Als überzeugte Niedersächsin würde mich nichts auf der Welt dazu bringen, ein Dirndl anzuziehen – noch nicht einmal eines von dem Braunschweiger Modehändler New Yorker. Eine Influencerin ist aber ausgerechnet dorthin gegangen, um sich ein Outfit fürs Oktoberfest zu erschleichen, und erzählt die ganze Geschichte auch noch auf Instagram. Fünfzig Euro für ein Kleid auszugeben, das sie nur eine Woche lang trägt, habe ihr mit 16 „im Herzen weh getan“, berichtet sie. Deswegen: Dirndl gekauft, Etikett aufgehoben, eine Woche auf dem Oktoberfest gefeiert und das – mutmaßlich um einige Schweiß- und Bierflecken reichere – Kleid mit angeknotetem Etikett wieder zurückgebracht.

Das Geld bekam sie anstandslos zurück und wäre damit durchgekommen, wenn sie nicht, tja, das Ganze als Lifehack auf TikTok gepostet hätte. Die Aufrufe seien durch die Decke gegangen, berichtet sie. Deswegen ignorierte sie es erstmal lieber, als New Yorker sie aufforderte, das Video zu löschen. Ein Jahr später wollte die Influencerin wieder in einer Filiale einkaufen, wurde aber prompt erkannt und des Ladens verwiesen. Bei dem Unternehmen, informierte sie die Filialleiterin, habe sie ein weltweites Hausverbot.
Das wirft natürlich die Frage auf, über welche Technologie Firmen verfügen können, die der Staat nicht hat, um die Übeltäterinnen und -täter gleich an der Eingangstür zu identifizieren. Wenn die Influencerin ein schlechtes Gewissen haben sollte, dann lässt sie sich das in dem Video nicht anmerken. Die moralische Einordnung übernehmen dafür die Kommentatoren auf Instagram: „Sauerei“, „geschäftsschädigend“, „solltest dich was schämen“ und so weiter. Aber wie das halt bei Social Media ist: Hauptsache, die Nutzer bleiben hängen und interagieren, egal wie. Die juristische Einordnung dazu kommt von dem Portal „Händlerbund“. Hier habe ich den Begriff „freundlicher Betrug“ gelernt. Muss man froh sein, wenn man wenigstens freundlich betrogen wird?
Von einem „freundlichen Betrug“ wird gesprochen, weil die Täterin ihre echte Identität benutzt. Auch mit dem echten Namen kann man zum Beispiel eine Rückzahlung für eine Online-Bestellung fordern, die angeblich nicht angekommen ist. Oder von mehreren Accounts aus bestellen, um immer wieder einen Neukundenrabatt zu kassieren. Laut einer Umfrage haben soetwas vierzig Prozent der Kunden schon einmal gemacht. Vielleicht ja sogar ein paar von denen, die "Sauerei!" geschrieben haben? Die Dirndl-Masche sei mindestens ein Rechtsmissbrauch, erklärt der Händlerbund: Hier strapaziert die Kundin das Umtauschrecht, das ihr der Händler freiwillig einräumt, auf jeden Fall über Gebühr. Hatte sie, was man annehmen kann, von Anfang an die Absicht, sich das Geld wieder zurückzuholen, liege der Verdacht auf Betrug nahe – ob freundlich oder nicht.
Nach bestem Wissen und Gewissen präsentieren wir Ihnen jetzt die Themen des Tages:
Bleiben Sie sauber und kommen Sie gut durch den Donnerstag!
Ihre Anne Beelte-Altwig


