengehen. Weitere Nachteile schließen sich an: Muss der Boden intensiver bearbeitet werden, kostet das Zeit und Geld, verbraucht mehr Diesel und setzt insgesamt mehr Kohlenstoffdioxid frei, erklärte Steen. Jede mechanische Bearbeitung des Bodens koste 20 bis 30 Liter Diesel pro Hektar, sagen die Fachleute.

„Für den Regenwurm ist es eine Katastrophe, wenn der Pflug kommt, aber fast egal, ob Glyphosat eingesetzt wird.“

  • Alternativen bevorzugen: Steen und andere Praktiker wissen aber auch um mögliche Alternativen, etwa den konservierenden Ackerbau ohne Pflug. Ziel sei es dabei, mit Mulch- oder Direktsaat den Boden zu schonen und durch intensive Zwischenfruchtfolgen viel Organik an die Bodenoberfläche zu bringen. Joachim Brunotte von der Gesellschaft für konservierende Bodenbearbeitung erklärte den Abgeordneten, dass ein hoher Bedeckungsgrad zwei positive Effekte habe: Der Regen prasselte dann nicht mehr direkt auf den Ackerboden, sprengte diesen nicht auf und verstopfte nicht mehr die Poren. Außerdem freute das dann auch die Regenwürmer, die den Boden auf natürliche Weise belüfteten und mit ihren Kanälen das Niederschlagswasser bestmöglich ins Erdreich führen könnten. Zu den Würmern sagte Brunotte außerdem: „Für den Regenwurm ist es eine Katastrophe, wenn der Pflug kommt, aber fast egal, ob Glyphosat eingesetzt wird.“
  • Gezielter spritzen: Steen bleibt allerdings ebenso wie Dirk Wolber von der Landwirtschaftskammer dabei: Glyphosat möchten beide auch künftig als ein Instrument von vielen nicht missen. Der Junglandwirt setzt allerdings darauf, den Unkrautvernichter künftig viel zielgerichteter einzusetzen. Eine Möglichkeit wäre eine sogenannte Spot-Spraying-Spritze, die der Junglandwirt bei einem Auslandsaufenthalt in Australien kennengelernt hat, in Deutschland aber bislang an der Zulassung scheitert.
Der Trend geht zum Spot-Farming: Moderne Feldspritzen wie der „Smart Sprayer“ des niedersächsischen Landmaschinenherstellers Amazone erlauben punktgenauen Herbizideinsatz. | Foto: Amazone
  • Um die Ecke gedacht: Johannes Blanke vom Betrieb „Blanke Eickeloh“ überraschte die Abgeordneten mit unerwarteten Perspektiven. So relativierte er die Krebs-Gefährdungslage für den Menschen, indem er den Glyphosat-Wirkstoff in eine Reihe stellte mit rotem Fleisch, heißen Getränken oder Nachtarbeit, die ebenfalls als potenziell krebserregend gelten. Außerdem meinte er, dass die Abgrenzung zum Ökolandbau schwerfalle, falls Glyphosat auch für konventionelle Betriebe verboten werde. Der Anreiz, Produkte der ökologischen Landwirtschaft zu kaufen, würde dadurch verringert, so sein Argument.
Dieser Artikel erschien am 12.6.2024 in Ausgabe #107.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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