In der Büroleiter-Affäre gerät nun Staatskanzleichef Jörg Mielke (SPD) zunehmend in Erklärungsnot. Der hannoversche Anwalt Ralph Heiermann, Experte für Tarif- und Beamtenrecht, hat ein Gutachten in dem Fall angefertigt – und kommt zu einem klaren Urteil: „Die Einstellung und die AT-Gewährung für die Büroleiterin waren rechtsfehlerhaft. Das ist für mich gleichbedeutend mit rechtswidrig“, sagte der Jurist bei der Vorstellung seiner Untersuchung, die er im Auftrag der CDU angefertigt hat. Aus seiner Sicht handelt es sich hier „um einen sehr eindeutigen Fall, nicht um einen Zweifelsfall“.

Stellen die neuesten Erkenntnisse zur Büroleiter-Affäre von Stephan Weil vor (von links): Sebastian Lechner, Ralph Heiermann und Carina Hermann. | Foto: Wallbaum

Bei mehreren Schritten sei es zu Rechtsverstößen gekommen – im Februar 2023 bei der Einstellung der Angestellten nach E15, also für den höheren Dienst, danach bei der Zuteilung einer „Erfahrungsstufe IV“, dann im November 2023 bei der Gewährung eines AT-Zuschlags und auch bei der Rückdatierung der AT-Gewährung zum 1. August 2023. CDU-Fraktionschef Sebastian Lechner sieht für diese Versäumnisse den Chef der Staatskanzlei, Jörg Mielke, verantwortlich: „Der Ministerpräsident muss angesichts der Tragweite dieser Vorgänge personelle Konsequenzen ziehen.“

Die damals 32-jährige Angestellte Aynur C. war Anfang 2023 vom Dienst des Hamburger Finanzsenators in den des Landes Niedersachsen gewechselt. Sie ist dann in den höheren Dienst nach E15 eingruppiert worden. Ein Antrag der Staatskanzlei, sie nach B2 zu befördern, war in der Folge wiederholt vom Finanzministerium abgelehnt worden. Die Staatskanzlei und Ministerpräsident Stephan Weil selbst beharrten aber darauf und bewirkten, dass die Rechtspraxis geändert wurde. Dazu hatte Mielke das Finanzministerium im Herbst 2023 angewiesen, wie Zeuginnen im Untersuchungsausschuss erklärten. Am 21. November wurde C. dann im Kabinett mit einem AT-Vertrag bedacht, erst am 1. Dezember versandte das Finanzministerium daraufhin einen dazu passenden Erlass mit den neuen Richtlinien an die obersten Landesbehörden.

Rechtsanwalt Heiermann sieht nun in mehreren Punkten Rechtsverstöße der Staatskanzlei. Deren Sprecherin Anke Pörksen hat in einer längeren, mit juristischen Details gespickten Mail widersprochen und auf einen eigenen Rechtsgutachter der Landesregierung hingewiesen, dessen Namen und Arbeitsergebnisse allerdings von der Staatskanzlei geheim gehalten werden.

Eingruppierung von C. nach E15

C. war im Februar von der Staatskanzlei nach E15 eingestuft worden. Heiermann sagt, dies sei rechtswidrig gewesen, da der steuerrechtliche Masterabschluss von C. nicht zu den für ihre Tätigkeit geforderten Qualifikationen (verwaltungs-, sozial-, politik- oder wirtschaftswissenschaftliche Inhalte) passt. Auch die dreijährige Berufspraxis nach dem Masterabschluss habe C. nicht erfüllt. Pörksen entgegnet, in Niedersachsen sei die Regelung so zu verstehen, dass ein akkreditierter Masterabschluss reiche, die nähere Prüfung nach dem Laufbahnrecht sei dann gar nicht mehr erforderlich. Das beziehe sich auch auf die Berufspraxis. Basis für diese Auffassung sei eine Vereinbarung zwischen Kultusministerkonferenz und Innenministerkonferenz aus dem Jahr 2007 zur Bewertung von Laufbahnen des höheren Dienstes.

