Schon ein paar Jahre ist es her, da hat sich der Bürgermeister der Gemeinde Wennigsen am Deister (Region Hannover), ein Parteiloser, auf seiner Internetseite bitter über die Zunft der Journalisten beklagt: Überall erschienen Texte über die stolze 150-jährige Geschichte der SPD, aber ein ganz wesentliches Ereignis, die „Wennigser Konferenz“, falle meistens unter den Tisch.

Niemand mache sich die Mühe, daran mal zu erinnern. Es ist auch objektiv schwierig, denn das „Bahnhofshotel Petersen“, in dem die SPD-Politiker damals tagten, ist schon 1977 abgebrannt. Es gibt in Wennigsen zwar ein Denkmal und auch eine Gedenktafel, die an die Konferenz erinnert, doch viele Menschen ziehen achtlos daran vorüber. Ist Wennigsen schon vergessen?


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Diese „Wennigser Konferenz“ liegt jetzt genau ein dreiviertel Jahrhundert zurück: Vom 5. bis 7. Oktober 1945 kamen in Wennigsen SPD-Vertreter aus der britischen Zone und Vertreter der SPD in der sowjetischen Zone zusammen. Wer nun wie tagen konnte und durfte, ob die Regionen nur in getrennten Sitzungen oder zusammen beraten durften, war anfangs umstritten. Aus London waren auch Vertreter der dortigen Exil-SPD, die während der NS-Herrschaft die Organisation am Leben gehalten hatte, hinzugezogen – darunter Erich Ollenhauer und Fritz Heine.

Das Ziel der Zusammenkunft war, über die erneute Gründung der SPD zu entscheiden, außerdem über den Kurs, den die SPD einschlagen sollte. Zwar wurde in Wennigsen das marxistische Grundsatzprogramm der SPD von 1925 noch einmal zur theoretischen Basis erklärt – doch zwei andere wichtige Resultate überlagerten alles andere. Zum einen wurde in der Konferenz deutlich, dass ein Zusammenwachsen der SPD in der Ost-Zone und der SPD in der West-Zone inzwischen wohl unrealistisch war. Otto Grotewohl, der spätere Ministerpräsident der DDR, trat in Wennigsen auf.

Aber eine Kooperation stellte sich rasch als unrealistisch heraus. Das war der Otto Grotewohl, der schon von 1922 an als junger Mann Minister in Braunschweig gewesen war, dort bei der Landesversicherungsanstalt Karriere machte und später dann, im April 1946, symbolisch Wilhelm Pieck (KPD) die Hand schüttelte – das Zeichen für die Vereinigung von SPD und KPD im Osten.

Halbes Jahr vor Zwangsvereinigung im Osten

Die „Wennigser Konferenz“ lag ein halbes Jahr vor dieser schicksalhaften Zwangsvereinigung zur SED im Osten. Ob noch ernsthafte Chancen bestanden hatten, eine SPD als gesamtdeutsche Partei aufzubauen, mit Unterstützung der Genossen aus der sowjetisch besetzten Zone? Klaus Wettig, der die Geschichte der niedersächsischen SPD erforscht, ist an dieser Stelle skeptisch: „Grotewohl und seine Genossen müssen damals schon signalisiert haben, dass sie nicht mehr zurück können, dass die sowjetische Besatzungsmacht den Weg zur Zwangsfusion zwischen SPD und KPD in ihrer Zone längst besiegelt hatte.“

Offiziell gestritten wurde über eine Kooperation mit den Kommunisten noch, wobei in Wennigsen die Gruppe der Schumacher-Anhänger dominant war. Dass es zu keiner Verständigung mehr kommen konnte, zeichnete sich aber wohl bereits ab. Wettig rät deshalb zur Vorsicht, wenn manche in der Nachbetrachtung die Ansicht vertreten würden, in Wennigsen habe real noch die Chance zu einer gesamtdeutsch einigen SPD bestanden. Die Machtfaktoren, die später zur deutschen Teilung führten, waren vermutlich nicht wesentlich bestimmt von den politischen Vorstellungen der SPD-Kräfte in den Regionen – selbst wenn sie es so gewollt hätten.

