Normalerweise hat es für den politischen Betrieb wenig Auswirkungen, wenn der Landtagspräsident nicht der größten Regierungsfraktion angehört, sondern der größten Oppositionspartei. Es gibt allerdings besondere Umstände, in denen schon kuriose Situationen entstehen können. So ein Fall ist jetzt entstanden, und der Landtag muss am späten Mittwochabend einen Ausweg finden. Kommt es zu keiner Verständigung im Vorfeld, so wäre Parlamentspräsident Bernd Busemann (CDU) in einer ausgesprochen komfortablen Lage: Im Organstreitverfahren vor dem Staatsgerichtshof wäre er einerseits einer der Kläger, da er wie alle anderen CDU-Abgeordneten die Klage seiner Fraktion unterstützt, und gleichzeitig Vertreter des Beklagten, da sich die CDU-Klage gegen einen Landtagsbeschluss richtet, und Rechtsvertreter des Landtags ist nun mal, sofern dieser nicht verzichtet hat, der Landtagspräsident. Da Busemann zugleich Rechtsanwalt und Notar ist, könnte er auch persönlich vor Gericht als Rechtsvertreter auftreten. Die SPD sieht das mit Bauchschmerzen: „Wir möchten ungern Herrn Busemann in die Verlegenheit bringen, dort zu erscheinen“, sagt SPD-Fraktionsgeschäftsführer Grant Hendrik Tonne. Aus Busemanns Umfeld ist zu hören, dass der Landtagspräsident auf Rot-Grün zugehen und die Kuriosität vermeiden will.
Wie konnte es überhaupt zu diesem Problem kommen? Das Recht, Untersuchungsausschüsse zu verlangen, hat im Landtag eine Minderheit von mindestens einem Fünftel der Abgeordneten. CDU und FDP haben in diesem Jahr einen solchen Ausschuss im Parlament durchgesetzt, als sie nach dem Anschlag von Safia S. die Fehler von Polizei und Verfassungsschutz im Umgang mit islamistischer Gewalt aufhellen wollten. Die Landtagsmehrheit, also Rot-Grün, war gegen den Ausschuss, nutzte aber ihr Recht, mit Mehrheitsbeschluss im Plenum den Umfang des Untersuchungsauftrages festzulegen. Normalerweise wird ein solcher Streit frühzeitig über eine Verständigung von Mehrheit und Minderheit im Parlament entschärft, aber da das politische Klima im Landtag seit langem vergiftet ist, gelang das nicht. SPD und Grüne weiteten den Untersuchungsauftrag auf die Zeit seit 2011 aus, den Beginn des Syrienkrieges. CDU und FDP meinten daraufhin, nun werde die Aufklärung des aktuellen Handelns der Sicherheitskräfte verwässert, der Umfang notwendiger Akten extrem ausgeweitet und die Arbeit erheblich erschwert. Sie zogen in einem Organstreitverfahren vor den Staatsgerichtshof. Da sich ein solches Verfahren aber gegen das Parlament und seinen Beschluss zum Untersuchungsausschuss richtet, repräsentiert der Landtagspräsident als oberster Vertreter des Parlamentes die Gegenseite, also den Beklagten. Es läge also an Busemann, wie der Landtag vor dem Staatsgerichtshof auftreten wird.
Diese Gemengelage hat in der SPD erhebliche Diskussionen ausgelöst. Wie es heißt, wird auch über gesetzliche Präzisierungen nachgedacht, um Fälle wie diesen künftig auszuschließen. Aber ob das in dieser Wahlperiode noch möglich wäre, und ob es ohne Änderung der Landesverfassung denkbar ist? Das ist eine Frage für die Rechtsexperten. Aktuell denkt die SPD über einen Landtagsbeschluss am Mittwoch nach: SPD und Grüne würden mit ihrer Einstimmenmehrheit festlegen wollen, die von ihr ausgeguckte Rechtsvertreterin Prof. Frauke Brosius-Gersdorf mit der Klagevertretung zu beauftragen. Aber wäre ein solcher Beschluss des Landtags überhaupt zulässig? In der Landesverfassung steht: „Der Präsident des Landtags vertritt das Land in Angelegenheiten des Landtags.“ Daraus ließe sich ablesen, dass man Busemann die Rechtsvertretung in Bückeburg gar nicht streitig machen könnte – da diese ja Verfassungsrang hat. Und die Verfassung könnte auch nur mit Zweidrittelmehrheit des Landtags geändert werden, ohne Mitwirkung der CDU ginge das also nicht.
Busemann, heißt es, will es nicht so weit kommen lassen, er hat kein Interesse an einer Eskalation. Im Umfeld des Präsidenten verlautet, er wolle schon bald mit den beiden parlamentarischen Geschäftsführern von SPD und Grünen, Tonne und Helge Limburg, ein Gespräch führen. Denkbar ist, dass er den beiden Abgeordneten eine Vollmacht erteilt, für den Landtag vor dem Staatsgerichtshof auftreten zu können. Tonne und Limburg könnten diese dann weitergeben an Brosius-Gersdorf, heißt es. Wenn das klappt, wäre das ein Beispiel für eine geräuschlose Verständigung im Parlament – über die Fraktionsgrenzen hinweg. Einen solchen Weg hat es in den vergangenen Monaten im Landtag nur sehr, sehr selten gegeben. (kw)Dieser Artikel erschien in Ausgabe #143.