24. Mai 2023 · 
Bildung

Ein Assistent für jede Schulklasse? Das Kultusministerium reagiert abwartend

Eine Gruppe engagierter Bürger, angeführt von überzeugten Pädagogen, hat eine Petition an den Landtag gerichtet und dafür inzwischen mehr als 5200 Unterstützer gefunden. Sie fordern, künftig in jeder Grundschulklasse einen sogenannten „Klassenassistenten“ einzustellen. Dieser soll neben dem Lehrer, der pädagogische Ziele vertritt und Unterrichtsstoff vermittelt, für den Zusammenhalt der Klasse stehen, Ansprechpartner für die Kinder sein und Probleme frühzeitig auffangen.

Der Petitionsausschuss des Landtags berät über eine Eingabe zur Einrichtung von „Klassenassistenten“. | Foto: Wallbaum

Wenn man dieses System schrittweise einführe, müsse man mit jährlichen Kosten für ganz Niedersachsen von rund 100 Millionen Euro rechnen, berichtete Constantin Freche, Leiter der Grundschule Hildesheim-Himmelsthür und Sprecher der Initiative. Die Vertreterin des Kultusministeriums, Referentin Beate Harms, rechnet hingegen mit „jährlich 550 Millionen Euro“. Eine solche Summe sei „nicht darstellbar“, deshalb unterstütze das Ministerium die Forderung auch nicht. Zuständig seien im Übrigen die Kommunen.

Die Bürgerinitiative nutzte jetzt die Möglichkeit einer öffentlichen Anhörung vor dem Petitionsausschuss des Landtags. Das Konzept basiert auf folgenden Zahlen: Laut Kultusministerium gibt es in Niedersachsen 1650 Grundschulen und in diesen Grundschulen 15.279 Klassen. Für jede Klasse soll ein Assistent eingestellt werden, der dann nicht der Entlastung des Lehrers beim Unterricht dient, sondern vielmehr die klassenspezifischen Aufgaben erfüllt. Eine pädagogische Ausbildung sei nicht vorrangig nötig.

„Während der Lehrer nach dem Unterricht die Klasse wechselt, bleibt der Klassenassistent bei den Kindern in der Klasse und kann die Zeit für Gespräche nutzen“, berichtet Freche. Der Assistent könne zur Beziehungsperson für die Kinder werden, zumal der Wechsel der Lehrer an manchen Schulen sehr häufig stattfinde. Er könne sich um hochbegabte, schüchterne, verhaltensauffällige oder lernschwache Schüler kümmern.



Freche sieht einen großen Unterschied zu den „Schulbegleitern“, die von den Eltern lernschwacher Schüler und solcher mit Förderbedarf heute schon beantragt werden können – und dann nach dem Sozialgesetzbuch als Unterstützung gewährt werden müssen. Diese Schulbegleiter seien auf den zu fördernden Schüler zugeschnitten, nicht auf die Klasse. Zwar gebe es die Chance einer „Poolbildung“, dass also ein Schulbegleiter mehrere Schüler betreuen darf, doch das sei an strenge Vorgaben und das Einverständnis der Eltern gebunden. „Unser Modell setzt bei der Klasse an. Klar ist aber auch, dass der Aufwand für Schulbegleiter sinken wird, wenn es überall einen Klassenassistenten gibt“, berichtet Freche. Der Nachteil der Stigmatisierung des lernschwachen Schülers, der mit den Schulbegleitern einhergehe, bestehe bei den Klassenassistenten nicht.

Seit einigen Jahren werden in den Kreisen Peine und Gifhorn schon Modelle von Klassenbegleitern erprobt. Wie Jörg Bratz von der „Grundschule am Lerchenberg“ in Wesendorf berichtet, sind die Erfahrungen an seiner Schule sehr positiv, die Verhaltensstörungen im Unterricht seien, wie eine wissenschaftliche Begleituntersuchung der Uni Braunschweig ergeben habe, erheblich zurückgegangen. „Wenn ein Viertel aller Grundschüler am Ende der Klasse vier nicht ausreichend lesen, rechnen und schreiben kann, dann liegt das an den Kindern aus bildungsfernen Schichten und an denen mit Migrationshintergrund – um die kümmern wir uns zu wenig“, sagte Bratz.


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Beate Harms vom Kultusministerium erwiderte, an den Grundschulen gebe es heute schon insgesamt 10.000 pädagogische Mitarbeiter, auch diese könnten in den Klassen eingesetzt werden. Für 2024 habe das Ministerium 750 zusätzliche Stellen für pädagogische Mitarbeiter beantragt. Vielfältige Förderungen für die Inklusion gebe es überdies auch noch. Wenn man nun alles personell ausweiten wolle, müsse das auf Kosten der Kommunen gehen – „und das berührt dann die Vorgaben der Konnexität“, fügte sie hinzu.

Freche von der Bürgerinitiative hingegen erklärte: „Die Inklusion scheitert momentan“. Das Land sei in der Pflicht, die Voraussetzungen für die Inklusion zu verbessern. Die Verfasser der Petition schlagen vor, dass der Klassenassistent im ersten und zweiten Jahrgang als Vollzeit-Stelle eingesetzt werden soll, im dritten Jahrgang als 80-Prozent- und im vierten Jahrgang als 60-Prozent-Stelle. Man könne mit einer niedrigen Gehaltsstufe beginnen.

Dieser Artikel erschien am 25.5.2023 in Ausgabe #095.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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