Im Jugendamt des Landkreises Lüchow-Dannenberg ist die Vorfreude groß: Nervige Aufgaben können die Mitarbeiter demnächst auf die neue Kollegin „Emma“ abwälzen. „Emma erledigt die Arbeiten, die von den Mitarbeitenden als langweilig empfunden werden und die nicht beliebt sind“, sagt Fachdienstleiterin Susanne Altmeyer. Dazu gehört zum Beispiel die erste Sichtung der Anträge für Unterhaltszuschüsse für Alleinerziehende.
„Emma wird künftig überprüfen, ob die Unterlagen vollständig sind und ob der Antrag unterschrieben ist – das sind einfache Tätigkeiten, die aber wirklich zur Entlastung beitragen.“ Ob der Antrag angenommen wird oder nicht, darf „Emma“ freilich nicht entscheiden. Denn „Emma“ – auch bekannt als EMMA RPA (Robotic Process Automation) – ist eine Künstliche Intelligenz (KI), die die Behördenmitarbeiter unterstützen und nicht ersetzen soll. „Man gibt Emma vor, was sie lesen, sehen und erkennen darf. Am Ende liegt aber immer noch die Entscheidung beim Sachbearbeiter. Die KI trifft keine Entscheidung für sich“, erklärt Sabrina Donner, Leiterin der Stabsstelle Digitalisierung. Sie fügt hinzu: „Wir nutzen KI nicht für Überwachung oder dergleichen. Es geht ausschließlich um die Unterstützung und Entlastung der Mitarbeiter.“

„Emma“ ist aber nicht der einzige digitale Neuzugang im Kreishaus. Auch die Protokolle der Kreis- und Ausschusssitzungen sollen künftig von einer Software verfasst werden. „Protokollführung ist immer eine sehr, sehr aufwändige Arbeit. Deswegen wollen wir ausprobieren, ob uns KI dabei helfen kann, Protokolle in der gewohnten Qualität zu erstellen – aber ohne den bisherigen Aufwand“, sagt Landrätin Dagmar Schulz. Bisher geschieht die Verschriftlichung des Protokolls mithilfe einer Audioaufzeichnung, die mühsam abgetippt werden muss. „In der Regel braucht die Kollegin drei volle Tage, um das Protokoll einer Kreistagssitzung zu verfassen. Man hört sich die Sitzung an und spult immer wieder hin und her, um alles aufzuschreiben“, erläutert Donner.
Die von der Düsseldorfer IT-Firma „straiqr.ai“ entwickelte KI-Anwendung „Scriba“ (lateinisch für Schreiber) benötigt für diese Aufgabe nur einen Bruchteil dieser Zeit und kann mithilfe von Stimmproben sogar die Sprecher auseinanderhalten und benennen. „Bei uns in der Serverlandschaft in Düsseldorf dauert das zwei, drei Minuten“, sagt Geschäftsführer Felix Komoll: „Das Ganze ist aber so konzipiert, dass es auch auf einem handelsüblichen Rechner ohne besondere Anforderungen läuft.“ In Lüchow werde die automatische Protokoll-Generierung daher voraussichtlich in ein bis zwei Stunden abgeschlossen sein.
Auch „Emma“ hat keine besonderen technischen Anforderungen und kann auf den bisherigen Verwaltungsrechnern in Lüchow eingesetzt werden. „Die Anwendungen werden auf unseren Servern gehostet. Die liegen in keiner Cloud, die kommen nicht nach außen und unterliegen unseren Sicherheitsvorkehrungen“, sagt Donner, die im Landkreis auch für Informationssicherheit zuständig ist. Zudem gebe es sowohl für „Emma“ als auch für „Scriba“ eine revisionssichere Ablage. „Man kann immer nachvollziehen, was Emma gesehen oder geklickt hat“, sagt die Diplom-Verwaltungswirtin. „Emma“ wird über eine Zwei-Jahres-Lizenz erworben, die Anschaffung von „Scriba“ habe den Landkreis insgesamt 20.000 Euro gekostet. „Es fallen keine Folgekosten an, die Updates sind für uns kostenfrei“, berichtet Donner. Weil der Landkreis bei der Entwicklung mitgeholfen hat, sind die Konditionen allerdings besonders günstig. „Wir haben vorher noch nie mit einer Kommune zusammengearbeitet, aber der Prozess lässt mich optimistisch in die Zukunft blicken. Da können sich manche Unternehmen eine Scheibe abschneiden“, sagt Komoll. „Scriba“ sei zwar an die Bedürfnisse in Lüchow besonders angepasst worden. „Das Programm ist aber problemlos übertragbar auch auf andere Verwaltungen“, so der IT-Unternehmer.
Das KI-Programm „Emma“ stammt von der hessischen Firma Wianco und wird unter anderem bereits in den Städten Wiesbaden, Offenbach und Gießen sowie in den Landkreisen Kassel und Hochtaunuskreis verwendet. In Niedersachsen kommt die Software in Lüchow erstmals zum Einsatz. „Der Landkreis Lüchow-Dannenberg ist ja bisher nicht als Landkreis des Fortschritts bekannt gewesen. Was den Einsatz von KI betrifft, sind wir in Niedersachsen nun Vorreiter“, freut sich Landrätin Schulz und sagt: „Das ist für uns erst der Beginn, wir wollen uns weiter auf den Weg machen.“
Digitalisierungsexpertin Donner hat bereits weitere Ideen in der Schublade – zum Beispiel eine automatisierte Bewerbersuche für offene Stellen. „Wir warten nicht mehr darauf, dass sich Bewerber bei uns melden, sondern werden aktiv auf die Suche gehen“, sagt sie. Im Kreishaus hat der KI-Einsatz bereits zu einer ersten Neueinstellung geführt. Ein Mitarbeiter habe seinen Arbeitsvertrag nur deswegen unterschrieben, weil man dort jetzt auf digitale Innovationen setzt, berichtet Altmeyer. „Ein Vorteil der KI, der sich nicht erfassen lässt, ist die Mitarbeiterzufriedenheit“, sagt die Fachdienstleiterin.
