Wie Umweltminister Meyer sein Modell der Wolfspolitik voranbringen will
Er ging mit guten Nachrichten im Gepäck auf diese Reise durchs Land. Als Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) am vergangenen Donnerstag zum zweiten, eher naturschutzpolitisch ausgerichteten Teil seiner Sommerreise aufbrach, war er gerade ein paar Stunden zuvor aus Berlin wieder zurückgekehrt. Dort hatte er am Mittwochnachmittag ein Achtaugengespräch mit seiner Parteifreundin und Bundesumweltministerin Steffi Lemke, ihrer Staatssekretärin und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Das Thema war heikel, und die Konstellation verrät, dass es nun also eine Chefsache ist: Wie geht’s weiter mit dem Wolf?
Im Anschluss gaben sich die Gesprächspartner optimistisch. Konstruktiv sei der Austausch gewesen. Weil erklärte: „Wir sind nach Berlin gefahren, um die Situation in Niedersachsen zu schildern. Diese Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass wir in Niedersachsen etwa ein Drittel der deutschen Wolfspopulation haben, allerdings nicht gleichmäßig verteilt über unser Land. In diesen Regionen machen wir leider immer wieder die Erfahrung, dass das bestehende rechtliche System uns bei wiederholten Nutztierrissen keine ausreichenden Handlungsmöglichkeiten bietet, um den Wolfsbestand zu reduzieren.“
Meyer ergänzte: „Ich bin sehr froh, dass die Bundesministerin sehr zeitnah Vorschläge für ein praktikableres, einfacheres Handeln bei Nutztierrissen in Aussicht gestellt hat. Niedersachsen wird diese intensiv prüfen und mit seinen eigenen Praxiserfahrungen im Hinblick auf die Umweltministerkonferenz im Herbst daran mitwirken, ein ausgewogenes regional differenziertes Wolfsmanagement zu erarbeiten und umzusetzen.“
Leitfaden soll Klarheit im Umgang mit dem Wolf schaffen
Was heißt das nun konkret? Noch im September, also schon in den nächsten vier Wochen, will Bundesministerin Lemke ihre Vorschläge für eine neue Wolfspolitik vorstellen. Bis zur Umweltministerkonferenz im November sollen die Länder dann Gelegenheit haben, sich damit zu befassen, um dann im Idealfall einen Beschluss zu treffen. Dieser muss in dem informellen Kreis der Länder-Umweltminister allerdings einstimmig sein – weicht jemand ab, wird’s nichts auf diesem Wege. Angepeilt wird zunächst offenbar eine Überarbeitung eines einheitlichen Auslegungsleitfadens, der den Umweltbehörden bundesweit Klarheit im Umgang mit dem Wolf geben soll.
Dieser Leitfaden war bereits vor zwei Jahren hart umkämpft. Jetzt soll dieses Instrument dazu genutzt werden, Niedersachsens Wolfsproblem auf möglichst niedrigschwelliger Ebene zu lösen. In dem Papier sollen gewisse Aspekte zur Entnahme von Problemwölfen definiert werden, die im Bundesnaturschutzgesetz so genau nie geregelt wurden. Was heißt es, wenn dort steht, dass ein Wolf „mehrfach“ für Rissereignisse verantwortlich gewesen sein muss, damit es eine Abschussgenehmigung geben kann? Wie versteht man den „zeitlichen und räumlichen Zusammenhang“, in dem Risse und Entnahmepläne stehen müssen? Welche Voraussetzungen muss jemand erfüllen, der auf einen Wolf schießen soll?
„Wir wollen da eingreifen, wo wir Probleme haben, und nicht da, wo wir viele Wölfe haben.“
Eine Festlegung dieser Parameter, zudem eine strengere, wäre zwar rechtlich nicht unmittelbar bindend. Gerichte würden sich aber eher an diesen Definitionen orientieren, wenn sie vom Bundesnaturschutzamt offiziell herausgegeben würden. Es wäre zumindest ein Schritt hin zu leichteren, schnelleren Entnahmen, weil die schwammigen Kriterien des Bundesnaturschutzrechtes nicht mehr jedes Mal gerichtlich ausbuchstabiert werden müssten.
Meyer stellt Pläne zum regionalen Bestandsmanagement vor
Minister Meyer beschrieb am Donnerstag auf seiner Reise außerdem genauer, wie er sich das mit dem regionalen Bestandsmanagement für Niedersachsen vorstellt. Seine Idee ist, dass sich die Umweltministerkonferenz auf ein Verfahren einlässt, bei dem man vorab, womöglich regelmäßig neu überprüfend, gewisse Teilregionen festlegt, in denen es eine hohe Wolfsdichte gibt – also zunächst von einer großen und wohl stabilen Population ausgegangen werden kann. Das allein sei aber noch kein Problem, sagt er. „Wir wollen da eingreifen, wo wir Probleme haben, und nicht da, wo wir viele Wölfe haben.“ Schließlich gehe es beim Bestandsmanagement ausschließlich darum, Schaden für die Landwirtschaft oder gar den Menschen abzuwenden.
