Auch in diesem Jahr hat die Corona-Pandemie Auswirkungen auf den Anbau und die Ernte in der niedersächsischen Landwirtschaft gehabt. Wie Gerhard Schwetje, Präsident der Landwirtschaftskammer (LWK), am Dienstag in Hannover erklärte, habe der Agrarsektor auf die anhaltend geringere Nachfrage reagiert, die wiederum auf geschlossene Kantinen und Restaurants aber auch die Absage von Großveranstaltungen zurückzuführen sei. Insgesamt war dadurch der Bedarf nach beispielsweise Pommes und Bier geringer. Bei den unterschiedlichen Feldfrüchten spielten allerdings jeweils noch andere Faktoren eine Rolle.

Bei der Sommer- und Braugerste etwa war neben dem Nachfrage-Rückgang noch von Bedeutung, dass gerade im nordöstlichen Niedersachsen die Landwirte häufig auf robusteren Roggen umgestiegen seien. „Das kostbare Beregnungswasser sparten sie lieber für ökonomisch interessantere Kulturen wie Kartoffeln, Zuckerrüben und Zwiebeln auf. Bei der Kartoffel, die in Niedersachsen gemeinhin sehr beliebt ist, verzögerte laut LWK-Bilanz das feuchte und kühle Frühjahr die Auspflanzung. Zahlreiche Schauer verstärkten sodann die Ausbreitung von Kraut- und Knollenfäule. Erstmals seit mehreren Jahren ist die Anbaufläche für Kartoffeln wieder rückläufig. „Ein Minus bei der Anbaufläche passt zur Marktsituation in Corona-Zeiten“, sagte Schwetje.
Beim Spargel kam auch 2021 wie bereits im Vorjahr erschwerend zur gesunkenen Nachfrage aus der Gastronomie hinzu, dass Erntehelfer aus Osteuropa gefehlt hätten. Gleiches galt dann auch für Erdbeeren und Heidelbeeren.
Regionale Schwankungen beim Niederschlag
Insgesamt seien die Ernte-Ergebnisse in diesem Jahr zufriedenstellend gewesen, stellte LWK-Präsident Schwetje zusammenfassend fest. Allerdings habe es erneut starke regionale Schwankungen gegeben. So habe der Osten Niedersachsens wie bereits zuvor eine Tendenz zur Trockenheit aufgezeigt, regional sei der Niederschlag sehr ungleich verteilt gewesen. Beispielhafte führte Schwetje zwei Extrempunkte auf und verglich sie.
"Die Differenz zwischen dem feuchtesten und dem trockensten Messpunkt beträgt damit gut 500 Liter pro Quadratmeter."
Am Standort Wittmundhafen in Ostfriesland habe es ein Plus von 242 Liter Wasser pro Quadratmeter gegeben, in Lüchow im Wendland hingegen habe man eine negative Bilanz von minus 267 Liter pro Quadratmeter ermittelt. „Die Differenz zwischen dem feuchtesten und dem trockensten Messpunkt beträgt damit gut 500 Liter pro Quadratmeter“, rechnete Schwetje vor. Besonders zu schaffen machte den Landwirten in diesem Jahr zudem, dass das Frühjahr recht lange kühl geblieben sei, eine kurze Hitzeperiode im Juni dann aber zu einer schnellen Reife geführt habe.
Zwiebeln und Eiweißpflanzen sind Gewinner des Klimawandels
Die Landwirtschaftskammer rät den niedersächsischen Bauern ganz allgemein, sich breiter aufzustellen, um mit den jederzeit drohenden Wetterextremen besser umgehen zu können. Gerhart Baumgärtel, Pflanzen-Bereichsleiter bei der LWK, sagte gestern, ein breit gefächertes Portfolio sei für die Landwirte einfach besser, weil man nicht sagen könne, wie sich das Wetter entwickelt. Den Klimawandel insgesamt bewertet LWK-Präsident Schwetje sogar als Chance. „Einige Früchte werden Gewinner des Klimawandels sein und andere werden die Verlierer sein“, sagte er.
Zwiebeln beispielsweise gehörten zu den Gewinnern. Inzwischen habe sich Niedersachsen sogar neben dem Status als Kartoffel- und Spargel-Land auch den Titel Zwiebel-Land verdient, so der Kammerpräsident. Früher hätte die Zwiebel importiert werden müssen, inzwischen kann sie auch in Niedersachsen angebaut werden. Ähnlich verhält es sich mit Eiweißfrüchten. Anstatt Soja-Bohnen aus Südamerika zu importieren, könne sich diese als „hervorragendes Fruchtfolgeglied“ auch hierzulande einfügen, erklärte Schwetje.
Kammer will Bauern ganzheitlich beraten:
Die Rolle der Landwirtschaftskammer sieht er angesichts des Wandels darin, die Landwirte optimal auf die neuen gesellschaftlichen und klimatischen Anforderungen vorzubereiten und bei Anbau und Ernte gut zu beraten. Der Kammer-Vorstand soll dazu voraussichtlich im November auch noch eine Veränderung in der Struktur der Landwirtschaftskammer beschließen, kündigte Schwetje an. Dabei soll ein neuer Geschäftsbereich „Landwirtschaft“ etabliert werden, der die zentrale Aufgabe erhalten soll, Niedersachsens Bauern umfassend zu beraten. „Wir können die einzelnen Berater der Kammer nicht mehr isoliert sehen“, erklärte er. „Die neuen Herausforderungen müssen wir integriert denken.“ Eine klare Trennung zwischen den Bereichen Wasserschutz und Pflanzenbau beispielsweise sei nicht mehr zeitgemäß.
Digitalisierung wird in Schickelsheim getestet:

Eine weitere große Chance zur Verbesserung der Qualität landwirtschaftlicher Erzeugnisse sieht die Kammer in der Digitalisierung. In der Domäne Schickelsheim (Königslutter) betreibt die LWK daher ein Praxislabor für digitalen Ackerbau, um verschiedene Anwendungen zu testen und für die Landwirte gewinnbringend weiterzuentwickeln. Sensoren sollen beispielsweise dafür eingesetzt werden, dass Traktoren automatisiert über das Feld fahren und sogar Unkraut entfernen können. Eine andere Anwendung soll dabei helfen, landwirtschaftliche Flächen wieder bedarfsgerechter zu düngen oder zu wässern.
Jobst Gödeke, Leiter des Praxislabors, erklärte gestern, dass diese Form der teilflächenspezifischen Bewirtschaftung zwar an sich nicht neu sei. Doch das Wissen über unterschiedliche Bodenbeschaffenheiten sei durch Strukturbrüche immer häufiger verlorengegangen. Die Anwendungen, die im Praxislabor erarbeitet werden, sollen Landwirten dabei helfen, eine optimale Versorgung der Pflanzen mit Wasser und Nährstoffen sicherzustellen.