Der Student Henning Jeschke von der Initiative „Letzte Generation“ bewirft im Sommer 2021 die Leuphana Universität Lüneburg mit Farbe, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. | Foto: Henning Jeschke/Twitter

Die gerade von Anhängern der Klimaschutzbewegung immer wieder aufgerufene Frage, ob weitgehende Protestformen als „ziviler Ungehorsam“ gelten und damit straffrei bleiben dürfen, hat jetzt auch das Oberlandesgericht in Celle beschäftigt. Der 2. Strafsenat des OLG urteilte im Fall eines Klima-Aktivisten Henning Jeschke, der im Sommer 2021 die Fassade des Leuphana-Universitätsgebäudes in Lüneburg mit Farbe verunstaltet hatte, um damit auf die Gefahren des Klimawandels aufmerksam zu machen, sozusagen die Gesellschaft mit dieser Aktion aufzurütteln. Das OLG bestätigte einen zuvor schon gefassten Beschluss des Amtsgerichts Lüneburg, wonach der Mann der Sachbeschädigung schuldig sei und eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu leisten habe. Das entspricht mehr als drei Nettoeinkommen des Betroffenen. Der Verurteilte nahm die Strafe nicht an und ging zur nächsten Instanz.

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Die Richter des OLG beschäftigten sich mit einem besonderen Aspekt: Kann sich der Klima-Aktivist auf Paragraph 34 des Strafgesetzbuchs berufen? Dieser sagt aus: „Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.“ Diese Vorschrift wird „rechtfertigende Notwehr“ genannt – und sie wird in der öffentlichen Diskussion verknüpft mit dem „zivilen Ungehorsam“. Unter dieser Protestform, die es schon seit Jahrzehnten gibt und die beispielsweise von der Bürgerrechtsbewegung in den USA der 50er und 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts angewandt wurde, geht es um eine Symboltat: Die Regelverletzung wird bewusst in Kauf genommen, um mit den Hinweisen auf einen Missstand Aufmerksamkeit zu erzeugen und damit ein Bewusstsein für den Missstand zu schaffen.

OLG: Protest-Aktionen stoppen Klimawandel nicht

Die Argumentation der Klima-Aktivisten in solchen Situationen lautet in etwa so: Wegen der wenig entschlossenen Politik zum Schutz des Klimas gibt es eine große gegenwärtige Gefahr, die beständig größer wird – die Erderwärmung. Diese Gefahr bedroht das Leben vieler Menschen auf dem Planeten. Der Klima-Aktivist handelt in dieser Situation, weil er die Rechtsgüter abwägt – nämlich den Schutz des Weltklimas gegen den Anspruch der Universität Lüneburg auf Bewahrung ihrer Sachwerte. Die Aktion wird gerechtfertigt, weil der Klimaschutz viel höher einzustufen ist. Die OLG-Richter widersprachen einer solchen Herleitung und verwiesen auf einen klaren Hinweis im Strafrechtsparagraphen: Die Tat sei nur dann straffrei, wenn sie ein angemessenes Mittel wäre, die Gefahr abzuwenden. Ob aber ein Protest-Spruch an der Fassade einer Universität geeignet sein kann, die politischen Anstrengungen für mehr Klimaschutz zu verstärken, wird von den Richtern verneint.



Ähnlich deutlich fällt die Bewertung hinsichtlich des „zivilen Ungehorsams“ aus – also einer prinzipiell durchaus anerkannten Protestform gegen Missstände. Auch hier kamen die Richter zu dem Ergebnis, dass diese Argumentation in unserer politischen Ordnung nicht überzeugt: „Niemand ist berechtigt, in die Rechte anderer einzugreifen, um auf diese Weise die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erregen und eigenen Auffassungen Geltung zu verschaffen. Wer auf den politischen Meinungsbildungsprozess einwirken möchte, kann dies in Wahrnehmung seiner Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit, seines Petitionsrechts und seines Rechts auf Bildung politischer Parteien tun, nicht aber durch die Begehung von Straftaten.“ Wenn man es anders sähe und meinen würde, Straftaten seien gerechtfertigt allein wegen der Überzeugung der Handelnden und der Überlegenheit der eigenen Ansicht, „liefe dies auf eine grundsätzliche Legalisierung von Straftaten zur Erreichung politischer Ziele hinaus“.