18. Dez. 2025 · 
TagesKolumne

Empört euch!

Wer das Jahr 2025 überstanden hat, der weiß, wie kalkulierte Empörung geht. Was Politiker können, versucht Spotify auch mit seiner musikalischen Altersschätzung.

Ach, das hat mir schon lange niemand mehr gesagt. 27! Als treue Hörerin des Streamingdienstes hatte ich mir auch ein bisschen Schmeichelei verdient, fand ich. Stolz wie Bolle teilte ich mein „Musikalisches Alter“, wie es Spotifys Algorithmen berechnet hatten, auf Instagram. Bald trafen die ersten Reaktionen ein. Unser Vertriebsleiter Tomas Lada wurde frech auf 44 geschätzt. Er nimmt es sportlich: Sein Faible für Hits der 1990er Jahre sei schuld, erklärt er. Dabei war er in den Neunzigern gerade erst geboren. Eine Freundin von mir taxierte der Algorithmus sogar auf 71. Sie beschuldigt ihren Partner: Mit seinem „ewigen Jazzgehöre“ habe er ihr ihre musikalische Jugend genommen.

Auf einem Screenshot des Spotify "Wrapped" steht "Mein musikalisches Alter 27".
Der Beweis: 27! | Screenshot von Spotify

Die Marketing-Leute von Spotify wissen natürlich genau, was sie tun. Wer das Jahr 2025 überstanden hat, der weiß, wie kalkulierte Empörung geht. Sich über eine ziemlich willkürliche Altersschätzung aufzuregen, ist am Ende dieses haarsträubenden Jahres allerdings nur noch warmer Regen für die Gemüter. Ich habe die 27 zugeteilt bekommen, weil "ich viel Musik aus den frühen 2010er Jahren gehört habe". Spotify hat mir das Alter von jemandem zugewiesen, der in dieser Zeit gerade erwachsen wurde. Dahinter steckt die Idee, dass in der Altersspanne zwischen 16 und 21 der musikalische Geschmack geprägt wird. Aber so einfach war das bei mir nicht: Als ich 16 war, lief bei uns im Wohnzimmer NDR1 (damals noch ohne englischsprachige Lieder). Zum MTV-Gucken musste ich ins Einkaufszentrum gehen. Mit Anfang Zwanzig habe ich dann alles an Musik aufgesogen, von Ska über Jazz bis zu Liedermacherinnen mit sehr langen Haaren. Von Geschmack im engeren Sinn würde ich da auch nicht sprechen.

Aber darum geht es für Spotify ja gar nicht. Sondern darum, sich mit einer gezielten Provokation ins Gespräch zu bringen. Und damit sind wir wieder bei der Politik. Am Dienstag im Landtag versprach Vanessa Behrendt von der AfD zum Beispiel der SPD: „Ich werde für Sie beten!“ Sozialminister Andreas Philippi empfand das als Blasphemie und konterte, sie solle für sich selbst beten. Religion als rhetorische Waffe – das hat man hierzulande lange nicht gehört. Politisches Alter: Gute 500 Jahre, würde ich sagen. Wie Sie heute im Rundblick lesen, ist der Gender Pay Gap in Niedersachsen wieder gestiegen: von 15 auf 16 Prozent. Allerdings konnte er sein politisches Alter knapp verteidigen, denn auf den Stand von 2023 – 18 Prozent – ist er noch nicht zurückgekehrt.

Wenn Sie wissen möchten, worüber sich die Rundblick-Redaktion in diesem Jahr aufgeregt hat (und was uns überrascht, inspiriert, Hoffnung gemacht hat), dann lege ich Ihnen die funkelnagelneue Ausgabe des Podcasts "Niedersachsen im Blick" ans Herz. Jetzt aber zu den Themen der heutigen Ausgabe – Empörung inklusive!

  • Reformpläne: Führt die Reform der gymnasialen Oberstufe zu einem Leistungsabfall? Kultusministerin Julia Hamburg (Grüne) verteidigt ihre Pläne gegen die kritischen Nachfragen der Opposition.


  • Freihandel: Importiert Deutschland zu viele Lebensmittel aus dem Ausland, statt auf die Selbstversorgung zu setzen? Der AfD-Kurs für die Agrarpolitik findet im Landtag keine Unterstützer.


  • Ausblick: Fünf Landtagswahlen und drei Kommunalwahlen prägen das neue Jahr 2026 - darunter auch die Kommunalwahl bei uns am 13. September. Die Folgen könnten erheblich sein.


  • Außerdem: Führungswechsel bei Continental, in der Autostadt und beim Landesjugendring

Bleiben Sie so jung, wie Sie sich fühlen!

Ihre Anne Beelte-Altwig

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #226.
Anne Beelte-Altwig
AutorinAnne Beelte-Altwig

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