25. Juni 2020 · 
Kolumne

Ein bisschen Alexanderplatz in Niedersachsen

Liebe Niedersachsen,

all diejenigen, die sich in der Schulzeit durch Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ quälen mussten, haben vermutlich ein eher belastetes Verhältnis zu diesem Vertreter der literarischen Moderne, der heute vor 63 Jahren starb. Aber hatte Döblin nicht recht als er sagte: „Veränderte Quantität ist veränderte Qualität?“

[caption id="attachment_51728" align="alignnone" width="780"] Foto: Nikada[/caption]

Und weil das so ist, versank Kultusminister Grant Hendrik Tonne gestern in einem überdimensionalen schulpolitischen Fettnäpfchen. Er hatte vorgestern den coronagestressten Schulen zwei Erlasse geschickt, mit denen man die Quantität (sic!) der Lehrkräfte ein wenig nach unten hätte verändern können, was bei Schulen, Gewerkschaften und Politik zu lautstark geäußerten Sorgen über die Entwicklung der Qualität führte. Ergebnis: Tonne stampfte die Erlasse gestern teilweise wieder ein.

Warum der FDP-Bildungspolitiker Björn Försterling den Kultusminister Tonne inzwischen mit dem Schlachthof-König Tönnies vergleicht, hören Sie hier:

https://www.youtube.com/watch?v=2bJbh-VoJeI

Drei Seiten war die Pressemitteilung des Kultusministeriums gestern Nachmittag lang, ganz hinten stand noch die nicht ganz uninteressante Info für Schulen und Eltern, dass man für das kommende Schuljahr „neben dem normalen Regelbetrieb mit weiteren Abstufungen und Szenarien“ plane. Das Gesamtkonzept lege man den Schulen vor den Sommerferien vor. Das ist aber fein.

Ob die Ideen zum Thema Sommerschule auch noch vor den Sommerferien kommen oder erst kurz vor den Herbstferien, was die Sommerschule dann zur Herbstschule machen würde…? Egal, so geht’s jedenfalls nicht, meinte Grünen-Fraktionschefin Julia Hamburg:

https://www.youtube.com/watch?v=zccdwilJX3Y Vermutlich müssen Schüler, Eltern und Lehrer noch ein bisschen warten, bis man erfährt, wie es weitergeht. Vielleicht braucht’s auch erst noch eine bunte Vorlage aus Bayern, NRW oder Rheinland-Pfalz, die man kopieren kann. Es wird allerdings ungemütlicher für den Kultusminister. Döblin würde angelehnt an „Berlin Alexanderplatz“ schreiben: „Wind gibt es massenhaft im Kultus. Im Juni aber bläst der einen fast von der Platte…“

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Man könnte übrigens auch sagen, dass Tonne die Erlasse nur „präzisiert“ hat. „Präzisieren“ ist gerade eine wichtige Aufgabe der Landesregierung, erst gestern wurde die Verordnung zu Gütersloh und Warendorf „präzisiert“. Man hatte vorgestern wohl vergessen, dass vielleicht schon Gütersloher und Warendorfer am herrlichen niedersächsischen Nordseestrand liegen könnten. Sie können jetzt ihren Urlaub fortführen, wenn sie ihn vor dem 11. Juni begonnen haben. Die „Präzision“ der Landesregierung erinnert derzeit immer wieder an das Bonmot „Mein Schienbein hilft mir im Dunkeln Möbel zu finden“. Arno Schmidt nannte Döblin den „Kirchenvater unserer neuen deutschen Literatur". Ob er das heute noch sagen würde? Schließlich wird der Kirchenvater ja immer mehr zum Oberhaupt einer Kleinfamilie. Heute will Ralf Meister, Bischof der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, die aktuellen Kirchenmitgliedszahlen vorstellen, und es soll gar nicht gut aussehen. Am liebsten wäre der Kirche offenbar gewesen, wenn gar kein Journalist heute gekommen wäre. Pech gehabt, wir schauen trotzdem mal vorbei. „Wer über den Dingen steht, sieht weit, aber nicht genau“, sagte Döblin, aber wenn man sich die Prognosen der Unternehmen in der Metall- und Elektroindustrie näher anschaut, will man weder besonders weit, noch besonders genau sehen, weil es schlichtweg übel aussieht. Wer sich das anstehende Wochenende nicht vermiesen möchte, sollte hier auf gar keinen Fall klicken. Wirklich, bitte lassen Sie das. Wird schon irgendwie alles gut werden.

Geht es nicht am Ende uns allen wie Franz Biberkopf, er schwor "aller Welt und sich, anständig zu bleiben in Berlin, mit Geld und ohne"?

Ich wünsche Ihnen ein anständiges Wochenende

Martin Brüning

Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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