Darum geht es: Heute startet das neue Schuljahr mit alten Problemen: Es fehlen Lehrer, die Unterrichtsversorgung bleibt unter den Erwartungen. Ein Kommentar von Martin Brüning:
Wer mit dem Fahrrad oder dem Auto in Hannover derzeit zum Kultusministerium fährt, muss sich um zahlreiche Baustellen herumschlängeln. Im Kultusministerium selbst wird zwar gerade nicht gebaut, dafür ähnelt die Bildungspolitik einer Großbaustelle.
Kultusministerin Frauke Heiligenstadt machte dabei gestern die Erfahrung, dass das Leben auf dem Bau ungerecht sein kann. Sie präsentierte viele Fakten und wie üblich noch mehr Zahlen zum neuen Schuljahr: Mehr als 1700 Ganztagsangebote an allgemeinbildenden Schulen, die Inklusion schreitet voran, mehr als 2000 neue Lehrerstellen wurden besetzt. Dennoch wird die Ministerin vor allem an einer Zahl gemessen werden: der 98. Die Unterrichtsversorgung wird im kommenden Schuljahr ihren Worten zufolge voraussichtlich bei 98 Prozent liegen – die CDU im Landtag befürchtet, dass es sogar noch schlimmer kommen könnte.
Nun kann man viel darüber lamentieren, ob das alles vorhersehbar gewesen ist und was man hätte in den vergangenen Jahren anders planen können. Richtig ist, dass man durchaus bereits mehr Lehrer hätte einstellen können. Und auch die vorgesehenen Änderungen beim Einsatz von Lehrkräften im Ganztagsbereich werfen die Frage auf, ob die 60-zu-40-Regelung (60 Prozent Lehrer, 40 Prozent Kooperationspartner) eine gute Idee gewesen ist. Dennoch: Durch retrospektive Kritik bekommt kein einziger Schüler eine Unterrichtsstunde mehr.
Der 17-Punkte-Plan der Ministerin geht in die richtige Richtung. Frauke Heiligenstadt dreht damit an allen Stellschrauben, die ihr zur Verfügung stehen. Ihr Problem: Sämtliche Stellschrauben sind recht klein; die Wirkung des 17-Punkte-Plans könnte im schlechtesten Fall allenfalls homöopathisch sein.
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Die Schulpolitik in Niedersachsen wird in den kommenden Jahren neue Wege gehen müssen. Flexibilität und neue Ideen werden ständige Begleiter sein müssen, um die Lehrer zu motivieren und ihren Beruf attraktiver zu machen. Was nicht passt, muss passend gemacht werden.
Stattdessen wird noch zu häufig Politik nach alten Mustern gemacht. Nach der Vorstellung der GEW-Studie kündigte das Ministerium zunächst einmal Ergebnisse der eigenen Online-Befragung an. Danach folgt erst einmal ein Arbeitskreis. Warum lassen sich nicht gleich überflüssige bürokratische Regelungen aufspüren, um Lehrer hier schon einmal zeitlich zu entlasten? Auch im Ministerium wird man flexibler denken müssen.
Vielleicht ist es eine historische Situation, wie Frauke Heiligenstadt sagt. Aber auch die nächsten Jahre werden voraussichtlich nicht leicht sein. Die Entscheidung zum Abitur nach neun Jahren wird neue Verschiebungen von Lehrer in Richtung Gymnasien nötig machen. Frauke Heiligenstadt kann den Helm aufbehalten – die Bildungspolitik bleibt eine Baustelle.
Lesen Sie auch:Lehrer dringend gesucht - Schwieriger Start ins neue SchuljahrDieser Artikel erschien in Ausgabe #135.