Liebe Leserinnen und Leser,
der Torwart-Titan Oliver Kahn hat in seiner Fußballkarriere viel erreicht. Der mehrfache Welttorhüter, Weltpokalsieger und Vizeweltmeister von 2002 ist mittlerweiler sogar Vorstandsvorsitzenden der FC Bayern München AG. Das ist schon beachtlich. Mir ist er aber nicht nur durch seine Glanzparaden, sondern auch für seine klaren Worte im Gedächtnis geblieben. Eine Aussage, die vielleicht auch Sie noch im Ohr haben, ist aktuell wieder relevant geworden. Nach einer 0:2-Niederlage auf Schalke fragte Sportmoderator Tom Bartels, der übrigens in Celle geboren wurde, den damaligen Bayern-Torhüter nach den Gründen für die Niederlage. “Weil wir kein Tor geschossen haben”, sagte Kahn zunächst, doch der Reporter-Fuchs wusste, dass da noch mehr drin ist. Daraufhin entwickelte sich folgender legendärer Austausch:
Bartels: “Können Sie das ein bisschen konkretisieren? Was hat Ihnen exakt gefehlt?”
Kahn: “Eier.”
Bartels: “Die Mannschaft hat sich nicht gewehrt. Die Mannschaft hat nicht das gezeigt, was Sie schon seit Wochen eingefordert haben. Habe ich Sie richtig verstanden?”
Kahn: “Ich sage ja: Eier, wir brauchen Eier. Sie wissen, was das heißt."
Was das wirklich heißt, wissen wir seit dem völkerrechtswidrigen Überfall der Russischen Föderation auf die Ukraine. Die Frauen und Männer der Ukraine verteidigen sich seit über einer Woche heldenhaft gegen einen scheinbar übermächtigen Feind. So viel Eier hat die Welt lange nicht gesehen. Dabei lassen die tapferen Ukrainer nicht nur den Mythos von der russischen Stärke jeden Tag ein bisschen mehr bröckeln, sondern schreiben auch ihren eigenen Mythos von der ukrainischen Unbändigkeit.
Die führende Galionsfigur dabei ist Präsident Wolodymyr Selenskyi, der schon jetzt zu einer unsterblichen Legende geworden ist. In der Nacht zu Mittwoch soll es ein gescheitertes Attentat auf ihn gegeben haben. Dass Wladimir Putin sein Gegenüber umbringen lassen will, passt zum früheren KGB-Agenten. Dabei ist das ein unsinniges Unterfangen. Den Mythos Selenskyi, der zur Symbolfigur eines tapferen Kampfes gegen einen gewissenlosen Tyrannen geworden ist, kann Putin nicht mehr zerstören.
Selbst im Europäischen Parlament ist Selenskyi mit stehenden Ovationen gefeiert worden. In den sozialen Medien kursiert allerdings derzeit ein anderes Video des früheren Comedian. Es zeigt Selenskyi in einer Fernsehshow, die ich mal als das ukrainische Äquivalent zu “Das Supertalent” beschreiben möchte. Dort sieht man Selenskyi im schwarzen Anzug, aber mit heruntergelassener Hose hinter einem Klavier stehen. Mehrere Minuten tut er zusammen mit seinem Comedy-Partner so, als würde er das Klavier mit seinen Genitalien spielen.
Der Humor ist nicht sehr tiefsinnig, aber das Publikum lacht sich durchgängig schlapp. Und mittlerweile ist aus dem Clip ein weltweiter Hit geworden. “Präsident Selenskyi spielt das Klavier mit seinen gewaltigen Eiern” wird das geradezu massenhaft auftauchende Video in der Regel betitelt. Ist es geschmacklos, während eines Krieges mit Tausenden Toten und Hunderttausenden Vertriebenen ausgerechnet über so ein Video zu lachen? Auf jeden Fall. Aber es ist auch befreiend, inmitten von all diesem Leid über etwas so Absurdes lachen zu können.
Charlie Chaplin hat es in seiner Friedensrede im Film “Der große Diktator" sehr treffend formuliert:
“Jeder Mensch sollte dem anderen helfen, nur so verbessern wir die Welt. Wir sollten am Glück des andern teilhaben und nicht einander verabscheuen. Hass und Verachtung bringen uns niemals näher. Auf dieser Welt ist Platz genug für jeden, und Mutter Erde ist reich genug, um jeden von uns satt zu machen.
Das Leben kann ja so erfreulich und wunderbar sein. Wir müssen es nur wieder zu leben lernen."
Weiter heißt es bei Charlie Chaplin: “Allen denen die mich jetzt hören, rufe ich zu: Ihr dürft nicht verzagen! Die Männer, die heute die Menschlichkeit mit Füßen treten, werden nicht immer da sein.”
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein friedliches Wochenende
Ihr Christian Wilhelm Link