Die niedersächsische Wirtschaft kommt nach dem Abflauen der Corona-Pandemie allmählich wieder auf die Beine – das prognostizieren die Analysten der Nord/LB in ihrer Neujahrsprognose für 2022. Volkswirt Eberhard Brezski rechnet in den kommenden zwölf Monaten mit einem Wirtschaftswachstum von 3,9 Prozent. Damit fällt das Plus des Bruttoinlandsprodukts voraussichtlich etwas höher aus als insgesamt in Deutschland.

Doch richtig gute Nachrichten sind das nicht, denn zuvor war die niedersächsische Wirtschaftsleistung auch im Vergleich stärker eingebrochen. Zudem reißen die Probleme nicht ab. „Leider wird der Aufschwung auch hierzulande durch verschiedene Faktoren gebremst. Dazu zählen nicht zuletzt die Lieferengpässe bei vielen Rohstoffen und Vorleistungsgütern sowie die damit einhergehenden Preissteigerungen“, sagt Brezski. Chefökonom Christian Lips blickt zudem sorgenvoll auf die Inflation: „Aus unserer Sicht stellt sich immer mehr die Frage, ob der Inflationsanstieg wirklich ein rein temporäres Problem ist.“

„Die positive Botschaft ist: Wir haben zumindest kein Nachfrageproblem“, sagt Lips und meint mit Blick auf die Statistik: „Der Auftragsbestand ist so hoch wie noch nie, seitdem es diese Zeitreihe gibt. Das ist seit 2015.“ Außerdem habe sich der Arbeitsmarkt als sehr robust erwiesen. „Einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung des Arbeitsmarkts hat die Kurzarbeit geleistet“, merkte der Chefökonom dabei an.

Die Gesamtstimmungslage sei zum Jahresende allerdings wegen der neuen Corona-Welle wieder tief in den Keller gerutscht. Die Zuversicht in der Wirtschaft bewertet Lips als ähnlich schlecht wie zum Jahresbeginn 2021. Gute Laune erwartet der Volkswirt erst wieder 2023, wenn sich die Industrie von der Materialkrise und Dienstleistung sowie Handel von den Corona-Beschränkungen erholt haben. „Wir müssen noch weit bis ins Jahr hinein mit Knappheiten rechnen. Im Fahrzeugbau wird sich das vermutlich bis ins Jahr 2023 nicht auflösen“, sagt Lips.

Von der Entwicklung der Inflationsrate zeigt sich der Chefökonom überrascht. Das Abflachen der Pandemie habe wider Erwarten nicht für einen Rückgang, sondern für einen umso größeren Anstieg der Inflation geführt. Im Dezember kletterte sie auf 5,4 Prozent in Niedersachsen. „Dieser massive Anstieg der Inflation wurde von niemandem erwartet. Das sind Zahlen, die man jahrelang nicht gesehen hat“, sagt Lips. In den Jahren vor der Pandemie habe sich eher in die andere Richtung eine bedrohliche Entwicklung angedeutet. „Aber das Thema Deflationssorgen ist vom Tisch.“
Für 2022 rechnet die Nord/LB mit einer Inflationsrate von 3,2 Prozent für Deutschland und den Euro-Raum. „Die erhöhte Inflation dürfte mehr und mehr zu einem echten Problem für die EZB werden. Vor allem muss die Notenbank die Risiken möglicher Zweitrundeneffekte im Blick behalten“, mahnt Lips und glaubt nicht daran, dass das EZB-Inflationsziel von 2 Prozent zukünftig zu erreichen ist. Lips: „Die Inflationsrate wird sich auf einem deutlichen erhöhten Niveau einpendeln.“

Nord/LB-Vorstandsmitglied Christoph Dieng blickt nach einem „turbulenten Jahr 2021“ vorsichtig optimistisch auf die Weltwirtschaft. „Viele Volkswirtschaften haben das Vorkrisenniveau schon wieder überschritten oder fast erreicht. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Corona-Pandemie wirtschaftlich tiefe Spuren hinterlassen hat“, sagt Dieng und ergänzt: „Hartnäckige Material- und Lieferengpässe, wachstumshemmende Knappheiten am Arbeitsmarkt und der massive Inflationsanstieg sind Belege dafür, dass die Corona-Pandemie noch nicht überwunden ist.“ Die wirtschaftliche Erholung sei weltweit ziemlich uneinheitlich, zudem gebe es gleich mehrere geopolitische Brandherde.
„Für die Weltwirtschaft bleibt aber die Pandemie das größte Risiko“, betont Dieng und bemängelt die Impfquoten in vielen Ländern angesichts der hochansteckenden Omicron-Variante als zu niedrig. „Die Notenbanken stehen vor einem schwierigen Spagat. Das Grundproblem ist, dass die weitere Pandemieverlauf nur schwer zu prognostizieren ist“, sagt der Chief Risk Officer (CRO) der Landesbank und wagt angesichts des hohen Inflationsdrucks folgende Prognose: „Ein weiterer Anstieg der Kapitalmarktzinsen stellt das wahrscheinlichste Szenario für 2022 dar.“