7. Juni 2021 · 
Bildung

Durchbruch beim Streit um die dritte Kraft im Kindergarten

Der Protest von Elterninitiativen, Gewerkschaften und Kirchen war unüberhörbar. Als vor wenigen Monaten das überarbeitete neue Kindergartengesetz vorgelegt wurde, der erste neue Entwurf nach fast 30 Jahren, wurden die hochgesteckten Erwartungen nicht erfüllt. Die verbindliche dritte Betreuungskraft für die Gruppen, die seit langem von den Fachleuten gefordert wird, war nicht Bestandteil des Gesetzentwurfes. „Das ist einfach nicht zu bezahlen“, hieß es aus der Koalition. Denn bei landesweit mehr als 350.000 Kindergartenplätzen würde die Verwirklichung einer solchen Ansage Kosten in einem dreistelligen Millionenbereich auslösen, und das jedes Jahr aufs Neue.

Beitragsfrei - Foto: Gennadiy Poznyakov

Am Wochenende tagte nun der Koalitionsausschuss – und erzielte einen Durchbruch. Zwei Schritte sollen nun zusätzlich ins Gesetz aufgenommen werden: Erstens sollen von August 2023 an mindestens 2000 zusätzliche Auszubildende mit 15 Stunden in der Woche in den Einrichtungen Dienst tun, also als Hilfskräfte während ihrer Lehre in den Gruppen tätig werden. Zweitens sollen jene Ganztags-Kindergartengruppen mit mindestens 19 Plätzen von August 2027 an eine dritte Fachkraft erhalten, die dann wöchentlich 20 Stunden leistet.

Zur Finanzierung erklärt die Koalition, dass das Land dann tätig werde, wenn die neue Bundesregierung die Zuschüsse aus dem Gute-Kita-Gesetz nicht verstetigen sollte. Die Koalition hat noch weitere Verbesserungen für die Jahre nach 2027 vereinbart, diese aber noch nicht mitgeteilt, sondern lediglich erklärt, dass sie in einem Entschließungsantrag begleitend zum Gesetz festgeschrieben werden sollen. Die Fraktionschefs Johanne Modder (SPD) und Dirk Toepffer (CDU) zeigten sich mit dem Resultat sehr zufrieden.

Was bedeutet nun dieser Kompromiss?

Die verkürzte Ausbildung: Die Kommunalverbände hatten wiederholt die Idee vorgetragen, die derzeit sehr ausgedehnte Erzieherausbildung (zwei Jahre bis zum Sozialassistenten, insgesamt vier bis fünf Jahre bis zum Abschluss der Ausbildung) drastisch zu verkürzen auf drei Jahre. Dies solle im Modell einer „dualen Ausbildung“ geschehen, also mit deutlich höheren Praxis-Anteilen. Auch die CDU-Landtagsfraktion liebäugelt mit diesem Modell, das aber beim Koalitionspartner SPD, bei FDP und Grünen und auch bei der Gewerkschaft Verdi auf wenig Zustimmung stößt. Die Skeptiker wenden ein, eine kürzere Ausbildung gehe zu Lasten der Qualifikation, auf die komme es aber im Umgang mit kleinen Kindern immer stärker an.

Die Überlegung, angehende Erzieher in der letzten Phase ihrer Ausbildung zur Verstärkung in die Kindergärten zu holen, begegnet ähnlichen Vorbehalten. Dabei gibt es dazu kaum eine Alternative, denn der Markt an verfügbaren Erziehern ist begrenzt. Die Verständigung zeigt jetzt, dass sich SPD und CDU in diesem Punkt annähern. So ist jetzt von einem „erleichterten Berufszugang für zusätzliche Abschlüsse“ die Rede, außerdem von der „Flexibilisierung der Vertretungsregeln“ – beides bedeutet zusammen mit dem Einsatz von 2000 Auszubildenden ab August 2023 eine bessere Verzahnung von Ausbildung und Praxis, so wie es die Kommunalverbände gefordert hatten.

Die Revisionsklausel: Mit der Zusage für eine dritte Kraft von August 2027 an, verbunden mit der Übernahmegarantie der Kosten (falls der Bund seine Zuschüsse nicht verstetigt), setzt sich vor allem die SPD-Seite durch. Dort hatte es starke Kräfte gegeben, die eine Festlegung der Pläne für die Situation in sechs Jahren forderten. Auf der CDU-Seite hatte es demgegenüber Skepsis gegeben, zumal man heute nicht absehen könne, ob sich das Land solche Extra-Ausgaben dann überhaupt leisten könne. Manche in der CDU hätten es wohl befürwortet, zunächst noch zu warten, ob der Bund seine Zuschüsse aus dem Gute-Kita-Gesetz verstetigt – doch Klarheit darüber wäre wohl frühestens in der Koalitionsvereinbarung der nächsten Bundesregierung zu erwarten, also nicht vor Oktober 2021. Was nun den zweiten Schritt angeht, also die Beschreibung der Lage ab August 2027, einigen sich Sozial- und Christdemokraten auf eine konkrete Festlegung. Ein weiterer Ausbau der Ausstattung von weiteren Kindergartengruppen mit dritten Kräften in den Jahren nach 2027 soll noch konkret aufgezeichnet werden. Hier ist die Verbindlichkeit aber zunächst nicht gegeben, das Ziel soll in einem „Entschließungsantrag“ formuliert und im Juli-Plenum des Landtags beschlossen werden. Dieser enthält aber Absichtserklärungen ohne Verbindlichkeit. In das Gesetz soll aber eine „Revisionsklausel“ aufgenommen werden. Diese schreibt fest, wann die Vorgaben überprüft und eventuell nachgebessert werden sollen.

Die Verfügungszeiten: Im Detail gibt es noch weitere Gestaltungswege. Eine „Zwischenlösung“ könnte etwa auch darin bestehen, den Gruppenleiterinnen in den Kindergärten mehr Zeit für Vorbereitungen und Elterngespräche einzuräumen. Im Ergebnis wäre das dann ebenfalls ein Stellen-Mehrbedarf, der aber nicht so groß wäre wie bei einer stufenweisen und landesweiten Einführung einer dritten Kraft. Die Koalitionäre verständigten sich darauf, die personelle Mindestausstattung in Randzeiten denen in Kernzeiten anzugleichen – das geht also in diese Richtung. Außerdem soll nun ein „Landeselternrat“ eingeführt werden, die Mitspracherechte in der Kindergarten-Politik bekommt.

Ein Grund dafür, dass sich die SPD/CDU-Koalition mit dem neuen Kindergartengesetz lange sehr schwer getan hat, liegt auch in einer anderen schwer kalkulierbaren Entwicklung: Auf Bundesebene soll bald ein Gesetz beschlossen werden, das die verbindliche Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder vorsieht – und dessen Kosten am Ende vermutlich auch bei den Ländern landen dürften. Man rechnet in Hannover ebenfalls mit einem dreistelligen Millionenbetrag, außerdem auch mit einem zusätzlichen Bedarf an Erziehern. Sollte das Vorhaben so kommen, wird der politische Druck zur Vereinfachung  und Verkürzung der Erzieherausbildung noch einmal zunehmen.

Der Hauptgeschäftsführer des Niedersächsischen Städtetages, Jan Arning, pocht jedenfalls darauf, dass alle Änderungen, die die Kommunen belasten, vom Land erstattet werden müssten. Der Präsident des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes, Marco Trips, stellt sich auf eine große Offensive zur Gewinnung zusätzlicher Erzieher ein.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #105.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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