Die Sprache ist ein armer alter Packesel, dem alles aufgebürdet wird. Wir dürfen Sprache nicht zu viel zusprechen, was eigentlich dem Inhalt gebührt.
Am vergangenen Donnerstag traf Seville auf einen politischen Redner, den sie zuvor nur auf dem Papier analysiert hatte: Robert Habeck, Co-Vorsitzender der Grünen. Auf dem Podium im Schloss Herrenhausen saßen die beiden nun nebeneinander. Die Volkswagenstiftung hatte dorthin zur Diskussion geladen: Trifft die Politik noch den richtigen Ton? Für Seville ist Habeck ein Redner neuen Typs, der anders spreche und auch für eine andere Politik stehe als etwa ein Gerhard Schröder (mit seiner Basta-Politik) oder eine Angela Merkel (mit ihrer Politik der Alternativlosigkeit). Habeck spreche damit eine „urbane, selbstreflektierte, ambivalente und differenztolerierende Wählerklientel“ an, sagte die Politikwissenschaftlerin.
Habeck selbst sieht sich durch so eine Einordnung in einer Zwickmühle: „Was ich mache, wird zur Masche erklärt.“ Das ständige Gesehen- und Gehörtwerden führe bei Politikern dazu, dass sie weniger preisgäben und sich so wenig wie möglich aus der Deckung wagten. Also folglich vermehrt in Floskeln sprächen, hinter denen sie sich verstecken können. Der Polit-Star und Buchautor Habeck will versuchen, das zu durchbrechen. „Als ich mein Buch geschrieben habe, sagte mir meine Lektorin, ich dürfe keine Sätze schreiben, die jemand anderes genau so schreiben könnte. Wir Politiker reden aber den ganzen Tag, da können wir nicht immer originell sein.“ Er versuche nun allerdings, mit seinen Beiträgen immer seine eigene Geschichte zu erzählen.
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Experten kritisieren die "Enthumanisierung der Sprache"
Habeck nennt diese Art zu sprechen eine „Enthumanisierung der Sprache“. Durch Stilfiguren würden Menschen mit Tieren oder Naturereignissen gleichgesetzt, wenn zum Beispiel von der „Flüchtlingsflut“ die Rede sei, die natürlich „eingedämmt“ werden müsse. Ein ähnliches Beispiel führte Henning Lobin an, Linguist und Leiter des Leibniz-Instituts in Mannheim. Wenn im Zuge der Seenotrettung von einem „Shuttleservice“ gesprochen werde, wie es im vergangenen Sommer der Fall war, dann werde damit ganz bewusst eine Assoziationskette angestoßen, die bestimmte „Affekte triggern“ solle. Dies sei aber keine neue Entwicklung, seit hunderten Jahren würden solche rhetorischen Strategien bereits eingesetzt. Was der Sprachwissenschaftler allerdings festzustellen meint, ist eine neue „Verunglimpfungspraxis“. Bestimmte Positionen würden sagbarer und lauter. So sei es mittlerweile zum Beispiel häufiger akzeptiert, wenn im Bus rassistisch gepöbelt wird, weil es im Parlament genauso passiere. Außerdem werde eine bestimmte Art des Diskurses geführt, der keinem „gutwilligen Miteinander“ mehr entspreche. Es werde bewusst mehrdeutig formuliert oder sogar gelogen.
Wir müssen nachsichtig sein und auch Nachdenklichkeit zulassen. „Weiß ich nicht“ wird als Antwort eines Politikers aber nicht akzeptiert.
Aber wie kommt es zu dieser Entwicklung des politischen Sprechens? Für Habeck ist die „enthumanisierte Sprache“ eine direkte Reaktion auf die „blutleere Sprache“ der vorangegangenen Jahre. Diese sei wiederum eine Folge der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft, die zwar Glück und Freiheit verspreche, aber keine Wärme gebe, sagte Habeck. „Eine Ansprache, die Gesehenwerden artikuliert, brauchen wir alle.“
Weil sich Milieus auflösten, gehe das „Wir“ verloren, zum Beispiel das „Wir, die Arbeiterklasse“, stellte Habeck fest. Deshalb spreche der Politiker entweder so verallgemeinernd und spreche dadurch eben niemanden mehr wirklich an. Oder es werde ein neues „Wir“ heraufbeschworen, zum Beispiel ein völkisch-nationalistisches. Beide Strategien seien „unterschiedlich falsch“. Gleichzeitig gibt es aus Habecks Sicht auch ein ausschließendes „Wir“, wenn beispielsweise Parteien in ihren Programmen und Reden von „Wir, die Grünen“ oder „Wir, die Konservativen“ sprächen.