Ein geschasster Polizeipräsident kämpft um seine Rehabilitation – bisher aber vergeblich
Uwe Lange gilt eigentlich nicht unbedingt als Sympathisant der rot-grünen Regierung, er ist vielmehr CDU-nah. Aber als loyaler Polizeiführer hat er einen tadellosen Ruf. Bis vor einem Jahr war das jedenfalls so. Dann passierten jedoch Dinge, die ihn rückblickend arg verwundern. Erst war es im März 2023 das Angebot von Innenministerin Daniela Behrens (SPD) und Staatssekretär Stephan Manke (SPD), Lange möge doch die kommissarische Leitung der Zentralen Polizeidirektion (ZPD) übernehmen. Er war damals der Vizepräsident dieser Behörde. „Darüber hatte ich mich sehr gefreut, im Nachhinein hätte ich vielleicht schon stutzig werden müssen“, sagt Lange heute. Denn mit dem neuen Amt kamen bald die Probleme. Ein Polizeioberrat in der ZPD, der gut mit Lange bekannt ist, soll sich laut, unbeherrscht und aggressiv gegenüber Mitarbeitern gezeigt haben. Einige Frauen fühlten sich belästigt, legten Beschwerden vor. Lange erklärte, den Beamten zurechtweisen zu wollen – leitete ein Disziplinarverfahren gegen ihn ein und er versetzte ihn schließlich auch. Aber für den Polizeipräsidenten selbst sollte der Fall damit nicht erledigt sein. Gegen ihn rollte ein Verfahren in Gang, das ihm bis heute zu schaffen macht. Der Vorwurf wurde laut, Lange habe die Beschwerden nicht ernst genug genommen.
Eine Leitende Polizeidirektorin der ZPD, die sich seit längerem intensiv mit Übergriffen in den Ordnungsbehörden befasst und darüber schon ein Buch geschrieben hat („Sexualität und Macht in der Polizei“), zeigte Lange an, klagte über sein angebliches Fehlverhalten als Polizeipräsident und fand dann auch rasch Gehör in der politischen Spitze. Am 28. August 2023 verschickte das Innenministerium eine Pressemitteilung, in der erklärt wurde, man habe Lange „mit sofortiger Wirkung von der Aufgabe der Wahrnehmung der Geschäfte des Präsidenten der ZPD entbunden“. Hintergrund seien „Verfehlungen bei der Wahrnehmung seiner Führungsaufgaben“. Das war ein überaus drastischer Schritt, der sofort Phantasien entfaltete: Ist Lange übergriffig geworden – oder hat er jemanden gedeckt, der Polizistinnen belästigt hat? Lange reagiert wie geschockt auf den Vorgang, konnte sich die Härte der Reaktion nicht erklären. Immerhin war er den Hinweisen doch nachgegangen – und hatte den Polizeioberrat sogar versetzt und ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Wie aber wurde der Fall von der politischen Spitze, Innenministerin und Innen-Staatssekretär, gegenüber dem Landtag kommuniziert? Im September 2023 gab es eine vertrauliche Unterrichtung des Innenausschusses, in der vor allem Manke ausführlich vortrug. Er soll von einem gestörten Vertrauensverhältnis zwischen Behördenleitung und mehreren Mitarbeiterinnen der ZPD gesprochen haben, und es soll sogar der Verdacht geäußert worden sein, der Polizeioberrat sei auch Mitarbeiterinnen körperlich zu nah gekommen. Das wurde von Teilnehmern so verstanden, als habe es wohl auch sexuelle Belästigungen gegeben. Lange, so der in der Sitzung angeblich ausgebreitete Vorwurf, habe die Kritik nicht ausreichend und energisch genug verfolgt.
Aber ist das aus heutiger Sicht belegt? Das Disziplinarverfahren gegen Lange läuft nun schon ein Jahr lang. Lange ließ die Anschuldigungen nicht auf sich sitzen, sondern ging gerichtlich dagegen an. Er erreichte, dass seine erste Versetzung zur Polizeiakademie aufgehoben wurde. Kurz vor Weihnachten freute er sich über das Angebot, als Polizeivizepräsident nach Braunschweig zu gehen. Gleichzeitig wurde signalisiert, dass das Disziplinarverfahren zeitnah beendet wird. Im Gegenzug würde Lange auf weitere juristische Schritte gegen das Land verzichten. Das kam dann zunächst auch so, aber der vermeintliche Kompromiss blieb bei der Hälfte der Umsetzung stecken. Seine Klage zog er zurück, aber die von Lange erhoffte Rehabilitation steht bisher aus. Dabei sind die Ergebnisse des Disziplinarverfahrens nach Informationen des Politikjournals Rundblick keineswegs belastend für Lange. Etliche Zeugen haben sich schon geäußert. Formell ist Lange bisher nur „mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Polizeivizepräsidenten in Braunschweig beauftragt“ und noch nicht versetzt. Der Makel eines abgesetzten Polizeiführers, dem Führungsversagen attestiert wird, haftet weiter an ihm. „Ich werde ständig danach gefragt“, sagt er. Seine Anwältin hat das Innenministerium darauf hingewiesen, dass Disziplinarverfahren innerhalb einer Frist von sechs Monaten abgeschlossen sein sollten. Sie hat auf die Möglichkeit der Beantragung einer Fristsetzung durch das Verwaltungsgericht hingewiesen. Das Disziplinarverfahren solle endlich abgeschlossen werden, damit die ihrer Ansicht nach völlig unzutreffenden Vorwürfe gegen ihren Mandanten endlich aus der Welt geräumt werden.
Bisher sah es nicht danach aus. Das Innenministerium teilt auf Anfrage nur mit, dass „umfangreiche Beweiserhebungen notwendig“ seien. Unterdessen zieht der Fall Kreise. Ein pensionierter Polizist aus dem Kreis Northeim hat eine Petition aufgesetzt, die von rund 200 Menschen – darunter vielen Polizeibeamtinnen – unterzeichnet wurde. Es geht darin um die Fehlerkultur in der Polizei. Am 14. August wird über diese Petition im zuständigen Landtagsausschuss beraten. Innenministerin Behrens muss sich fragen, ob sie womöglich auf der Basis von zu stark zugespitzten und unzutreffenden Aussagen den langjährigen Polizeiführer Lange abgesetzt und ihm öffentlich Unfähigkeit attestiert hat. Oder liegt es vielleicht daran, dass Lange in manchen inhaltlichen Entscheidungen – etwa bei der IT-Ausstattung der Landespolizei – quer lag zu den Positionen, die Staatssekretär Manke verfolgt hat? Es gibt einige Hinweise in diese Richtung. In der politischen Diskussion werden überdies Parallelen zu anderen Fällen gezogen, die teilweise noch in die Zeit von Behrens‘ Vorgänger Boris Pistorius zurückreichen. Uwe Lührig, Polizeipräsident in Göttingen, wurde im Februar 2021 abgelöst – angeblich, weil es Versäumnisse rund um Missbrauchs-Ermittlungen bei der Northeimer Polizei gegeben hatte. Jörg Müller, Polizeivizepräsident in Hannover, wurde 2022 mit einem Disziplinarverfahren überzogen, da von einem Dienstvergehen die Rede war. Die anonymen Anschuldigungen wurden nicht bestätigt, das Verfahren wurde eingestellt – aber Müller schien beschädigt, stimmte einem Wechsel ins Innenministerium zu. Auch diese beiden gelten, wie Lange, als CDU-nah.
Dieser Artikel erschien am 13.08.2024 in der Ausgabe #136.
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