19. Apr. 2023 · Justiz

Einspruch gegen Landtagswahl: Jurist sieht Chancen für Wahlwiederholung

Der Oldenburger Hochschullehrer, Jurist und Politologe Prof. Volker Boehme-Neßler sieht gute Gründe dafür, dass die Landtagswahl vom 9. Oktober 2022 wiederholt werden muss. In dieser Woche beschäftigt sich der Wahlprüfungsausschuss des Landtags mit diesem Thema, das Gremium dürfte sich über Verfahrensfragen austauschen und eine Terminliste für notwendige Anhörungen vortragen.

Prof. Volker Boehme-Neßler | Foto: Uni Oldenburg

Prof. Boehme-Neßler bezieht sich im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick auf den Wahleinspruch des früheren FDP-Landtagsabgeordneten Marco Genthe und seines früheren Mitarbeiters Alexander Grafe, nach deren Darstellung im Vorfeld der Aufstellung der Landesliste der AfD gravierende Rechtsverstöße begangen worden seien. „Ich halte die Kritik der beiden FDP-Politiker für sehr berechtigt. Die AfD-Landesliste war eine Grundlage für die Wahlentscheidung der Bürger“, erklärt der Rechtsprofessor. Deshalb wirkten sich die Missachtungen der eigenen Landessatzung, die bei der AfD geschehen seien, „auf die gesamte Landtagswahl aus und sind kein bloß AfD-internes Problem“.

Gegen die Landtagswahl sind mehr als 20 Beschwerden eingegangen – vornehmlich von Kandidaten, die sich im Wahlkampf unfair behandelt gesehen haben oder von Wählern, die behaupten, man habe sie an der Ausübung des Wahlrechts gehindert. Laut Gesetz muss zunächst der Landtag selbst prüfen, ob diese Einwände berechtigt sind. Weist das Parlament danach die Einsprüche zurück, was häufig geschieht, so bleibt den Bürgern der Gang vor den Staatsgerichtshof in Bückeburg offen. In den zurückliegenden Jahren hat es nach Landtagswahlen immer wieder Einwände und auch Klagen in Bückeburg gegeben, sie endeten aber allesamt mit dem Scheitern der Anfechtung.

Wichtig bei der Beurteilung ist für die Richter immer auch die Frage, ob mögliche Rechtsverstöße eine erhebliche Auswirkung auf die Wahl hatten, also für die Mehrheitsverhältnisse im Parlament relevant gewesen sind. Wie es aus der Landesregierung heißt, gibt es lediglich zwei von den mehr als 20 Beschwerden, die in diesem Sinne bedeutsam sind – die eine kommt von den FDP-Politikern Genthe und Grafe, die andere von dem früheren AfD-Schatzmeister des Kreisverbandes Wesermarsch, Friedhelm Pöppe aus Elsfleth. Er hat sich mit seinen einstigen Parteifreunden überworfen und die AfD inzwischen verlassen.



Genthe und Grafe haben vorgetragen, dass die Landesliste von dem am 28. Mai gewählten neuen Landesvorstand unter dem Vorsitzenden Frank Rinck bei Landeswahlleiterin Ulrike Sachs eingereicht worden war. Da die AfD am 28. Mai aber einen neuen Vorstand gewählt habe, obwohl die Amtszeit des bisherigen Vorsitzenden Jens Kestner noch nicht abgelaufen und Kestner auch nicht zurückgetreten war, sei Rinck tatsächlich gar nicht Landesvorsitzender – und folglich auch nicht befugt, im Namen der AfD zu handeln. Die Landeswahlleiterin Sachs hatte gesagt, dieser Umstand sei zu vernachlässigen, da beide Lager in der AfD sich einvernehmlich auf die vorgezogene Wahl verständigt hätten. Darauf erwidert nun Prof. Boehme-Neßler: „Anders als die Landeswahlleiterin meint, ist das keine Lappalie, die man ignorieren könnte. Es geht um die Frage, ob die Landesliste rechtmäßig zustande gekommen ist. Dies war nicht der Fall.“

„Anders als die Landeswahlleiterin meint, ist das keine Lappalie, die man ignorieren könnte. Es geht um die Frage, ob die Landesliste rechtmäßig zustande gekommen ist. Dies war nicht der Fall.“

Prof. Volker Boehme-Neßler

Nicht nur die Berechtigung des Vorstandes sei nicht gegeben gewesen. Die AfD selbst habe zudem mit der Einladung zu einer Delegiertenversammlung für die Aufstellung ihrer Liste erneut gegen die eigene Satzung verstoßen, denn dieser Weg sei in den AfD-Statuten nicht vorgesehen – und man habe die Satzung auch nicht angepasst, was theoretisch am 28. Mai hätte geschehen sein können. „Aus meiner Sicht hätte die Landeswahlleiterin die Landesliste gar nicht zur Wahl zulassen dürfen. Der Landesvorstand, der die Liste eingereicht hat, war nicht rechtmäßig gewählt. Und der rechtmäßige Landesvorstand hat keine Liste eingereicht“, betont Prof. Boehme-Neßler. In einem ähnlichen Fall in Bremen, fügt er hinzu, sei die AfD dann nicht zur Wahl zugelassen worden. Was Niedersachsen angeht, halte er die Mängel bei der AfD-Liste für „schwerwiegend“. Alle 18 AfD-Landtagsmandate seien über die Liste vergeben worden, und das betreffe also elf Prozent aller Sitze des Parlaments.

Einspruch von Friedhelm Pöppe

Der frühere AfD-Kommunalpolitiker Friedhelm Pöppe argumentiert ähnlich wie Genthe und Grafe: Der AfD-Landesvorsitzende Rinck ist aus seiner Sicht „bis heute nicht im Amt und kann nicht für die AfD sprechen“. Außerdem habe die Landeswahlleiterin im August die vielen kritischen Hinweise zur AfD-Landesliste „gar nicht richtig geprüft“.

Dieser Artikel erschien am 20.4.2023 in Ausgabe #072.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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