Dokumente belegen: DKP unterhielt auch in Niedersachsen ausgebildete Kämpfer
Die früher als „Moskau-treu“ bezeichnete „Deutsche Kommunistische Partei“ (DKP), die heute noch existiert, hatte auch in Niedersachsen Mitglieder, die offenbar insgeheim militärische Aktionen gegen die Bundesrepublik Deutschland planten und regelmäßig in Trainingslagern der DDR geschult wurden. Das ergibt sich aus Unterlagen, die dem Politikjournal Rundblick vorliegen. Die DKP ist heute, wie übrigens seit ihrer Gründung 1968, politisch bedeutungslos, sie erreichte bei Wahlen stets nur marginale Ergebnisse. Die Partei wurde allerdings von der DDR finanziert und offenbar auch gesteuert. Erst nach dem Zusammenbruch der DDR wurde bekannt, dass es eine ominöse „Militärorganisation“ (MO) innerhalb der DKP gab, die in manchen Darstellungen auch „Gruppe Ralf Forster“ genannt wird. Diese sollte in einem Krisenfall in der Bundesrepublik Sabotageakte ausüben – gegen das Verkehrssystem, die Energieversorgung und die Kommunikationswege. Ein ehemaliger Mitarbeiter des Parteivorstandes hatte 1990 sein Schweigen gebrochen und über die militärische Ausbildung von Genossen berichtet, zwischen 1970 und 1987 hätten mehrere hundert an diesen Schulungen teilgenommen. Darunter soll mindestens auch ein Funktionär aus Niedersachsen gewesen sein, der Name ist der Redaktion bekannt. Dieser Mann lehnte es gegenüber dem Rundblick ab, auf Fragen zu antworten.
Die juristische Aufarbeitung der Vorgänge versandete in den früheren neunziger Jahren. Ende 1989 hatte die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main ein Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der MO eingeleitet, 1993 wurden 18 Verfahren wegen Verjährung oder mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Anklagen gegen 14 andere, die sich in der DDR zu Sabotageakten ausbilden ließen, wurden indes erhoben. Es kam später aber zur Einstellung, nachdem mehrere Angeklagte ihre Beteiligung an der militärischen Ausbildung zugegeben hatten. Sie mussten Geldbußen entrichten. Dieses in der öffentlichen Darstellung lange vergessene oder verdrängte Kapitel der bundesdeutschen Parteiengeschichte wirkte in den frühen neunziger Jahren so, als handele es sich speziell um Akteure, die im Bundesland Hessen wohnten und in der dortigen DKP engagiert waren. Wie das Politikjournal Rundblick jetzt erfahren hat, stammte ein Akteur aus Niedersachsen. Der mittlerweile im Pensionsalter befindliche Handwerker soll zum Ordnerdienst der DKP gehört haben, hier sogar eine führende Rolle in der Bundespartei gehabt haben. Im Gerichtsverfahren konnte ihm 1993 das nicht nachgewiesen werden, daher wurde das Verfahren eingestellt. Der Mann war jedoch zuvor von dem Hauptzeugen, der die Existenz der MO ans Licht gebracht hatte, belastet worden: An mindestens drei Lehrgängen in der DDR seien beide beteiligt gewesen.
Der Vorgang ist auch deshalb interessant, weil sich in Niedersachsen 2017 und 2018 eine Landesbeauftragte mit dem „Radikalenerlass“ beschäftigte und der Frage nachging, ob Mitgliedern der DKP und anderer kommunistischer Gruppierungen zwischen 1972 und 1990 zu Unrecht der Zugang zum öffentlichen Dienst des Landes – etwa als Lehrer – verweigert wurde. Eine Kommission fand heraus, dass 141 Bewerber für den Staatsdienst wegen ihrer Mitgliedschaft an verfassungsfeindlichen Organisationen abgelehnt wurden und dass 62 Beamte und Angestellte nach einer Überprüfung entlassen wurden. In den Überprüfungen hätten oft Halbinformationen den Ausschlag gegeben, die Aktivitäten der einzelnen seien oft nicht gewichtet worden. Häufig handelte es sich wohl tatsächlich um ehrenwerte Kommunisten, die keinen Umsturz planten, sondern von einer gerechteren Gesellschaft träumten. In Kreisen der DKP sprach man seither von „Berufsverboten“, bei einer gerichtlichen Nachprüfung mussten tatsächlich etliche Ablehnungen von Bewerbern wieder zurückgenommen werden. Die Landesbeauftragte Jutta Rübke regte bei Vorlage ihres Berichts vor knapp zwei Jahren an, über eine Entschädigung der Betroffenen nachzudenken, außerdem die Landeszentrale für politische Bildung mit der näheren Aufarbeitung der damaligen Ereignisse zu betreuen.
Extremismusforscher: DKP war „westdeutscher Interventionsapparat der SED“
Die andere Frage jedoch, um was für eine Partei es sich bei der DKP handelte, deren Mitglieder damals über den „Radikalenerlass“ als Beamte abgelehnt wurden, ist bisher nicht erforscht worden. Das gilt auch für das Wirken und die Bedeutung der MO, die von der DKP-Parteiführung bis heute nie offen zugegeben wurde. Die wenigen bekannten Hinweise auf diese Organisation wecken Zweifel an der These, es habe sich bei allen DKP-Mitgliedern um aufrechte und im Grunde harmlose Kommunisten gehandelt, die nur ihre Überzeugung vertraten und an der Beseitigung der Bundesrepublik kein Interesse hatten. Der Extremismusforscher Udo Baron sagte auf Rundblick-Anfrage, die DKP sei „der westdeutsche Interventionsapparat der SED“ gewesen – und zwar „vollständig von der DDR abhängig“. Der Krefelder Politologe Rudolf van Hüllen zeigt Verständnis für den Radikalenerlass: „Die damaligen Bewerber erfüllten die Voraussetzungen der Verfassungstreue im Beamtenrecht nicht.“ Van Hüllen fragt sich, warum in Niedersachsen die Rolle der DKP nicht in allen ihren Schattierungen wissenschaftlich untersucht wird: „Das wäre sicher eher einer Aufarbeitung wert – als auf die Mitleidskampagne einzugehen“, sagt er dem Rundblick.Dieser Artikel erschien in Ausgabe #203.