Wo der Wolf diesen nicht zu nahe kommt, muss er also auch nicht bejagt werden. Eine Abschussquote für das gesamte Bundesland schließt Meyer deshalb entschieden aus. Neben der Identifikation der Teilgebiete, oder der Jagdreviere müssten nach Meyers Modell also die Nutztierrisse bewertet werden. Ein Kriterium dabei bliebe die Frage, ob ein ausreichender Schutz installiert worden ist – also etwa ein wolfsabweisender Schutzzaun von mindestens 1,20 Meter Höhe. Ist all dies gegeben, soll in den entsprechenden Regionen zügig eingegriffen werden können – auch unabhängig von einer Identifikation des einzelnen Individuums. „Der Staat muss handlungsfähig bleiben“, sagt Meyer, und eine Laboruntersuchung und anschließende Suche nach dem Übeltäter sei nun einmal schlichtweg nicht praktikabel. Was man auch in Berlin erkannt haben soll.
Aus Sicht der niedersächsischen Landesregierung wäre all das allerdings deutlich besser zu machen, wenn nicht nur die Handreichung des Bundesumweltamtes, sondern das Bundesnaturschutzgesetz selbst überarbeitet würde. Zwar weiß man, dass Gesetzesnovellen in der Ampel-Koalition ein sensibles Thema sind. Doch fände Meyer es gut, wenn dort alle Ausnahmen, die das EU-Recht den Nationalstaaten einräumt, auch ausgeschöpft würden. Das würde zum Beispiel eine Bejagung auffälliger Rudel erleichtern.
Zudem seien die aktuellen Regelungen, wonach erst Wiederholungstäter zum Problem werden, aus Meyers Sicht fern der Realität: Wenn ein Wolf zweimal zuschlage, sei der Handlungsdruck viel geringer, als wenn zehn Einzeltiere jeweils einmal eine Herde attackierten. Sinnvoll fände Meyer es auch, wenn man eine etwaige Jagd auf Problemwölfe räumlich an die zu schützenden Tiere koppelte. So könnten Abschussgenehmigungen auf ein Areal im Umkreis von 1000 Metern um betroffene Weiden herum erlassen werden, schlägt er vor. Auf diese Weise wäre auch ein Lerneffekt bei den Wölfen zu erwarten. Also etwa nach dem Gedanken: Wo die Schafe stehen, passieren schlimme Dinge.
All diese Maßnahmen sollen allerdings nicht zu sogenannten „wolfsfreien Zonen“ führen, machte Meyer deutlich. Auch in den identifizierten Jagdrevieren sollen die Abschussgenehmigungen nur auf Zeit erteilt und nicht auf Dauer gestellt werden. Eine Ausrottung der Tiere dürfe es auf keinen Fall geben. Deshalb war Meyer auch sein Besuch des Herdenschutz-Pilotprojektes „Wolf und Deich“ in Loxstedt in der Osterstader Marsch besonders wichtig.
Seit 2018 wird dort, finanziert mit 570.000 Euro Landesmitteln, auf einer 30 Kilometer langen Strecke ausprobiert, wie Schafe auf den Deichanlagen vor Wölfen geschützt werden können. Genau wie die Heide gehören die Deiche zu jenen Arealen, für die die dort grasenden Schafe existenziell wichtig sind, die aber zeitgleich kaum eingezäunt werden können. Dieses „kaum“ war aber bis vor kurzem noch ein „gar nicht“. In Loxstedt will man beweisen, dass es doch geht, und experimentiert deshalb mit fest installierten und mobilen Zäunen sowie Herdenschutzhunden.
Mit den Wölfen kommt man nun offenbar zurecht. Video-Fallen zeigten, dass mehrere Wölfe vertrieben werden konnten, berichtet der örtliche Landwirt. 2021 hatte es einen erfolgreichen Wolfsangriff gegeben. Das Problem, so erfährt man vor Ort, seien allerdings weniger die Wölfe, sondern die Menschen – die Touristen, aber vielmehr noch die Menschen, die an den Deichen leben. Diese seien es gewohnt gewesen, jederzeit über die Deiche spazieren zu können, wie es ihnen gefällt, berichtete Kathy Müller vom Kreisverband der Wasser- und Bodenverbände im Altkreis Wesermünde.
Der Unmut der Anwohner führe nun zu einer regelrechten Sabotage der Anlagen, mutmaßte sie. Regelmäßig komme es zu Vandalismus: Zäune werden durchtrennt, Tore offenstehen gelassen, Griffe abgebrochen. Die gesellschaftliche Akzeptanz endet oftmals dort, wo die eigene Freiheit eingeschränkt wird – nicht nur der Wolf, auch der Zaun hat ein Akzeptanzproblem.
Die Betreiber der Anlage hoffen daher auf eine Förderung auch der Unterhaltung und nicht bloß der Anschaffung der Zäune. Derzeit sei es schließlich so, dass wenige Mitglieder von Deichverbänden für die Naturschutzpolitik der EU zahlen müssten.
Ob das Pilotprojekt nach seiner Verlängerung bis 2025 überhaupt eine Zukunft hat, gar in Serie gehen kann, bleibt derweil ungewiss. Im Dialogforum „Weidetierhaltung und Wolf“ befasst man sich damit in einem eigenen Arbeitskreis. Doch dass Zäune tatsächlich die Lösung für Niedersachsens Wolfsproblem sein können, ist mehr als fraglich, und dass man längst nicht alle bedrohten Tiere wird einzäunen können, ist auch Minister Meyer längst klar. 1,4 Milliarden Euro würde es kosten, würde man auch noch die inzwischen vom Wolf bedrohten Rinder einzäunen. „Das Geld hat keine Gesellschaft“, weiß der Umweltminister.
Dieser Artikel erschien am 28.08.2023 in der Ausgabe #145.
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