Das Thema Atommüll-Endlager in Gorleben ist endgültig vom Tisch. Nachdem der Salzstock schon im September 2020 aus dem Standortauswahlverfahren ausschied, steht jetzt fest: Das Erkundungsbergwerk wird geschlossen und vollständig verfüllt. „Ab heute gibt es keine Hintertür mehr“, sagte Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) am Freitag und eröffnete die Diskussion um neue Zukunftsperspektiven fürs Wendland: „Es ist ein guter Tag für die Region. Aber es ist auch ein Startpunkt für einen zukunftsgewandten Blick nach vorne.“
Politische Fehler ausbügeln: Lies kritisierte die Festlegung auf Gorleben im Jahr 1977 als „eine politisch motivierte Entscheidung, die wissenschaftlich falsch war“. „Ich sehe uns gesellschaftlich in der Pflicht, dass man einer Region, der man durch das Dogma des Endlagers viele Perspektiven und Chancen verbaut hat, auch etwas zurückgibt“, sagte der Sozialdemokrat aus dem Kreis Friesland, der sich als Wendland-Fan outete: „Diese Region hat enormes Potential nicht nur durch ihre natürlichen Landschaften und den Tourismus, sondern auch für die Klima- und Energiewende.“ Künftig sollten bei der Standortsuche nur noch wissenschaftliche Erkenntnisse zählen. „Gorleben stand über drei Jahrzehnte für einen gesellschaftlichen Großkonflikt in Deutschland. Aus diesem Konflikt hat die Politik für die Endlagersuche gelernt: Am Ende muss gut nachvollziehbar sein, aus welchen Gründen ein Standort gewählt wurde“, sagte Jochen Flasbarth (SPD), Staatssekretär im Bundesumweltministerium. Für den 59-Jährigen ist die Stilllegung von Gorleben ein besonderer Meilenstein. „In den 70er Jahren habe ich als Jugendlicher noch selbst gegen das Endlager demonstriert“, verriet er im Gespräch mit dem Rundblick. Flasbarth versicherte jedoch: „Ich wäre auch hierhergekommen, wenn ich etwas weniger Gutes zu verkünden gehabt hätte. Der Suchprozess darf nicht von Emotionen gesteuert sein.“
Bis 2031 muss ein Endlagerstandort gefunden sein. 90 Teilgebiete auf 54 Prozent der Bundesfläche werden noch untersucht, in Niedersachsen kommen sogar 80 Prozent der Landesfläche grundsätzlich dafür in Frage. Auch der Landkreis Lüchow-Dannenberg ist über vier Teilgebiete weiterhin im Standortauswahlverfahren vertreten. Die Chance, dass ausgerechnet das Wendland herausgepickt wird, ist jedoch gering. „Das sind große Tongebiete, die sich über mehrere Bundesländer erstrecken“, erläuterte Stefan Studt, einer der beiden Geschäftsführer der bundeseigenen Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) mit Sitz in Peine.
Rückbau dauert zehn Jahre: Der Vorsitzende der BGE-Geschäftsführung geht davon aus, dass der Rückbau des Erkundungsbergwerks Gorleben erst Anfang des kommenden Jahrzehnts abgeschlossen ist. Allein das Einholen der nötigen Genehmigungen könne zwei bis vier Jahre dauern. „Das Ziel ist es, die insbesondere Salzhalde wieder zu verfüllen und in einem zweiten Los die Schächte zu verschließen“, sagte Studt. Die Hohlräume haben ein Volumen von 328.000 Kubikmetern.
Über die Kosten wollte Studt noch nicht spekulieren. Es sei aber sicher, dass der Rückbau teurer wird als die Offenhaltung des Salzstocks, die zurzeit mit jährlich 20 Millionen Euro zu Buche schlägt. Das Geld dafür werde aus dem Kernenergieentsorgungsfonds genommen, in den die Atomkraftwerk-Betreiber insgesamt 24,1 Milliarden Euro eingezahlt haben. In die Erkundung von Gorleben wurden bislang 1,9 Milliarden Euro investiert. Umsonst sei dieser Aufwand aber nicht gewesen, versicherte Studt. „Wir haben in dieser Zeit hier in Gorleben eine ganze Menge gelernt, wir haben viele technische und wissenschaftliche Erfahrungen gemacht. Das zahlt sich nun beispielsweise bei der Rückholung der Abfälle aus der Asse und der Errichtung des Endlagers Konrad aus“, sagte Studt, der früher sozialdemokratischer Innenminister von Schleswig-Holstein war. Wichtige Erfahrungen habe man auch bei Sicherheitsuntersuchungen, Erkundungs- und Bohrtechniken oder der Erprobung von Bohrkernen gewonnen.