Erfahrungsstufe IV

C. ist dann gleich mit der Erfahrungsstufe IV eingestellt worden. Die Stufe I bedeutet 5000 Euro brutto, die Stufe IV dann 6300 Euro. Heiermann sagt, nach der geringen Berufserfahrung, die C. Anfang 2023 hatte, sei ein solcher Schritt unvertretbar, maximal wäre eine Stufe III vorstellbar gewesen. Die Ausnahme für IV, die bei einem Bewerbermangel gelte, könne hier nicht angewendet werden – denn einen Mangel an interessierten Kräften für die gutbezahlte Büroleitung in der Staatskanzlei gab es sicher nicht. Pörksen meint nur knapp, Niedersachsen habe sich an der in Hamburg gewährten Stufe, das sei auch IV gewesen, orientiert. Allerdings hatte C. in Hamburg das Statusamt E14, nicht wie in Niedersachsen E15. Normalerweise beginnt bei jeder Höherstufung in eine neue Gehaltsgruppe der Dienst wieder mit der Erfahrungsstufe I, also der untersten Stufe.

Rückwirkung der Höherstufung auf den 1. August

Am 21. November wurde C. eine AT-Vergütung zuteil – per Kabinettsbeschluss. Mit der dem Vertrag von C. zugrundeliegenden neuen Regel waren aber ausdrücklich „künftige Fälle“ gemeint, wie aus einer Verfügung des Landes an die obersten Landesbehörden (verschickt erst am 1. Dezember 2023) hervorgeht. Der Hinweis „künftig“ schließt laut Heiermann eine Rückwirkung zum 1. August aus. Pörksen sagt dazu, der vom Land benannte Anwalt (dessen Namen die Staatskanzlei nicht mitteilt) habe mit „künftig“ nicht den zeitlichen Geltungsbeginn gemeint, sondern lediglich eine „inhaltliche Reichweite beschrieben“. Daher sei die Rückstufung zum 1. August vertretbar. Heiermann sieht in der Rückdatierung der AT-Vergütung einen rechtswidrigen Akt.

Verstoß gegen die neue Richtlinie

Die neue, am 1. Dezember verschickte Richtlinie sieht vor, dass das Finanzministerium unter bestimmten Bedingungen nicht mehr vorher im Einzelfall zustimmen muss, wenn AT-Vergütungen an die Beschäftigte der obersten Landesbehörden vergeben werden. C. kam als erste von bisher wohl erst drei Personen in den Genuss dieser Regel – noch bevor diese offiziell bekanntgegeben wurde. Allerdings steht als eine Voraussetzung in der neuen Verfügung geschrieben: „Die betroffene Person erfüllt die für das entsprechende Statusamt beamtenrechtlich erforderlichen Bildungsvoraussetzungen.“ Damit ist nun ein klarer Bezug hergestellt zu den beamtenrechtlichen Mindestanforderungen hinsichtlich Berufsabschluss und Dauer der vorherigen Berufstätigkeit, wie sie sich aus der Niedersächsischen Laufbahnverordnung (NLVO) ergeben.

Hartnäckig verfolgt die CDU die Büroleiter-Affäre von Stephan Weil, die bei den Christdemokraten unter „Gehaltsaffäre Weil“ läuft. | Foto: Wallbaum

Heiermann zieht daraus nun den folgenden Schluss: Da C. gar nicht die von der Neuregelung verlangten Mindestvoraussetzungen mitbringt, hätte das Kabinett sie gar nicht auf der Basis dieser extra für ihren Fall geschaffenen Regel höherstufen dürfen. Wenn nämlich in der Verfügung der Neuregelung von „beamtenrechtlichen Mindestanforderungen“ die Rede ist, dann geht das in der Bedeutung über den von Pörksen zitierten KMK-Beschluss für den „Zugang zu Laufbahnen des höheren Dienstes durch Masterabschluss an Fachhochschulen“ hinaus. Auch hier liegt laut Heiermann ein klarer Rechtsverstoß vor.

SPD und Grüne erklärten, die Darlegungen im Heiermann-Gutachten seien „nicht überzeugend“. Staatssekretärin Pörksen erklärte auf Rundblick-Anfrage, die Staatskanzlei sehe „keine Veranlassung für ein Disziplinarverfahren gegen den Chef der Staatskanzlei“, die Entscheidung über die AT-Vergütung der Büroleiterin sei „rechtlich einwandfrei“ gelaufen.


In unserem Rundblick-Dossier finden Sie eine Sammlung von Artikeln zur Büroleiteraffäre in der Staatskanzlei. | Foto: Staatskanzlei