In Leipzig, mehr als 400 Kilometer vom betroffenen Abschnitt der Elbe entfernt, verkünden die Richter des Bundesverwaltungsgerichts am Vormittag ihr Urteil zur Elbvertiefung. Es ist der vorläufige Schlusspunkt eines Streits, der nun schon seit 14 Jahren andauert. Vor allem die Stadt Hamburg hat großes Interesse daran, den Fluss auf einer Länge von 100 Kilometern – vom Hafen bis zu Elbmündung – von bisher 13,50 Meter auf 14,50 Meter zu vertiefen. Auf niedersächsischer Seite ist die Begeisterung für das Bauprojekt nur gering ausgeprägt. Das Feld der Kritiker ist breit und reicht von den Grünen bis zur CDU. „Die Deichsicherheit darf nicht gefährdet werden und der durch den Klimawandel drohende Anstieg der Wasserstände und die beschleunigte Fließgeschwindigkeit sind starke Argumente gegen weitere Flussvertiefungen“, sagt Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) dem Rundblick. „Es geht um die Sicherheit in Gegenwart und Zukunft, und es geht darum, dass auch künftige Generationen von lebendigen Flüssen mit einer vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt profitieren.“ Auch der CDU-Umweltpolitiker Martin Bäumer meint, Hamburg solle sich noch einmal überlegen, ob es das wirklich wert sei. „Die Hamburger haben doch auch Interesse daran, langfristig ein guter Nachbar zu sein. Und als guter Nachbar macht man nicht alles, was einem erlaubt ist.“ Die Frage bei der Flussvertiefung sei doch: „Wann ist der Punkt erreicht, an dem es auch einmal gut ist?“, so Bäumer.

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Die Stadt Hamburg argumentiert mit angeblich 150.000 Jobs, die mit dem Hafen verbunden sind, und dem zu erwartenden Zuwachs beim Containerumschlag. Diesen angeblich Zuwachs bewerten Experten allerdings skeptisch. Malte Siegert, Leiter der Umweltpolitik beim Naturschutzbund (Nabu) in Hamburg, nennt die Hamburger Prognosen deshalb „Traumtänzereien“. Die Rahmenbedingungen für die europäischen Häfen hätten sich dramatisch verändert. „Für das Jahr 2025 hat man vor fünf Jahren in Hamburg noch mit 25 Millionen Standardcontainern gerechnet. Inzwischen prognostiziert man nur noch 13,8 Millionen Container, und auch von dieser Zahl sind wir noch weit entfernt“, erklärt Siegert. Wirtschaftswissenschaftler gingen von fundamentalen Veränderungen in der Logistikbranche aus. Das liege zum Beispiel am 3-D-Druck oder auch der Digitalisierung. „Das kann zu einer Re-Regionalisierung der Produktion führen. Und deshalb stellt sich bei der Elbvertiefung doch die Frage: Wofür will man das eigentlich noch machen?“

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Siegert meint, Hamburg wäre unabhängig vom Urteil in Leipzig gut beraten, einen Plan B zu entwickeln. „Der ist aktuell aber nicht zu sehen, und das ist fahrlässig.“ Der Nabu-Experte plädiert dafür, sich stärker am Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven zu beteiligen. Die Politik in den Ländern sei aus ökologischen und wirtschaftlichen Gründen in der Pflicht, sich zu verständigen. Das meint auch die niedersächsische Grünen-Landtagsabgeordnete Susanne Menge, Sprecherin für Verkehr, Häfen und Schifffahrt. „Wir brauchen eine neue Kooperation der norddeutschen Häfen. Das ist wesentlich sinnvoller, als für eine Elbvertiefung allein 800 Millionen Euro auszugeben, um 2,5 Millionen LKW-Ladungen mit Schlick in die Nordsee zu kippen“, so Menge.

Auch das niedersächsische Wirtschaftsministerium bringt natürlich den Jade-Weser-Port ins Spiel. Man erwarte das Urteil mit einer gewissen Gelassenheit, sagt Ministeriumssprecher Stefan Wittke im Gespräch mit dem Rundblick. „Wir sind der Meinung, dass die Elbvertiefung für den Standort Hamburg und die Häfen in Norddeutschland sinnvoll ist. Auf der anderen Seite haben wir aber den Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven und plädieren seit vielen Jahren für eine Hafenkooperation, die auch eine enge Zusammenarbeit zwischen Hamburg und Wilhelmshaven beinhalten würde.“

Hier wird nicht gebaggert: Die Elbe bei Gorleben – Foto: BB

Einen uneingeschränkten Befürworter der Elbvertiefung findet die Stadt Hamburg bei den Unternehmerverbänden Niedersachsen (UVN). Hauptgeschäftsführer Volker Müller verweist auf eine extrem wichtige Bedeutung für die niedersächsische Wirtschaft. „Der Hamburger Hafen spielt eine entscheidende Rolle in einem erfolgreichen und wettbewerbsstarken norddeutschen Hafenkonzept. Ohne Vertiefung besteht die Gefahr, dass er seine Rolle für den europäischen und internationalen Warenverkehr verliert und unsere wirtschaftlichen Entwicklungspotenziale in Norddeutschland stark einschränkt.“ Der UVN-Chef bewertet die Einwände der Naturschutzverbände weitestgehend als nicht nachweisbare Vermutungen. Bei der Gesamtbewertung muss die nachgewiesene gesellschaftliche Bedeutung für Wirtschaft und Arbeitsmarkt im Vordergrund stehen. Vermutungen haben da nichts zu suchen.“ Umweltverbände warnen vor Problemen, die eine Elbvertiefung zur Folge haben könnte. „Mit jeder Vertiefung des Kanals kommt mehr Wasser“, sagt Nabu-Experte Siegert. „Dadurch steigen die Wasserstände, was zum Beispiel für die Bauern im Alten Land zum Problem wird.“ Hinzu kämen die Auswirkungen auf die FFH-Gebiete auf beiden Uferseiten. Zug- und Wasservögel seien auf diese Flächen angewiesen.

Die Mehrheit rechnet heute eher nicht mit einem klaren Nein zur Elbvertiefung. Zu erwarten sei eher eine Zustimmung mit eindeutigen und gegebenenfalls sehr hohen Auflagen. Sollten die Bagger dann doch anrollen, wäre es für die Elbe nicht der erste Eingriff, sondern schon die neunte Vertiefung seit Beginn des 19. Jahrhunderts. (MB.)