Ein Jahr AfD im Landtag – über fehlende Aufmerksamkeit kann sie nicht klagen
Ein Jahr lang gehört nun die rechtspopulistische AfD zur landespolitischen Wirklichkeit in Niedersachsen dazu. Hat sie die Politik verändert? Tatsache ist: Niedersachsen ist keine AfD-Hochburg in Deutschland, im Vergleich der Bundesländer hat diese Partei hier einen relativ schwachen Rückhalt, wie aus Umfragen immer wieder hervorgeht. Außerdem herrschen in der politischen Debatte einige Vorurteile über diese Partei vor, die sich beim näheren Hinsehen nicht bewahrheiten. Wir wollen versuchen, etwas Licht ins Dunkel zu bringen.
Erstens: Die AfD Niedersachsen, heißt es, sei ein liberaler Verband, in dem der in Thüringen und Sachsen-Anhalt sehr starke rechte Flügel kaum Anhänger habe.
Das ist so nicht richtig. Tatsächlich sind die politischen Schattierungen im Landesverband der AfD vielschichtig. In der äußeren Wahrnehmung hat der im April erzielte Triumph der Gruppe um die Göttingerin Dana Guth über ihren Vorgänger Armin-Paul Hampel aus Lüneburg eine Verschiebung zur Mitte zur Folge gehabt. Guth tritt öffentlich wesentlich konzilianter und gemäßigter auf als Hampel, der auf Bundesebene immer auch eine Nähe zum AfD-Rechtsaußen Björn Höcke aus Thüringen gesucht hat. Aber dies auf den gesamten Verband zu übertragen, wäre leichtfertig. Guth hat lange Zeit toleriert, dass der wegen rechtsextremer Abweichungen umstrittene Lars Steinke aktiv bleiben konnte, sogar – nachgeordneter – Mitarbeiter der Landtagsfraktion wurde. Mittlerweile wirbt auch die Parteichefin vehement für Steinkes Ausschluss aus der AfD, aber dies tat sie eben nicht entschieden von Anfang an.
Zweitens: Das relativ geräuschlose Auftreten der AfD Niedersachsen, heißt es, liege auch daran, dass kaum hochrangige Mitglieder den Rechtsaußen-Gruppierungen „Flügel“ und „Patriotische Plattform“ angehören.
Diese Einschätzung stimmt so nicht. Tatsächlich treten die Mitglieder der neunköpfigen Landtagsfraktion und des Landesvorstandes – in dem mehrere Abgeordnete sitzen – geschlossen auf, sie vermeiden öffentlichen Streit. Vertreter des rechten Flügels melden sich aber schon zu Wort, vor wenigen Monaten tat dies der Bundestagsabgeordnete Dietmar Friedhoff, der Höcke zu einem „Oktoberfest“ einladen wollte und eine Untergruppierung namens „Pegasus“ ins Leben rief. Es gelang Guth und ihren Mitstreitern erst nach einigen Wochen, dieses Aufbegehren von Friedhoff zu beenden und wieder Ruhe herzustellen. Tatsächlich aber gibt es Vertreter des „rechten Flügels“ der AfD auch in der Landtagsfraktion. Sie treten nicht mit lauten Parolen auf, halten sich eher zurück und suchen keine Profilierung. Sie wollen erkennbar nicht anecken. Aber sie sind gut vernetzt und gut organisiert. Guth und ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Klaus Wichmann, die beiden sichtbarsten AfD-Politiker, zählen nicht zu dieser Gruppierung.
Drittens: Die AfD, meinen einige Beobachter, falle im Landtag durch mangelhaftes Engagement und fehlende politische Initiativen auf.
Dieser Vorwurf wäre unfair, denn auch Grüne und die FDP, die beiden anderen Oppositionsparteien im Landtag, leiden ähnlich wie die AfD unter der erdrückenden Übermacht der SPD/CDU-Koalition. Sie stehen einer geballten Kraft der Regierungsparteien mit relativ wenigen Mitarbeitern gegenüber. Tatsächlich hat die AfD nicht sehr viele eindrucksvolle Initiativen gestartet. Sie wandte sich gegen das Schächten, also das betäubungslose Töten von Tieren, und erreichte immerhin, dass Teile ihres Antrags später bei FDP und Grünen wieder auftauchten. Mit Anträgen zu aktuellen Landtagsdebatten erregte die AfD wiederholt hohe Aufmerksamkeit – was vor allem daran liegt, dass Teile von Grünen und SPD auf alle AfD-Initiativen mit einem eingeübten Empörungsreflex reagieren und die AfD am Ende damit ungewollt aufwerten. Was bei vielen Vorstößen der AfD aber auffällt, ist die fehlende Professionalität –die „Mäh-Too“-Aktion gegen das Schächten beispielsweise wirkte holprig und nicht im Detail durchgeplant. Der Grund mag sein, dass viele AfD-Akteure in der politischen Arbeit unerfahren sind.
Viertens: Während die AfD bundesweit ein problematisches Verhältnis zum demokratischen Rechtsstaat zeigt, heißt es, stehe die AfD Niedersachsen klar zum geltenden System.
Diese These wäre gewagt. Denn zum einen darf die öffentliche Geschlossenheit der niedersächsischen AfD nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Machtkampf zwischen dem Guth- und dem Hampel-Flügel keineswegs endgültig entschieden ist. Auf Bundesebene kann Hampel immer noch auf viele Unterstützer setzen, für Guth gilt das nur begrenzt. Zum anderen beteuern Guth und Wichmann zwar stets und ständig, überzeugte Anhänger des parlamentarischen Regierungssystems zu sein. Auch bei ihnen jedoch ist immer wieder der Wunsch nach einer völlig anderen Politik und einer veränderten Gesellschaft spürbar. Deutlich wurde das im Schriftsatz der AfD für die Klage vor dem Staatsgerichtshof, in dem sie die Ansicht vertrat, der „allgemeine Wille des Volkes“ sei „die Wirklichkeit des Rechts“. Eine solche Formulierung kann als Geringschätzung des für den Rechtsstaat elementaren Minderheitenschutzes gedeutet werden. Außerdem ist nicht klar, wie intakt die Schutzmauern der Niedersachsen-AfD gegen Unterwanderungsversuche rechtsextremer Gruppen sind. Auch unter den Funktionsträgern in einigen Kreisverbänden sind einige Leute, die früher Zweifel an ihrer demokratischen Einstellung geweckt haben – sich aber seit Monaten bemühen, betont staatstragend und grundgesetztreu aufzutreten. (kw)