Erfahrungen mit der digitalen Akte: „Alles geht schneller beim Sozialgericht Stade“
Die Jahrespressekonferenz des Landessozialgerichts (LSG) hatte in diesem Jahr zwei Kernbotschaften. Erstens sind die Fallzahlen erneut stark zurückgegangen, vor allem in Klagen beispielsweise gegen Hartz-IV-Leistungen. Die Eingänge lagen Ende vergangenen Jahres bei 24.424 Verfahren – das sind 4665 weniger als im Jahr zuvor. Noch 2018 hatte es mehr als 40.000 Eingänge gegeben.
Zweitens machen die Sozialgerichte deutliche Fortschritte bei der Digitalisierung. „2023 werden wir die digitale Akte überall an unseren Standorten einführen“, erklärte LSG-Präsidentin Katrin Rieke. Da über Jahrzehnte hinweg die Arbeit mit der Papierakte in der Justiz perfektioniert worden sei, falle die Umstellung jetzt umso schwerer. „Schon bald wird es eine neue Generation von Richtern geben, die den Umgang mit der Papierakte gar nicht mehr kennen“, fügte sie hinzu.
Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat seinen Hauptsitz in Celle, in Bremen gibt es eine Zweigstelle. Von den 16 Senaten sind zwölf in Celle ansässig, vier in Bremen. Das LSG ist Berufungs- und Beschwerdeinstanz für das Bremer Sozialgericht und die acht niedersächsischen Sozialgerichte in Aurich, Braunschweig, Hannover, Hildesheim, Lüneburg, Oldenburg, Osnabrück und Stade. Es geht vor Gericht häufig um Auseinandersetzungen zu Sozialleistungen wie Grundsicherung, Hartz IV, Leistungen bei Unfall, Krankheit, Arbeitslosigkeit, Armut oder im Todesfall von Angehörigen. Mit 27,6 Prozent hat die Grundsicherung in den niedersächsischen Gerichten 2022 den größten Anteil an den Verfahren gehabt. Es folgen die Krankenversicherung mit 20,9 Prozent und die Rentenversicherung mit 13,8 Prozent.
Zu den Gründen, warum die Verfahren zurückgehen und vor allem die Grundsicherung längst nicht mehr so viel juristisches Streitpotenzial hat wie noch vor ein paar Jahren, gibt es laut Rieke keine gesicherten Erkenntnisse, sondern nur Vermutungen. „Möglicherweise sind viele Rechtsfragen in diesem Feld schon geklärt“, meint Rieke. Es könne auch sein, dass die Jobcenter einfach besser arbeiten und weniger Konflikte erzeugen. In der Corona-Zeit sei auch zu beobachten gewesen, dass viele erwünschte Leistungen einfacher und unproblematischer gewährt worden sind. Ob das neue Bürgergeld mit detaillierten Rechtsfragen irgendwann vor den Sozialgerichten lande, sei nicht absehbar. Hier gebe es einige neue Rechtsbegriffe, die eventuell noch mit Unsicherheiten behaftet sind und ausgelegt werden müssen.
„Manchmal versende ich eine Akte und erhalte schon 20 Minuten später dazu einen ausgearbeiteten Schriftsatz zurück.“
Guido Clostermann
Zufrieden ist LSG-Präsidentin Rieke mit den Fortschritten bei der Digitalisierung: Das Sozialgericht Stade sei schon im Mai 2022 mit der Digitalisierung gestartet und führe sie seit Februar rechtsverbindlich für alle neuen Verfahren ein. Aurich, Lüneburg und Oldenburg würden jetzt folgen, Osnabrück, Hildesheim und Braunschweig dann vor den Sommerferien und Hannover – sowie das Landessozialgericht – im Herbst. Guido Clostermann, Direktor des Sozialgerichts Stade, berichtete von seinen Erfahrungen. 2018 habe bei ihm ein Pilotprojekt begonnen, damit seien 2020 zu Beginn der Pandemie schon 80 Prozent der Akten in Stade digitalisiert gewesen. „Das hatte den Vorteil, dass die Richter die Akten zuhause bearbeiten konnten.“
Nötig sei noch eine gesetzliche Klarstellung, damit auch alte Bestandsakten in die elektronische Form überführt und auf neue Art weiterverarbeitet werden können. Als wesentlichen Vorteil sieht Clostermann die enorme Beschleunigung. Lange Postwege oder Botendienste zwischen Gericht und Anwälten ließen sich abkürzen. „Manchmal versende ich eine Akte und erhalte schon 20 Minuten später dazu einen ausgearbeiteten Schriftsatz zurück“, sagt der Sozialgerichtsdirektor. Man spare Papier, Reisekosten und Transportwege. Zusammen mit der Möglichkeit, Richter für Verhandlungen auch per Video zuzuschalten, erlebe man eine enorme Arbeitserleichterung. Wer auf eine Akte Zugriff hat und dort Veränderungen vorgenommen hat, lasse sich anhand der Signatur immer klar nachweisen. Man könne immer auch ablesen, wie der Zustand vor der Bearbeitung gewesen ist.
Dieser Artikel erschien am 10.05.2023 in der Ausgabe #085.
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