Nur Sozialdemokraten aus britischer Zone

Bedeutsam sind mit Blick auf die „Wennigser Konferenz“ einig andere Details: Aus den West-Zonen konnten einzig die Delegierten aus der britischen Zone (also vor allem aus den späteren Ländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Hamburg) anreisen. Die Amerikaner zögerten noch bei der Wiederzulassung von Parteiaktivitäten in ihrer Zone, die Franzosen auch. Immerhin war das Ergebnis, das Amerikaner und Franzosen einverstanden waren mit der Einberufung des ersten Parteitags in der Westzone einverstanden: Das geschah dann am 10. Mai 1946 in der Halle der Hanomag-Werke in Hannover-Linden. Das Gebäude immerhin steht auch heute noch.

Der SPD-Forscher Wettig beleuchtet die Frage, warum es nun gerade Kurt Schumacher (seinerzeit 49 Jahre alt) war, der bei der Wiedergründung der SPD nach dem Zweiten Weltkrieg eine so starke Position innehatte. Seine Erklärung ist ganz einfach: Andere führende SPD-Politiker aus der Zeit der Weimarer Republik, ältere zumal, hätten sich im Exil befunden, und für viele sei es ganz schwierig gewesen, von dort in das von den Alliierten besetzte Deutschland zurückzukehren. Ernst Reuter, der spätere Berliner Bürgermeister, befand sich noch in der Türkei. Marie Juchacz, Gründerin der Arbeiterwohlfahrt, war in den USA.

Otto Wels, der 1933 die letzte freie Rede im Reichstag gehalten hatte und später dann in Prag die Exilorganisation der SPD gründete, war schon 1939 gestorben. Hans Vogel, einer der Köpfe der Exil-SPD in London, war todkrank und starb am 6. Oktober 1945, also während der „Wennigser Konferenz“. An seiner Stelle kamen Erich Ollenhauer und Fritz Heine von der Londoner Organisation, die in jener Zeit immerhin soetwas wie eine Konkurrenzorganisation zur Gruppe um Schumacher hätte werden können. Doch es gelang, derartige Konflikte in Grenzen zu halten.

Schumacher fing 1945 mit dem Wiederaufbau an

Schumacher, der unter den Nazis lange inhaftiert war und das Kriegsende in Hannover erlebte, fing schon im Mai 1945 mit dem Wiederaufbau der SPD an. Zwei Monate später, im Juli, beauftragten ihn mehrere westdeutsche Parteibezirke mit der organisatorischen Führung der SPD in Deutschland. Damit war er bereits ein mächtiger Faktor in der wiederentstehenden SPD, als die Weichen in Wennigsen für den ersten Parteitag gestellt wurden.

Seine Prägung – gegen die Kommunisten, denen er zutiefst misstraute, für die nationale Einheit und skeptisch gegenüber revolutionären Ideen aus der radialen Ecke – wurde dann die Leitlinie der SPD-Arbeit. Beim Parteitag im Mai 1946 im hannoverschen Hanomag-Gelände wurde der promovierte Jurist Schumacher, der eigentlich so gar nicht zum Arbeitermilieu der SPD passen wollte, mit übergroßer Mehrheit zum neuen Vorsitzenden gewählt, mit 244 von 245 Stimmen.

Von Hannover aus, erst in Linden, dann in der Odeonstraße, werden in den ersten Jahren der Bundesrepublik die Geschicke der SPD gesteuert, stark nach Schumachers Prägung. Die „Wennigser Konferenz“ war ein wichtiger Meilenstein in dieser Geschichte. Mit anderen Akteuren an anderen Orten hätte alles sich womöglich ganz anders entwickeln können. Der SPD-Bezirk Hannover gedenkt am Wochenende an diese Entwicklungen mit einer kleinen Feierstunde. (kw)