„Ein Katholik kann nicht gleichzeitig ein Nationalist sein, das schließt sich aus“
Heiner Wilmer, Bischof des Bistums Hildesheim, ruft zur geistigen Auseinandersetzung mit dem um sich greifenden Populismus auf. Solche Strömungen gebe es nicht nur in Deutschland und Europa, sondern weltweit. Das demokratische Gemeinwesen arbeite nach anderen Regeln. Für ihn gelte, dass ein Nationalist nicht gleichzeitig Katholik sein könne. Der Bischof äußert sich im Interview mit dem Politikjournal Rundblick.
Rundblick: Herr Bischof, die antisemitisch motivierte Tat eines Attentäters in Halle hat deutlich werden lassen, dass die Judenfeindlichkeit hierzulande immer noch groß ist. Was kann man dagegen tun?
Bischof Wilmer: Ich hatte vor einigen Wochen, noch vor dem Anschlag in Halle, ein längeres Gespräch mit Vertretern der Liberalen Jüdischen Gemeinde in Hannover. Sie haben mir ihre Synagoge gezeigt, ihren Kindergarten und ihre Treffpunkte. Mich hat erschüttert, als ich erfuhr, dass die Fenster in allen Gebäuden aus kugelsicherem Glas sind, dass die Anlage hermetisch geschlossen ist und dass man nur über eine Sicherheitsschleuse zu den Veranstaltungen kommen kann. Regelmäßig gibt es Leute, die dort ihren Müll hinwerfen und judenfeindliche Parolen hinterlassen. Das ist unflätig und verunglimpfend, es ist purer Rassismus. Ich hätte nicht gedacht, dass die Zustände so sind.
Wir bewegen uns auf einer sehr dünnen Eisschicht, unter uns befinden sich Antisemitismus und Rassismus. Es braucht nicht viel, und wir brechen ein.
Rundblick: Der Antisemitismus in Niedersachsen ist stärker, als Sie vermuteten?
Bischof Wilmer: Ja. Ich denke, wir bewegen uns auf einer sehr dünnen Eisschicht, unter uns befinden sich Antisemitismus und Rassismus. Es braucht nicht viel, und wir brechen ein – und dann kommen diese Stimmungen in voller Wucht an die Oberfläche. Es gibt einen Antisemitismus von weit rechts, auch einen von weit links. Aber es gibt diese Haltungen auch in der Mitte der Gesellschaft. Juden werden, wie früher schon, zu Sündenböcken erklärt. Das geht überhaupt nicht.
Rundblick: Was kann man dagegen tun?
Bischof Wilmer: Der Schlüssel ist die Bildung. Wir müssen junge Menschen zusammenbringen – Christen, Juden, Muslime und solche, die sich zu anderen oder gar keiner Konfession bekennen. Wir brauchen Freizeitprogramme und Ferienangebote. In den Schulen müssen die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Religionen vermittelt werden, auch die kulturelle Vielfalt. Wir müssen Preise ausloben für Beispiele, wie das Zusammenleben von Menschen verschiedener Religionen klappen kann. Papst Franziskus hat gesagt: Wir bestellen ein gemeinsames Haus, sitzen an einem Tisch und schauen uns in die Augen. Das dient der Verständigung und dem Miteinander. Es ist doch so: Je weniger ich vom anderen weiß, desto leichter stimme ich in Hasstiraden ein. Also ist mehr Wissen ein Weg, die Anfälligkeit für Antisemitismus abzubauen.
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Rundblick: Der Antisemitismus hat häufig einen Bruder, den Populismus…
Bischof Wilmer: Auch der Populismus kann, wie der Antisemitismus, in vielen verschiedenen politischen Richtungen verortet werden. Populisten ertragen es nicht, dass die Welt komplex ist. Sie kennen nur Schwarz und Weiß, Gut und Böse, Einheimische und Fremde, Anhänger und Gegner. Besonders perfide ist, dass Populisten die Ängste der Menschen instrumentalisieren. Sie tun das nicht, um den Menschen zu helfen – sondern heizen die Ängste an, bringen die Wut zum Kochen. Wenn Populisten sich anschicken, „bürgerlich“ genannt werden zu wollen, dann haben sie nichts verstanden. Das ist falsch. Der heute übliche Begriff des Bürgertums stammt aus der Zeit der französischen Revolution – es waren Menschen, die sich gegen die Ständegesellschaft erhoben haben und die Parole „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ vertreten haben. Sie wollten Freiheit für alle Menschen – und haben ihr Haus geöffnet für alle, die kommen wollten, unabhängig von Religion, Kultur oder Hautfarbe. Bürgerlich heißt, allen Menschen grundsätzlich wertschätzend gegenüberzutreten.
Demokraten dürfen nicht in die Falle geraten, dass sie in Gut und Böse einteilen – also genau in die Muster verfallen, die Populisten anwenden.
Rundblick: Wie reagiert man richtig auf Populisten?
Bischof Wilmer: Wir müssen die Sorgen und Ängste der Menschen ernst nehmen – und versuchen, sie zu verstehen. Wir müssen mit den Menschen reden und ihnen klar machen, dass Lösungen möglich sind, aber für komplexe Probleme die ganz einfachen und schnellen Antworten keinen Ausweg bieten. Die extremen Populisten eint, dass sie apokalyptische Bilder malen, den Weltuntergang als Gefahr beschreiben und behaupten, man habe keine Zeit mehr – nicht mal mehr für demokratische Abstimmungsprozesse. Das suggeriert, eigentlich klappe die Rettung nicht ohne wenigstens einige diktatorische Elemente. Stellen Sie sich eine Gruppe von Feuerwehrleuten vor, die zu einem brennenden Haus gerufen wird. Die Populisten tun immer so, als ob man dann sofort mit dem Löschen beginnen müsse. Dabei ist es doch sinnvoll, dass sich der Einsatzleiter und seine Leute wenigstens kurz abstimmen, ob man mit Wasser oder mit Pulverschaum löschen muss, ob man von oben oder von der Seite anfängt und so weiter. Das setzt den Willen zum Dialog und zur Verständigung voraus. Wir brauchen den Mut zu entschlossenen Handlungen – aber wir brauchen keinen hysterischen Aktionismus.
Rundblick: Die AfD gilt als populistisch. In der Politik und auch in der Kirche wird gestritten, ob man mit AfD-Vertretern sprechen oder ob man sie ausgrenzen sollte. Was denken Sie?
Bischof Wilmer: Grundsätzlich sollten wir mit allen das Gespräch führen. Das Problem in unserer Gesellschaft ist doch, dass Menschen mit gegensätzlichen politischen Ansichten zu wenig miteinander sprechen. Demokraten dürfen nicht in die Falle geraten, dass sie in Gut und Böse einteilen – also genau in die Muster verfallen, die Populisten anwenden. Für die katholische Kirche gilt allerdings auch: Wer Katholik ist, kann nicht zugleich Nationalist sein. Als Christen sind wir Patrioten, aber gleichzeitig auch Weltbürger. Wir üben Solidarität mit den Schwachen und haben Minderheiten im Blick. Das gilt auch für die Bürgerlichkeit. Ein Bürger ist ein Mensch, der das Argument gelten lässt und die hohe Kunst des Miteinander Streitens beherrscht, ohne dabei den anderen erschlagen zu wollen.