Nachnutzung offen: „Das Ziel der BGE ist Rückbau bis zur grünen Wiese“, sagte Studt. Die BGE werde jedoch keine Gebäude abreißen, wenn es dafür eine sinnvolle Nachnutzung gebe. „Der Gebäudebestand ist aus meiner Sicht noch zu jung, um das einfach alles abzureißen“, sagte Gartows Samtgemeinde-Bürgermeister Christian Järnecke (CDU) und nannte einige erste Überlegungen für die Nachnutzung des Standorts: „Wir würden gerne die Themen grüner Wasserstoff, Windenergie und Photovoltaik forcieren.“ Denkbar sei auch ein wissenschaftlicher Standort in Zusammenarbeit mit einer Universität. Järnecke: „Alleine als Kommune können wir das nicht stemmen, aber wir würden uns gerne mit unseren Ideen einbringen.“ Bei Olaf Lies rennt der CDU-Politiker damit offene Türen ein. Aus Sicht des Umweltministers muss es in Gorleben wie folgt weitergehen: „Jetzt setzen wir uns mit der Region zusammen und fragen: Was stellt ihr euch vor, was hier entstehen kann. Und dann versuchen wir über Landes- und Bundespolitik solche Lösungen anzuschieben.“
Keine Schützenhilfe beabsichtigt: Politisch ist das Wendland derzeit hart umkämpft. Bei der Landratswahl gibt es am 26. September ein Stechen zwischen CDU-Kandidat Hanno Jahn (37,6 Prozent) und Dagmar Schulz (24,7 Prozent), die von Grünen und Bürgerliste unterstützt wird. Im Kampf um das Direktmandat für den Bundestag wird MdB Eckhard Pols (CDU) vom Juso-Landesvorsitzenden Jakob Blankenburg herausgefordert, laut Umfragen kann es Blankenburg gut schaffen. Auf die Frage, ob der Termin für die Verkündigung der Gorleben-Stilllegung in Verbindung zum Wahltermin steht, entgegnete Staatssekretär Flasbarth (SPD) jedoch: „Die konkrete Entscheidung macht - glaube ich - nichts, was für die Bundestagswahl relevant sein könnte. Außer dass sie zeigt, dass wir unseren Job machen. Das ist immer gut.“
Zwischenlager bleibt erhalten: Auf das nur wenige hundert Meter vom Bergwerk entfernte Zwischenlager Gorleben hat die Entscheidung keine Auswirkungen. Auf dem oberirdischen Werksgelände der „BGZ Gesellschaft für Zwischenlagerung“ werden seit 1984 schwach- und mittelradioaktive Abfälle gelagert. Durch insgesamt zwölf Castor-Transporte sind zwischen 1996 und 2009 auch 108 Behälter mit wiederaufbereiteten Brennelementen aus deutschen Kernkraftwerken nach Gorleben gelangt. „Die im Brennelemente-Zwischenlager Gorleben aufbewahrten hochradioaktiven Abfälle entwickeln noch Wärme und müssen deshalb mehrere Jahrzehnte abkühlen, bevor sie an ein Endlager abgegeben werden können“, erläutert die BGZ. Jochen Stay von der Anti-Atom-Organisation „Ausgestrahlt“ fordert auch dafür eine Lösung. „Die Lagerung der Castor-Behälter ist dort nur bis zum Jahr 2034 genehmigt. Eine Einlagerung in ein zukünftiges geologisches Tiefenlager irgendwo in Deutschland soll jedoch nach den Plänen der Bundesregierung frühestens 2050 beginnen“, betont Stay gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Bislang sei unklar, was mit den Castor-Behältern nach 2034 passiere.
Von Christian Wilhelm Link