Es ist gut, dass es für Beamte weiterhin kein Streikrecht gibt
Darum geht es: Das Bundesverfassungsgericht hat gestern vier Verfassungsbeschwerden von beamteten Lehrern zurückgewiesen. Sie hatten für sich das Streikrecht beansprucht – aber die Richter in Karlsruhe teilten diese Auffassung nicht. Ein Kommentar von Klaus Wallbaum.
Die Sicht der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ist verständlich, sie dürfte deckungsgleich sein mit der Position der anderen Mitgliedsorganisationen des DGB. Wenn alle Beschäftigten den gleichen Status hätten, als Angestellte oder Arbeiter, dann würde sich die Gruppe der Arbeitnehmer weniger ausdifferenzieren – und das könnte die Rettung sein für die Gewerkschaften, die seit Jahren gegen Mitgliederschwund kämpfen. Dann gäbe es auf einen Schlag mehr DGB-Mitglieder, mehr Einzahler für die Rentenversicherung, die Chance für die Einführung einer einheitlichen Bürgerversicherung bei der Krankenversorgung wäre größer, und außerdem wäre der DGB die leidige Konkurrenz des Beamtenbundes los. Hätten wir keine Beamten mehr, sondern nur noch eine große Gruppe der Angestellten im öffentlichen Dienst, so könnten Verdi und GEW sich anstrengen, die klar dominanten Interessenvertretungen für diesen Bereich zu werden.
Deshalb darf man das, was jetzt vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt wurde, getrost als ersten Schritt eines größeren Planes bezeichnen. Die klagenden Lehrer, die sich an einem Streik beteiligten und dafür disziplinarisch belangt wurden, wollten ein Streikrecht zugebilligt bekommen – so wie es international den Beschäftigten zusteht. Aber natürlich wäre das nur der Auftakt gewesen für nächste Schritte. Die im Grundgesetz abgesicherten „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“ wären ins Wanken gekommen. Das sahen auch die Richter in Karlsruhe so, die von der Gefahr einer „Kettenreaktion“ sprachen. Nach und nach wären weitere Elemente des Beamtentums gekippt. Bisher sind Beamte in Deutschland in einem besonderen Treueverhältnis zum Staat, sie sind damit leichter für besondere Aufgaben einsetzbar, sind besonders zur Loyalität und Pflichterfüllung verpflichtet und erhalten dafür auch eine besondere Altersversorgung, die Pension, die auf der besonderen Fürsorgepflicht des Dienstherrn beruht. Man mag diese Charakteristika „preußisch“ nennen, und von der Entstehungsgeschichte ist es auch so.
Die Kernfrage lautet nun: Sind inzwischen Lehrer, Polizisten, Finanz- und Verwaltungsbeamte Arbeitnehmer wie viele andere, die für eine bestimmte Zeit ihren Job machen, danach in den Feierabend gehen und in ihrer Freizeit tun und lassen können, was sie wollen? Oder besteht diese „besondere Treuepflicht“ in der Weise über den Feierabend hinaus fort, dass sich Beamte in politischen Meinungsäußerungen mäßigen sollen, nicht streiken dürfen und jederzeit auch bereit sein müssen, für den Staat Dienst zu leisten? Man mag die „besondere Treuepflicht“ für unzeitgemäß und wirklichkeitsfern halten, doch sie ist es in Wahrheit nicht. Dass die Beamtenschaft zu den Grundwerten der Verfassung steht und den demokratischen Staat befürwortet, stärker als alle anderen Berufsgruppen, ist heute wichtiger denn je. Das gilt vor allem angesichts des Erstarkens von Systemkritikern und -gegnern auf der politischen Rechten wie der politischen Linken. Dabei darf die „besondere Treuepflicht“ nicht fehlinterpretiert werden. In der Praxis wirkt sie so, dass die politische Spitze der Regierungen und Ministerien die Tätigkeit der Beamten einfordert. Aber die Beamten sind auf Recht und Gesetz festgelegt, nicht auf den politischen Willen der Führung. Zu ihren Pflichten gehört daher, zu protestieren, wenn die politische Spitze von ihnen Schritte verlangen würde, die gegen Grundsätze der Verfassung verstoßen. Mit einem öffentlichen Dienst, für den der Dienst am Staat lediglich einen „Job“ darstellt, ohne engere Bindung, wären diese Ansprüche weitaus schwerer zu erfüllen. Eine solche Belegschaft dürfte anfälliger werden für willkürliche Forderungen der jeweils Regierenden.
Auch in Deutschland ist nicht auszuschließen, dass irgendwann – wie in Polen, in Ungarn, in der Slowakei oder auch in Österreich – populistische Kräfte in politische Verantwortung gelangen können. Ihnen wäre zuzutrauen, wie in diesen Nachbarländern einige Garanten von Machtkontrolle und Vielfalt aus dem Weg zu räumen. Es käme dann auf die Kraft eines selbstbewussten öffentlichen Dienstes an, in solchen Momenten die politischen Akteure zu bremsen und aufzuhalten. Das geht aber nur dann, wenn der Status der Beamten erhalten und gestärkt, nicht aber geschwächt wird.
Mail an den Autor dieses KommentarsDieser Artikel erschien in Ausgabe #110.